Mutti, wir schaffen das

Anekdote zum Thema Gesellschaft/ Soziales

von  Regina

Ich bin genauso alt wie Mutti Merkel und frage mich manchmal, warum ich nicht auch Bundeskanzlerin sein darf, anstatt das schaffen zu müssen, was Mutti meint, dass wir schon schaffen würden, während Kollegen von mir aber schon um 2016/17 glaubten, dass uns das schaffe.


"Ich brauche keinen Kaffee, sondern ich möchte, dass du pünktlich kommst!" ermahne ich den netten jungen Mann aus Syrien, der mir nun zum dritten Mal zwei Stunden nach dem morgendlichen Kursbeginn des Sprachkurses mit freundlichem Lächeln einen Becher des Getränks auf das Pult stellt, eine syrische Form der Ausrede, die Straßenbahn sei einem vor der Nase weggefahren.  


An Kaffee und mitgebrachtem Essen mangelt es wahrlich nie (an den deutschen Tugenden Disziplin und Fleiß schon eher) bei diesen gastfreundlichen Leuten, so dass ich von 2015 bis zur Pandemie kaum mein Gewicht halten konnte.

 
"Du kannst gleich an die Tafel schreiben", fordere ich mit strengem Blick. Wir üben das Briefeschreiben heute. Sprache ist schließlich der Schlüssel zur Integration, so der vom Innenministerium herausgegebene Slogan. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge übersetzt das in "Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur Integration blablabla....", wie es auf jedem offiziellen  Anschreiben an mich  Integrationssprachlehrerin heißt, was sich allerdings vor 2015 nicht in die Sprache der Honorare übersetzen ließ, bis Angela der Branche einen immensen Bedarf an Alphabetisierungskursen bescherte und die Honorare auch auf ein erträgliches Maß angehoben wurden.


Aber  der Langschläfer steht jetzt an der Tafel und soll den Brief darauf schreiben. Die anderen Teilnehmer dürfen ihm helfen, weise ich an, aber ausschließlich auf Deutsch.


Ahmed ist Linkshänder und trotz seiner hohen Fehlzeiten schon recht geschickt im Schreiben der lateinischen Druckschrift. Als er beginnt auf die Tafel zu schreiben, fällt mir auf, dass er im Großen und Ganzen zwar ganz richtig von links nach rechts schreibt, dabei aber jeden einzelnen Buchstaben, wie aus dem Arabischen gewohnt, von rechts nach links gestaltet. Das sieht ulkig aus, war mir aber zunächst nicht aufgefallen und auch in der staatlich organisierten Lehrerfortbildung kein Thema gewesen. Von solchen und anderen Problemen hat das BAMF und gleich gar das Ministerium doch oft mangels Kontakt zur wahren Lebensrealität keine Ahnung.


Es ist zu spät, den Teilnehmer noch umzuschulen. So übersehe ich diesen marginalen Fehler geflissentlich, während er seinen ersten Satz an die Tafel kritzelt und mit fragendem Blick zu mir hinüberlugt, ob seine Formulierung wohl richtig sei. "Ich korrigiere am Ende, wenn der Brief fertig ist", vertröste ich ihn und überhöre ebenfalls geflissentlich das vielstimmige Gebrüll seiner Freunde, die ihm klarmachen wollen, was er als nächstes zu schreiben hat, freilich aber vergessen haben, dass diese Anleitung nicht in der Muttersprache ausgeführt werden soll.

 
Am Ende nehme ich den roten Tafelstift und korrigiere die Fehler. Wir haben das Thema "Briefe schreiben" schon fast geschafft. Allerdings gibt es dazu noch eine Hausaufgabe, die am nächsten Tag abgeliefert werden soll. "Briefe schreiben wir in unserer Muttersprache auch nie", protestieren einige. Von denen bekomme ich am nächsten Tag nur leere Blätter.  Die anderen liefern einen Liebesbrief, einen Heiratsantrag, eine Bewerbung oder den aufregenden Bericht ihrer Flucht über das Mittelmeer ab. Aber das vorgeschriebene Briefthema, eine Einladung höflich abzulehnen, hat eigentlich keiner bearbeitet. Das macht man in Syrien auch nicht, ist eine Beleidigung. Andere Länder, andere Sitten.

 
Wir schaffen das schon, Mutti. Manchmal amüsieren wir uns sogar dabei.

