Die Anonymen Erleuchteten

Satire zum Thema Sprache/ Sprachen

von  Saira

Sie nennen es Haltung.
In Wahrheit ist es Hunger – nach Macht, nach Beifall, nach jemandem, der kleiner ist als sie.

Sie jagen nicht, sie reagieren.
Sie hetzen nicht, sie kommentieren.
Sie zerstören nicht, sie stellen klar.

Jede neue Beute heißt Diskussion.
Jeder Klick ein Schuss.
Jede Empörung ein Beweis der eigenen Moral.

Das Rudel erkennt sich am Klang:
„Ich sag ja nur …“
„Man wird doch wohl noch …“
„Ich finde das einfach widerlich.“

Während sie sich gegenseitig beklatschen, wächst das Gefühl von Bedeutung –
ein Rausch aus Pixeln, ein Chor aus kalten Kehlen.

Sie glauben, anonym zu sein.
Doch wer so laut den Hass formuliert, trägt sein Gesicht längst im Satz.

Sie nennen sich kritisch.
Doch Kritik ist für sie nur Angriff mit Grammatik.
Sie sammeln sich wie Nachtfalter um das Licht eines fremden Gedankens,
bis er flackert und verlischt.
Dann nennen sie es Aufklärung.

Ihre Namen sind Tarnfarben.
Ihre Gewissen laufen im Energiesparmodus.
Sie wissen nicht, dass sie längst Teil einer Maschine geworden sind –
gefüttert mit Angst, geschmiert mit Applaus.

Sie brauchen keine Wahrheit.
Sie brauchen Spiegel.
Denn nur im Zittern derer, die sie anfallen,
erkennen sie für einen Moment, dass sie leben.

Was sie antreibt, ist kein Hass –
Hass wäre noch zu menschlich.
Es ist Leere, die sich tarnt,
und Angst, die sich Stimme leiht.

Das Opfer verstummt.
Sie nennen es Erfolg.

Doch nachts,
wenn das Klicken der Tastatur wie ein zu spät gelöschtes Geständnis klingt,
merkt selbst der Tapferste unter ihnen:

Das Gespenst, das sie jagen,
war nie der andere.
Es war ihr eigenes.

 

 

 

© Sigrun Al-Badri / 2025



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Kommentare zu diesem Text


 Antagonist (20.10.25, 13:02)
Man hasst im Gegenüber die eigenen Fehler, liebe Sigrun.

Andererseits sind diese Cliquenbildungen im Literaturforum typisch für das menschliche Wesen - wie in der Familie, am Arbeitsplatz und der Gesellschaft auch.

Mein Rezept ist da immer, mich selbst nicht bierernst zu nehmen, sondern stets Raum zu lassen für ein Händeschütteln nach dem Kampf.

 Saira meinte dazu am 20.10.25 um 13:22:
Ja, Antagonist, die Selbstspiegelung spielt eine große Rolle, aber sie darf nicht zur Entschuldigung werden.

Zwischen Erkenntnis und Verantwortung liegt die Entscheidung, ob man zuhört oder zuschlägt.


Das Händeschütteln nach dem Kampf ist ein schöner Gedanke, doch verliert er an Bedeutung, wenn man zuvor gelernt hat, den anderen zu verletzen, um sich selbst zu spüren.
Wer nach dem „Kampf“ die Hand reichen will, sollte sie vorher nicht zur Faust ballen.


Ich halte es lieber mit der Versöhnung vor dem Schlag – und mit Sprache als Raum für Begegnung, nicht für Demütigung.

 Antagonist antwortete darauf am 20.10.25 um 13:29:
Schön und gut, doch leider ist der Mensch kein rationales, sondern ein emotionales Wesen.

 Jack schrieb daraufhin am 20.10.25 um 13:39:
Rational oder emotional, wahre Kritiker sind hier nur Lala und Isensee.

 Antagonist äußerte darauf am 20.10.25 um 13:46:
Die freilich auch hochgradig emotional sind, lieber Jack.

 Saira ergänzte dazu am 20.10.25 um 13:56:
@Antagonist

Das Emotionale ist Teil des Menschseins, ja, aber kein Freibrief für Demütigung.
Gerade weil wir fühlende Wesen sind, tragen wir Verantwortung dafür, wie wir mit diesen Gefühlen umgehen.
Wer sie als Rechtfertigung nutzt, hat den Unterschied zwischen Menschlichkeit und Triebhaftigkeit noch nicht erkannt.


@Jack

Wahre Kritik hat keine Clique – sie steht für sich.
Alles andere ist nur Echo im eigenen Raum.

 Antagonist meinte dazu am 20.10.25 um 14:11:
Das werden Jack und ich uns hinter die Ohren schreiben, liebe Sigrun.

