Elise und Barbara

Erzählung

von  Quoth

„Hält sie mich wirklich für einen Mann – oder nutzt sie nur den Deckmantel meines Herrenkostüms, um sich eng an mich zu schmiegen?“ Elise wusste nicht, was sie davon halten sollte, und verstärkt wurde ihre Unsicherheit durch die Entdeckung, dass sie es genoss, von einer so entzückenden, zierlichen Frau begehrt zu werden. Der langsame Foxtrott gab beiden die Möglichkeit, in diesem Schwebezustand der Gefühle zu verharren, ihn auszukosten, einander gegenseitig respektvoll und bewundernd zu umfassen – doch etwas zu sagen wagte Elise nicht, um Barbaras Glauben an ihre Männlichkeit – wenn sie ihn denn hatte – nicht durch ihre Altstimme zu zerstören. Kinder verkleiden sich gern, und deshalb war für die Abschlussfeier am Fröbel-Seminar Verkleidung angesagt worden, Elise hatte mit dem Frack und dem Zylinder ihres verstorbenen Großvaters geliebäugelt, auch wenn er ein wenig stark nach Lavendel roch. Sie überließ sich nur allzu willig der Verliebtheit ihrer jüngeren Kollegin – oder spielte diese die Verliebtheit nur? Gehört es nicht zu einem Maskenball dazu, dass alle so tun, als fielen sie auf die Maske des jeweiligen Partners komplett herein? Als Barbaras freie Rechte aber immer tiefer an Elises Bauch herabkroch, bekam diese es mit der Angst zu tun. Erstens gehörte sich das nicht, egal, ob sie Mann oder Frau war, und zweitens wollte sie ihr die schreckliche Enttäuschung ersparen. „Nein, nein, bitte nicht!“, murmelte sie und schüttelte den Kopf, „nein, nein, da ist nichts!“ Barbara lächelte ihr süßestes verständnisinniges Lächeln, ihr Mund suchte die Lippen Elises, „wenn da nichts ist, ist da alles!“, lispelte sie zärtlich und presste die Wölbung ihres Busens unter den plattgeschnürten ihrer gut eine Handbreit größeren Tanzpartnerin, sie überließ sich wonnevoll ihrer herrischen Führung, beide genossen es, so miteinander verschmolzen in der halbdunklen und von Zigarettenrauch geschwängerte Enge unter dem guten Dutzend anderer Paare auf der Tanzfläche das Erlaubte mit dem Unerlaubten zu amalgamieren.



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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (23.04.25, 07:35)
. :O
Situationen gibt's, die einen anständigen (!) Zwerg nur mit Entsetzen befüllen können!  8-) ;)

 Quoth meinte dazu am 23.04.25 um 08:59:
Da kann ich ja froh sein, dass Du Dich überhaupt getraut hast, es zu Ende zu lesen! Dank, liebe AchterZwerg!

 EkkehartMittelberg (23.04.25, 21:02)
Vielleicht beginnt im Schutze der Verkleidung eine verwegene Entscheidung.

LG
Ekki

 Quoth antwortete darauf am 24.04.25 um 11:15:
Hätte es sie einst gegeben, wäre ich wohl nicht am Leben. Gruß Quoth
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