 
Es ist doch auch heute noch angesagt, Machos wie Fritze Merz gnadenlos abzusägen und stattdessen so süße, knackige junge Männer wie Ahmed aus ihrer misslichen Lage zu erretten und in ordentliche deutsche Staatsbürger umzuerziehen.




Anmerkung von Regina:

Deutschland, sprachliche Integration, um 2016

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Kommentare zu diesem Text


 Didi.Costaire (01.02.25, 14:08)
Lebendig geschildert, Regina. Und irgendwie passt das organisierte Chaos ja in unsere heutige Zeit der sogenannten Herausforderungen, also der Ausbeutung durch systematische Überforderung der Arbeitenden bis hin zum Burnout. 

Beste Grüße,
Dirk

 Regina meinte dazu am 02.02.25 um 09:32:
Lehrer gehören ohnehin zu den häufigsten Kandidaten für Burnout. Hier handelt es sich um Erwachsenenbildung ohne Erstellen von Zeugnisnoten oder Schullandheimaufenthalten.

 EkkehartMittelberg (01.02.25, 18:35)
Hallo Gina, aus deinem humorvollen Beitrag wird deutlich, dass der Aufwand für die Integration gewaltig ist und dass sich das Bild des deutschen Staatsbürgers mit Sicherheit rapide wandeln wird.

LG
Ekki

 Regina antwortete darauf am 02.02.25 um 09:30:
Danke, Ekki, Integration ist ein komplexer Begriff.

 AchterZwerg (02.02.25, 08:07)
Liebe Gina,
nach meiner Verrentung war ich ebenfalls einige Zeit in diesem Berufsfeld tätig und kann die Kernaussage nur bestätigen.
Mich wunderte es oft, wie viele Kurse an Menschen verschwendet wurden (auch zwangsweise), die nach 30 Jahren Aufenthalt in Deutschland immer noch keinen Aldi-Einkauf tätigen konnten ...

 Regina schrieb daraufhin am 02.02.25 um 09:29:
Der Text oben bezieht sich auf eine relativ willige syrisch-irakische Gruppe, jüngere Menschen, sowohl von der Leistung als auch von der Disziplin her im mittleren Bereich anzusiedeln.

Altmigranten meist türkischer oder griechischer Herkunft waren wesentlich unglücklicher über staatlich verordnete Zwangsbeschulung, offener Protest dabei selten, verfestigte Fehler durch ungesteuerten Spracherwerb kaum korrigierbar.

 Jack (04.02.25, 01:13)
Es kommt einem neutralen Beobachter so vor, als würden sich immer mehr KV-Nutzer Tag für Tag vor der Bundestagswahl in ihren Texten entschuldigen, dass sie diesmal AfD wählen. An alle, für die das zutrifft:

Hört auf, euch zu entschuldigen und wählt AfD! Es ist euer gutes Recht. Nicht ihr seid Demokratiefeinde, sondern jemand, der Wahlbenachrichtigungen sofort in die Mülltonne schmeißt (ich z.B.)

 Regina äußerte darauf am 04.02.25 um 02:17:
Auch wenn ich kritisch zum Organisationschaos der sogenannten Migrationsindustrie stehe, drücke ich hier keine Wahlentscheidung aus.

 Teo (04.02.25, 12:54)
Liest sich teilweise recht unterhaltsam.
Charmant können sie sein, die jungen Herren aus dem Orient. Nur den Rücken darf man einigen von ihnen nicht zudrehen. Na ja, ein wenig scheint es dir ja doch Spaß gemacht zu haben.

 Regina ergänzte dazu am 04.02.25 um 14:33:
Zweimal war ich mit einer Messerszene konfrontiert, das eine Mal, du wirst es kaum glauben, in den Händen einer Frau und nicht der üblichen Verdächtigen. 
Es ist Vorsicht geboten.

Die Mehrheit läuft aber nicht mit einem langen Küchenmesser durch die Gegend.

Antwort geändert am 04.02.2025 um 16:10 Uhr

 Teo meinte dazu am 04.02.25 um 16:06:
Ja gut, da die Dame in deinem Kurs war, hatte sie doch auch einen Migrationshintergrund.
Du musst nun aber nicht darauf antworten. Nicht das man uns nun zu den CDU Wählern zählt.....

Zu deiner Nachricht von 16.10 Uhr:
Jetzt wirft man uns wieder vor, nicht alle mit langen Messern versorgt zu haben...

Antwort geändert am 04.02.2025 um 16:15 Uhr
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