 Jack meinte dazu am 20.10.25 um 14:33:
Ich sprach von der Qualität der Kritik, nicht von gefälligen Meinungen. Die Beiden sind ich weiß nicht seit Jahrwievielten unsere besten Kritiker.

 Antagonist meinte dazu am 20.10.25 um 14:35:
Ich sehe mich als den besten Kritiker, Jack.

 Saira meinte dazu am 20.10.25 um 18:48:
@Antagonist
@Jack

Wer sich selbst zum besten Kritiker erhebt, verwechselt Urteil mit Einsicht.

Echte Kritik braucht keine Selbstkrönung, sondern Wahrhaftigkeit.


Und wer Emotion als Entschuldigung benutzt, zeigt nur, dass er sie nie beherrscht hat.


Antwort geändert am 20.10.2025 um 18:49 Uhr

 lugarex (20.10.25, 13:53)
aber das Foto ist wunderschön!

 Saira meinte dazu am 20.10.25 um 14:08:
:)

Antwort geändert am 20.10.2025 um 14:09 Uhr

 Antagonist meinte dazu am 20.10.25 um 14:15:
Meinst Du mein Foto, luga?

 S4SCH4 (20.10.25, 15:31)
Nur eine Idee (auch hins. Ekkeharts Text zum unauslöschlichen Hass von wegen Verträge usw.): Das Verarbeiten von Hass durch "Diskussion" ist eine Gratwanderung, ich hätte mir gewünscht hier nicht alle in einen Topf zu werfen, also die, die es noch versuchen, sondern eine gewisse Grauszone zuzulassen. Aber vielleicht lese ich den Text nochmal. Nur so ein Gedanke. Ich fände es halt schade, wenn die "Verarbeiter" von Hass usw. auch noch generell degradiert werden. VErarbeiter, sage ich, wobei es natürlich auch anders sein kann. Also...grüße, Sascha

 Antagonist meinte dazu am 20.10.25 um 15:33:
Lies das Gedicht ruhig noch einmal, lieber Sascha.

 S4SCH4 meinte dazu am 20.10.25 um 15:36:
ja, aber erstmal sacken lassen.

 Saira meinte dazu am 20.10.25 um 18:51:
Danke, Sascha, dein Gedanke ist berechtigt.

Natürlich gibt es eine Grauzone zwischen jenen, die sich ehrlich mit Hass auseinandersetzen, und denen, die ihn kultivieren.

Mein Text zielt auf Letztere ... auf jene, die aus der Empörung selbst ein Ritual machen.

Die Verarbeiter brauchen keine Abgrenzung, sondern Anerkennung.


LG
Saira

 S4SCH4 meinte dazu am 20.10.25 um 19:24:
Ja, Anerkennung ist besser als Abgrenzung. 
Es ist halt nur schwer zu unterscheiden. Das "ehrlich" mit Hass auseinandersetzen und das kultivieren schwimmt ineinander über. Manche spielen halt nun mal die Hater- Rolle, ob sie wollen oder nicht (?) Hier gilt Grenzen setzen, sich vereinabaren, nicht abgrenzen, sich nicht erheben etc. Aber es ist leichter gesagt als getan, wenn man erst einmal ins Visier geraten ist, das gebe ich zu.

 Saira meinte dazu am 20.10.25 um 19:39:
Das sehe ich auch so, Sascha, diese Grenze ist schwer zu ziehen.

Zwischen ehrlicher Auseinandersetzung und verletzender Schärfe liegt oft nur ein schlechter Moment.

Man will gehört werden und merkt zu spät, dass man selbst laut geworden ist.

Ich finde wichtig, dass wir uns trotzdem immer wieder bemühen, hinzusehen, gerade dann, wenn Sprache kippt oder jemand ins Visier gerät.

LG
Saira

 S4SCH4 meinte dazu am 20.10.25 um 20:03:
Danke für deine Worte, liebe Saira. 

"If God has a master plan
That only he understands
I hope it’s your eyes He’s seeing through"


aus dem Titel:


 Teo (20.10.25, 15:51)
Tach Sigi,
Interessant, deine Ausführungen. Erschreckend und anklagend.
Ich mache mich da auch nicht frei von einigen aufgeführten Passagen.
Was nicht sein kann, dass nicht sein darf. Habe ich doch tatsächlich mal für meine Sicht auf Vorgänge in Anspruch genommen. Falsch allemal. Ein Freund von mir hatte mal angedeutet, das die Taten krimineller Migranten beunruhigend auf ihn wirken. Manche haben ihn Rassist genannt.
Unglaublich! Die schwere dieser Vorwürfe war denen nicht bewusst.
Lieben Gruß 
Teo

 Antagonist meinte dazu am 20.10.25 um 17:27:
Was willst Du damit genau sagen?

