Der Blick durchs Fenster, oder: Die Bewegungslosigkeit mitten in einen Teil des Lebens hinein?

Bild zum Thema Lebensbetrachtung

von  Fuchsiberlin

Meine Augen drücken sich durchs offene Fenster ins Leben hinein. Ein Flugzeug lärmt über meinem Kopf.   
Was mögen die Passagiere jetzt sehen? Mich bestimmt nicht, von dort oben sieht man keine Ameisen.

Unten vor der Haustür hinterlässt ein Hund eiin großes Häufchen. Sein Besitzer schaut zu und lässt den Kot liegen.

In der Wohnung gegenüber schaut jemand anders als ich ins Leben: Seine Finger bewegen die Tasten auf der Fernbedienung fürs TV-Gerät. Flach ist nicht immer nur der Bildschirm. Im Innehalten des Zappingzustands entwickelt sich für fünf Minuten ein Schlüssellochblick in eine Talkshow. Die Moderatorin provoziert bei ihren Gästen den Problemcrash. Hinter der Bühne wartet ein Psychologe.

Auf Sender 25 giert ein Unternehmen mit einem Gewinnspiel nach den Euros der Zuschauenden. Wähle 01379... Bei manch einem Anrufer, mit dem Drang zum Drücken der Wiederholtaste auf dem Telefon, präsentiert die nächste Rechnung, dass die Selbsthilfegrupe für Glücksspielsüchtige vielleicht bald Zuwachs erhält.

Ein Kabelsender spart an Investitionen für sein Programm: Die kleine Farm wurde günstig eingekauft. Filme aus den achtziger Jahren wecken nostalgische erinneruungsbehaftete Gefühle, oder lassen den Finger auf der Fernbedienung ein anderes Programm auswählen.

Vier Sender verkaufen gescriptete Reality-Dokus. Viele Laiendarsteller spielen eine Wirklichkeit nach, in der manchmal anfangs verbal-schlagende Paare Probleme im 30-Minuten-Takt eliminieren.Im Happyend wird ausgiebig gelächelt, umarmt und geknutscht. Wir brauchen keine Geist- und/oder Wunderheiler, via matter Scheibe ereignet sch schliesslich Wundersames.

Auf einem sat(t)en Sender erhalten Kranke und Menschen mit Handicap einen Vertrag als Artist für eine Zurschaustellnummer. Der traditionelle Zirkus verliert seine Zuschauer, und manch ein Fernsehsender trägt den unsichtbaren Vornamen „Circus“. Manege frei, doch wer klatscht Beifall?

Auf einem anderen Kanal schicki-mickit es. Prominente stellen den Winkel ihres Rampenlichts selbst ein, oder werden mit der Taschenlampe bestrahlt. Ein Stern(chen) knipst gerade das Licht aus. Sterne können verglühen.

Eine Dokumentation schickt vom anderen Ende der Welt das Bild eines Meerschweinchen-verspeisenden Menschen ins heimische Wohnzimmer. Auf dem nächsten Kanal erscheint die Meldung, dass Deutschlands Backstuben jährlich 500.000 Tonnen Brot in den Abfall werfen.

Ich schaue lange aus dem Fenster, und frage mich: Welcher Sender produziert dort draußen das Leben?

Zwischen einem hupenden Autofahrer, und den ungeordnet durcheinanderlaufenden (oder bezeichne es einfach als Individualität) homo sapiens bleibt mein Blick vor der Tür einer Kneipe haften. Ich zähle die Betrunkenen, die aus dieser sogenannten "Kaschemme" hinausstolpern, und frage mich nach dem Sinn meiner Zählung.

Ein frisch verliebtes Paar schlendert leichtfüsselnd über den Alltagsboulevard. Liebende sehen einen Regenbogen, selbst dann, wenn der Regen ausbleibt. Ich lächele.

Irgendein Gefühl vermittelt mir den Eindruck, ich bin gerade ein Fernsehzuschauer, dem das TV-Gerät fehlt. Ich bleibe bewegungslos am Fenster stehen. Kann oder will ich mich jetzt nicht bewegen? Eine Frage, die ich der kaputten Fensterscheibe stelle. Eigentlich stelle ich mir selbst diese Frage, deren Antwort ausbleibt.

Am anderen Ende der Welt übernimmt TV-los die Nacht die Regie. Eine Sternschnuppe fragt nach einem Wunsch. Doch wem fällt sofort einer ein? Ohne Wunsch zu sein, bedeutet nicht automatisch eine Wunschlosigkeit. Vielleicht resigniert ein Himmelsgucker, und zählt einfach nur die Sterne.

Nun muss ich mich doch bewegen. Meine Harnblase zwingt mich dazu. Ich schliesse das Fenster. Ein Glaser sollte demnächst ein neues Fensterglas einsetzen.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text

chichi† (80)
(26.09.12)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Fuchsiberlin meinte dazu am 26.09.12:
Dies freut mich sehr liebe Gerda:)

Ich danke Dir sehr.

Lg
Jörg
SigrunAl-Badri (52)
(26.09.12)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Fuchsiberlin antwortete darauf am 01.10.12:
Ja, liebe Sigrun, so verhält es sich leider. Die Nachfrage beeinflusst das Angebot.

Oh, das haste recht, bez. Deines Korrekturvorschlags, da moppelte ich doppelt. Die entsprechende Passage ändere ich gleich.

Ich danke Dir sehr:)

LG mit den Wünschen für einen wunderschönen Wochenstart verbunden,
Jörg

 Dieter_Rotmund (13.12.18)
Sehr moralinsauer.


Guten Morgen.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram