(Eine kleine Anatomie des Untergangs)
Wir schreiben das Jahr Zwei nach der vollständigen Entwertung aller Begriffe.
Liebe, Hoffnung, Linkssein, Männlichkeit, Körperkontakt. Alles tot oder in Therapie.
Berlin riecht nach leerem Bionade-Dosenpfand und Dildos aus Reishülsenkomposit. Neukölln ist eine Vexiermauer aus Antifa-Stickern und antisemitischem Hass auf Arabisch. Prenzlauer Berg atmet veganen Narzissmus. Die Gentrifizierung hat sich rückwärts wieder rausgeblutet, alles ist wieder grau. Es ist, als hätte das 20. Jahrhundert einen Boner bekommen und alles nochmal rausgehauen.
Und in diesem Zustand des Dazwischen – zwischen Identität und Insolvenz, zwischen Kapitalismuskritik und Sephora-Schminke – ficken Menschen. Noch. Wieder. Oder trotzig.
Sie tun es nicht, weil sie verliebt sind.
Sie tun es, obwohl die Welt es ihnen austreiben will.
Sie tun es, obwohl ihr Körper längst dem Digitalen gehört und ihr Begehren in Consent-Formulare gefaltet wurde.
Sie tun es, mit Posttrauma im Blick, mit Apokalypse in der Lendenwirbelsäule.
Sie tun es, obwohl sie wissen, dass nach dem Orgasmus die Depression kommt, wie ein Google-Kalendereintrag mit Push-Benachrichtigung.
Sie tun es, und das ist mutig.
Denn Mut ist nicht, Parolen zu schreien, die alle schreien.
Mut ist nicht, TikToks über Trauma zu posten.
Mut ist nicht, zu „stehen“ – für was auch immer heute wieder Trend ist.
Mut ist, sich in einer Welt, die Körper nur noch als Triggerzonen und Machtinstrumente begreift, nackt zu machen.
Mut ist, einen anderen Menschen zu berühren, obwohl alles in dir sagt: „Geh lieber zurück in die Kommentarspalte.“
Mut ist, in einer Ära der permanenten Empörung zu stöhnen.
Es gibt kein richtiges Leben im falschen, hat Adorno gesagt.
Aber vielleicht ein falsches Stöhnen im richtigen Moment.
Mutig ist, wer trotzdem fickt.
Weil es heißt: Ich bin noch da. Ich spüre noch. Ich wehre mich gegen das große Verschwinden in Meinung, Moral und Maschinen.
Ficken als letzte Revolte. Als Restwärme.
Als Trotz gegen eine Welt, die Liebe nur noch als Machtkritik lesen will.
Mutig ist, wer trotzdem fickt.
Auch wenn danach wieder geschwiegen wird.
Oder blockiert.
Oder erklärt.
Oder gecancelt.
Ficken als letzter Ort der Wahrheit.
Da, wo die Wörter aufhören, und der Körper sagt:
Ich lebe noch.
Du auch?