Das Wasser des Lebens

Gedanke zum Thema Kraft/ kraftlos

von  eiskimo

Seltsam. An den Friedhöfen, diesen Stätten der Mumifizierung und des Zerfalls, gibt es immer Wasser. Das ist auch in Frankreich so, wo ich oft per Fahrrad unterwegs bin, auf längeren Tagestouren.  Mein Durst ist dann durchaus lebendig, und ich habe schon viele Friedhöfe besucht, nur um wieder „flüssig“ zu sein. Die Wasserstellen mit ihren Hähnen sind leicht zu finden.  Man erkennt sie an den Gießkannen und Kanistern, die dort abgestellt sind. Was mir auffällt:  Franzosen verwenden dabei gerne sogenannte Cubitainer, braune Fünf-Liter-Gefäße, in denen  vorher der billige Rotwein war –an die Gräber ihrer  Verflossenen bringen sie darin aber nun nur einfaches Wasser.  Stünde veritabler Wein etwa für eine unangenehme Wahrheit?  Die Behälter, wo vorher Weichspüler drin war, die werfen allerdings auch Fragen auf.

Viel zu gießen ist meist nicht – französische Friedhöfe bestehen zu großen Teilen aus Beton und imitiertem Marmor. Dahin Wasser zu bringen, ist eine Art Fetisch. Eine Symbolhandlung. Die Illusion, der Verstorbene bekäme damit neues Leben. In Form einer Pflanze.  Vielleicht will man auch etwas reinwaschen. Seine Missetaten. Eigene Versäumnisse. Wasser ist ja gnädig. Es fließt, wohin man will, Und es macht keinen Unterschied, ob da viel oder wenig Reinwaschung nötig wäre.

Ich finde das okay. Friedhöfe sind nicht abgeschlossen. Die Häufigkeit  und Dauer der Besuche wird nicht gemessen.  Der Gang zur Wasserstelle, das Gießen – es ist ja auch ein Programm. Zeit, der man  dort einen Sinn geben kann. Immerhin.

Was ich mit Sicherheit weiß, wenn ich da bei einem solchen Stopp meinen Durst stille:  Ich bin nur „de passage“, sozusagen Zaungast. Um es radsportlich auszudrücken: Das Friedhofswasser, es ist bloß Teil des Energiestoffwechsels. Es lässt mich dann wieder full power weiterstrampeln. 


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Kommentare zu diesem Text


 hehnerdreck (18.05.25, 00:33)
Ich kann mich noch sehr gut an meinen Besuch in einem Friedhof in Paris erinnern. Sehr imposant, diese riesigen Steine.

LG

 eiskimo meinte dazu am 18.05.25 um 08:44:
Ja, Steine, kaum Grün. Und Plastikblumen....

 AchterZwerg (18.05.25, 06:52)
Mir gefallen italienische Friedhöfe weitaus besser.
Und dann die Kanister! So viel Geschmacklosigkeit überrascht mich und wirkt kein bisschen "très chic."

Wenn die ihren Toten wenigstens noch einen Schoppen gönnen würden ... aber so ...

 eiskimo antwortete darauf am 18.05.25 um 08:47:
Italien zeigt auch in puncto Friedhof viel mehr Stil, da bin ich voll d' accordo...
Mein Tipp: Der Cimeterio monumentale von Bologna
LG
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