 Teo meinte dazu am 20.10.25 um 17:35:
So können sich Dinge entwickeln.
Dieser Eigendynamik ist sich schwer zu entziehen

 Antagonist meinte dazu am 20.10.25 um 17:36:
Ach so.

 Saira meinte dazu am 20.10.25 um 18:53:
Ich danke dir, Teo, es zeigt Größe, dass du das so offen aussprichst.

Genau darum geht es: wie schnell Sprache kippen kann, wenn Angst oder Ärger das Ruder übernehmen.


Zwischen berechtigter Sorge und Pauschalisierung liegt manchmal nur ein einziger Satz, der anders gehört wird, als er gemeint war und leider gibt es Gruppen, die genau auf dieses „falsch Verstehen“ setzen, weil sie aus Spaltung Energie ziehen.


Liebe Grüße
Sigi

 AchterZwerg (20.10.25, 18:19)
Ja, liebe Sigi,

das lässt sich leider immer wieder beobachten.

Manchmal tun mir allerdings die Grobheiten oder  Verhaltensabweichungen (oft verbunden mit einer gestörten Impulskontrolle) solcher Leute richtig "gut". - Wer möchte sich schon länger mit denen befassen oder sie gar näher kennenlernen? 
Einfach abhaken!, 

Zwinkergrüße
Heidrun

 Antagonist meinte dazu am 20.10.25 um 18:36:
Meinst Du jetzt Volker und mich, liebe Heidrun?

 Saira meinte dazu am 20.10.25 um 19:03:
@Heidrun

Danke, liebe Heidrun, manchmal hilft tatsächlich nur Abstand, damit die eigene Ruhe wieder hörbar wird.


Aber manchmal kann man sich nicht einfach zurückziehen, etwa dann, wenn man sieht, dass ein kluger Autor von einer Gruppe niedergemacht wird.


Dann ist Schweigen keine Option mehr, sondern Beihilfe.
Ich mag deine klare, zugleich milde Art, sie bringt Licht in diese grauen Zonen des Miteinanders.  :) 

 
Liebe Grüße
Sigi
 
@Antagonist
Meine Satire braucht keine Zwischenrufe. Sie hört von allein, wer sich gemeint fühlt.

 Antagonist meinte dazu am 20.10.25 um 19:07:
Ich fühle mich auch gemeint, darf nichts sagen?

 Saira meinte dazu am 20.10.25 um 19:13:
Du darfst selbstverständlich etwas sagen, Antagonist,
aber nicht jedes „Ich“ ist automatisch gemeint, nur weil es sich im Spiegel erkennt.

 EkkehartMittelberg (20.10.25, 19:12)
Eine scharfsinnige Analyse, Sigi. Aber man sollte den anonymen Erleuchteten nur selten AufmerksamKeit widmen, denn

"Sie brauchen keine Wahrheit.
Sie brauchen Spiegel."


Liebe Grüße
Ekki

 Saira meinte dazu am 20.10.25 um 19:17:
Ja, Ekki, manchmal ist es bequemer, einfach weiterzublättern, wenn andere unter die Räder geraten.

Aber genau das macht das Schweigen so gefährlich: Es tarnt sich als Neutralität, ist aber in Wahrheit Zustimmung durch Abwesenheit.

Ich glaube, wer Sprache liebt, kann nicht tatenlos zusehen, wenn sie zur Waffe wird. Man muss nicht laut werden, aber man darf auch nicht still bleiben, wenn jemand ins Visier gerät.

Herzliche Grüße
Sigi

 Hannes (20.10.25, 20:38)
Liebe Saira,
ich lese deine Texte einfach.
Ohne zu kommentiernen, räsonieren, schwadronieren.
Ich lese deine Texte einfach gerne.
Der
Hannes

 dubdidu (20.10.25, 21:00)
Saira, in diesem Gedicht poetisierst du die psychische Verfassung der anonym Erleuchteten in einer Art und Weise, die ihre innere Gefangenheit prägnant zum Ausdruck bringt. Das Gedicht entfaltet eine nahezu beklemmende Wirkung. Nein, in diesen Häuten möchte man nicht stecken.

Besonders gut gefällt mir
ein Chor aus kalten Kehlen
ich höre das Klirren.


Freilich ist es tragisch, die Geister, die ihre Spuren in der eigenen Psyche hinterlassen haben, nicht nur nicht loszuwerden, sondern sie aktiv immer wieder selbst herbeizurufen, indem man sie auf andere projiziert.
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