Licht nur auf Rezept
Text
von Isensee
Anmerkung von Isensee:
Die Dunkelheit wächst dir über die Schädeldecke^[1].
Sie trieft wie ein Tropfstein aus verschluckten Jahren^[2].
Ein bisschen Wut^[3].
Haare. Schweiß. Alte Zeitungen auf dem Küchentisch^[4].
Mehr als es Köpfe gibt.
Mehr als es Rechtfertigungen braucht.
Dann – ein Blitz.
Nur sichtbar,
weil alles andere versagt hat^[5].
Dank dir.
Du Schatten aus abgelaufenen Schuldgefühlen.
Du Dunkelheit,
die nur schützt, weil sie verdeckt.
Du Schuld, du Schweiß, du zerzaustes Gestern.
Und du,
bisschen Wut.
In der Ewigkeit regiert ein einziger Tag.
Er wiederholt sich,
aber nur,
weil niemand widerspricht^[6].
Denn es gibt keinen Kopf,
keine Stirn,
kein Genick,
das auf Dauer standhält
gegen diesen Strom,
der wie vergessene Zahnpasta überläuft.
Fußnoten:
- Im übertragenen wie im physischen Sinne – siehe: Burnout, Kollektiver Realitätsschwund, Kapitel 3, Vers 12.
- Hier deutet sich bereits die schleichende Melancholie des 21. Jahrhunderts an. Oder es ist einfach feucht.
- Diese Wut ist kein kapitalismuskritisches Konstrukt. Sie ist ein Überbleibsel. Wie ein Post-it ohne Text.
- Mit Kafferändern. Und der Schlagzeile: „Welt immer noch Welt.“
- Licht existiert nur als Erinnerung, wenn’s lang genug dunkel war. Philosophisch ist das okay, meteorologisch eher traurig.
- Das ist keine Zeitkritik. Das ist eine Wetterbeschreibung.
Kommentare zu diesem Text
dein Text hallt in mir nach. Du beschreibst die Dunkelheit nicht als etwas, das plötzlich über uns hereinbricht, sondern als etwas, das uns langsam und fast unmerklich umhüllt, so wie alte Schuldgefühle oder diese spezielle Stimmung, die bei Familienfesten in der Luft liegt. Es ist spannend, wie du die Dunkelheit nicht einfach als Abwesenheit von Licht darstellst, sondern als einen Zustand, der sich leise und beharrlich ausbreitet, bis er alles überdeckt.
Auch die kleinen Wutanfälle oder das Gefühl, dass die Vergangenheit an uns klebt wie Schweiß oder alte Zeitungen, beschreibst du nicht als große Dramen, sondern als stille Begleiter. Sie sind wie Erinnerungen, die immer wieder auftauchen, weil wir sie nicht vertreiben. Am Ende bleibt dieses Gefühl, dass sich manche Tage endlos wiederholen, weil wir uns nicht trauen, etwas zu verändern.
Du machst deutlich, dass Dunkelheit und Schuld keine Feinde sind, sondern alte Bekannte. Sie verstecken zwar den Schmerz, aber sie machen auch sichtbar, was uns fehlt, was in uns eindringt, immer wieder.
LG
Saira
Ohne die Fußnote 3 hätte ich das glatt falsch gelesen

LG Tula