Ils sont devenus fous - Sie sind verrückt geworden

Tweet zum Thema Aufwachen

von  eiskimo

Er ziert regelmäßig die Titelseiten der französischen Regenbogenpresse. Jetzt wurde er auf Twitter und Necropedia vorzeitig für tot erklärt – natürlich, um in den seriöseren Medien wieder vollblumig aufzuerstehen, immer noch sexy, immer noch Frankreichs populärster Sänger, immer noch gut auch für politische Seitenhiebe, die sich der 78jährige in seiner mehr als 50jährigen Karriere stets leisten konnte: Michel Sardou.

Sein angeblicher Tod war Anlass, mal wieder einiger seiner Hits anklingen zu lassen, und ich hörte mit einiger Verwunderung den Titel „Vladimir Ilitch“.

Darin geht es tatsächlich auch um eine Art Auferstehung, denn Sardou fordert in dem Chanson keinen geringeren als den großen Revolutionär Lenin auf, doch schleunigst zurückzukehren in das desolate Russland: „Lénine, relève-toi, ils sont devenus fous!“ Wörtlich: Sie sind verrückt geworden.

Die Frauen in den Fabriken, so der Text, fühlten sich abgehängt, ihr Schicksal interessiere keinen. All die Jahre seien vergangen und nichts habe sich für sie geändert. Er, Vladimr Ilitch, wüsste doch, wie hart sie schufteten, und wohin ginge der Ertrag? In den Bau von Bomben!

Er, Vladimir Ilitch, habe doch von der Gleichbehandlung der Menschen geträumt – darum müsste es ihn doch schockieren, all diese „Häuser des Volkes“ in den reichen Wohnvierteln und all diese alten Männer, mit glitzernden Orden dekoriert.

Er möge schleunigst zurückkommen und mitten in Moskau seine Botschaft wiederholen, für alle Menschen in der Welt: Ils sont devenus fous!

Ein toll gesungenes Lied, sehr gefällig. Natürlich historisch sehr zu hinterfragen. Und natürlich habe ich mich gefragt, wann genau Michel Sardou damit die französischen Charts eroberte – etwa während der Regentschaft eines Vladimir - französisch geschrieben: Poutine ?




Anmerkung von eiskimo:

Das Lied entstand während des Prager Frühlings, also 1968. Sardou habe eine Reportage gesehen aus der tcheschischen Hauptstadt und darin das Graffito auf einer Hauswand: Lenin, komm zurück - sie sind verrückt geworden.
Sardou tritt auch im Jahre 2025 noch auf. Von ihm wurden inzwischen mehr als Hundert Millonen Tonträger verkauft. Wer den Film "Die Familie Bélier" kennt, hat darin sehr intensiv Sardou erleben können.

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Kommentare zu diesem Text

Graeculus (76)
(16.05.25, 17:58)
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 eiskimo meinte dazu am 16.05.25 um 19:38:
D' accord. Ich sagte ja, historisch fragwürdig. Aber kurios, dass auch der Gedanke an die aktuelle Lage aufkam.

 EkkehartMittelberg (16.05.25, 18:29)
Hallo eiskimo,
die Verehrung Lenins war einmal grenzenlos:

Der an den Schlaf der Welt rührt — Lenin

Er rührte an den Schlaf der Welt
Mit Worten, die Blitze waren,
Sie kamen auf Schienen und Flüssen daher
Durch alle Länder gefahren.

Er rührte an den Schlaf der Welt
Mit Worten, die wurden Brot,
Mit Worten, die wurden Armeen
Gegen die Hungersnot.
LG
Ekki


 eiskimo antwortete darauf am 16.05.25 um 19:40:
Ja, man erwartet den Heiland, und es kommt ein Despot...
Danke für die Illustration!
Eiskimo

 AchterZwerg schrieb daraufhin am 17.05.25 um 06:59:
Oft ist es aber so, dass jemand erst vom "Heiland" zum Despoten w i r d.
Dies gilt aus meiner Sicht durchaus für den Begründer der Sowjetunion, der maßgeblich an der Oktoberrevolution 1917 beteiligt war.
Niemand wird wohl leugnen wollen, dass diese Revolution absolut notwendig war.

Träume wiederholen sich. Die Ausführenden (und ihre Ziele) sind jedoch nicht vergleichbar.

Antwort geändert am 17.05.2025 um 07:01 Uhr

 eiskimo äußerte darauf am 17.05.25 um 08:12:
Da stimme ich Dir zu. Einmal an der Macht, gelten andere Prinzipien. Die Revolution frisst ihre Kinder...

 lugarex ergänzte dazu am 17.05.25 um 08:24:
Du hast Recht, Lenin war auch Denker und als Hersher ein guter Hecht. Nur die Weiber haben ihn beherrscht. :(
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