Zwischen dem französischen Rapper von Gangster moderne und dem großen naturalistischen Schriftsteller Zola (1840-1902) liegen wohl Welten. Aber wenn man Mc Solaars „Concubine de l´ hémoglobine“ hört und dass da ein „Vogel des Unglücks über der Welt thront, dem menschliches Mitgefühl fremd ist“, dann ist man gar nicht so weit weg von Emile Zolas ungeschminkter Sozialgeschichte und Milieu-Abhängigkeit – zumindest thematisch.
Ich musste jedenfalls immer wieder an Solaars „Vogel des Unglücks“ denken, als ich Louis Roubieu begegnete, einem 70jährigen Bauern, der in der Nähe von Toulouse lebte. Im Nachhinein wäre ich ihm lieber nicht begegnet, denn als ich in Zolas Novelle „Die Überschwemmung“ las, wie ihm das Schicksal mitspielte, sah ich mich plötzlich auch selber in Gefahr.
Die Geschichte beginnt mit einem Happy End. Louis Roubieu hatte es nämlich geschafft. Dem Oberhaupt einer bäuerlichen Großfamilie war es mit Fleiß, aber auch einer sehr wohlgesonnenen Vorsehung gelungen, zu beträchtlichem Wohlstand zu kommen. Viele Jahre ertragreiche Ernten, Gesundheit, ein intaktes Familienleben und eine lange Periode des Friedens waren Paten dieses Aufstiegs gewesen.
Der Satz, der mich dann packte: Roubieu erklärte seinem Sohn an einem Frühsommerabend, als sie durch ihre Felder gingen und erneut erfreulich gute Ernten absehen konnten, dass ihm dieser Segen durchaus gerecht vorkomme – schließlich habe er niemanden je etwas zu Leide getan „und insofern habe ich mein großes Glück wohl auch verdient.“
Voller Optimismus und ungetrübter Selbstsicherheit kehrten sie von dem Rundgang zurück. Ein Kälbchen war geboren worden. Roubieus Enkelkinder waren ganz aufgeregt. Auch die Tochter kam mit einer guten Nachricht: Ihr Verlobter Gaspard hatte sich zum Abendessen angemeldet – es sollte die Hochzeit für den zweiten Sonntag im Juli besprochen werden. Für Roubieu war klar: Eine Flasche Wein musste auf den Tisch – die nächste Etappe Glück konnte begossen werden. Mein Held wähnte sich weiter auf der so trauten Sonnenseite.
So wie ich. Schwierige Zeiten gemeistert. Ein neues Kapitel Wohlstand vor Augen. Wieder ein Tag so gut versorgt. Das nächste Highlight schon im Visier. Als hätte ich es mir verdient…
Klar, dass Zola diese Steigerung des Glücks dann jäh abbrechen lässt. Die Garonne ist ja nicht weit.
Ich hatte den „Vogel des Unglücks“ schon vorausgeahnt. Es ist ein überhaupt nicht mitfühlender. Ebenso hautnah beschrieben wie die goldenen Jahre zuvor, beschreibt Zola den Untergang. Packend zu lesen. Mich hat es hart mitgenommen. Details will ich hier nicht verraten. Naturkatastrophen wie die an der Oder, an der Ahr oder zuletzt in Valencia werden präsent.
So liest sich also Zolas Naturalismus. Dagegen kommt mir der Rapper Mc Solaar fast sanftmütig vor.