Widersprüche innerhalb der Vollkommenheit

Text

von  Ganna

Der tiefere Sinn der Zahl 12

Mit der Zehn als Grundlage unseres Dezimalsystems rechnen wir, doch zwölf machen das Dutzend voll. Die Zwölf erst steht für Vollendung, Vollkommenheit und Perfektion. Mit ihr wird die Runde geschlossen, ihr ist nichts mehr hinzuzufügen. Das galt früher und gilt heute noch für viele Kulturen der Erde und es geht oft mit unseren Empfindungen konform.

Seit Urzeiten versuchen die Menschen ihre Umwelt zu erfassen, zu vermessen und Vergleiche anzustellen, um die Erscheinungen der Natur und des Himmels interpretieren zu können. Dabei erwies und erweist es sich als schwierig, den manchmal nicht in ein System passenden Beobachtungen gerecht zu werden. So entstanden unterschiedliche Zähl- und Messsysteme, die sich in Abhängigkeit von herrschenden Weltanschauungen  durchsetzten  und wieder verworfen wurden, wenn sich mit neuen Erkenntnissen neue Systeme verbreiteten. Doch wie wir es auch sehen wollen oder zu sehen gewohnt sind, alle Regeln werden unvollkommen bleiben.

Die heilige Zahl

Die 12 gehört zu den drei heiligen Zahlen der Kabbala und steht für den 12fachen Ausdruck des Einfachen, der in Vollkommenheit mündet. Die Zwölf, besteht aus der Eins und der Zwei, Zahlen die gegensätzliche Prinzipien vertreten und sich in der Quersumme der 12, der Drei, zu Höherem vereinen. Die Eins bedeutet das Eine, Ungeteilte, das Göttliche, die Grundlage aller Existenz, dem Sein schlechthin, sich selber immer treu und in ihren Eigenheiten unveränderbar, steht der Zwei gegenüber, gespalten und nicht mehr wissend wo sie steht, hin und hergerissen zwischen den Polaritäten, die sie darstellt, Yin und Yan gleichermaßen Raum gebend.
Aus diesem Dilemma führt die Quersumme, die Drei, sich darüber erhebend und den Konflikt in Harmonie auflösend. Sie repräsentiert Geist, Körper und Seele, führt mit Vater, Mutter und Kind in die Zukunft und weist mit dem Gestern, Heute und Morgen auf das Jetzt.

Der Sinn erzeugt die Eins.
Die Eins erzeugt die Zwei.
Die Zwei erzeugt die Drei.
Die Drei erzeugt alle Dinge.
(Tao Te King)

Als erste Zahl eine Fläche bestimmend, geht die Drei in die Ebene, dehnt sich als Grundlage aus und schafft Stabilität. Alle weiteren Zahlen lassen sich auf die ersten drei Zahlen zurückführen, sie bleiben Wiederholung auf immer anderen Ebenen und Vervielfältigungen. 1, 2 und 3 sind genau vier Mal in der 12 enthalten. Somit erhöht  und stabilisiert sich die Wirkung der drei heiligen Zahlen durch die materiell ausgerichtete Vier.
Vier Mal die heilige Drei muss sich als unumstößliche Macht erweisen. Als 12 Fragmente zu einem Kreis geformt, wird sie unantastbar. Weltliche und geistige Ordnung sehen wir nun vereint.

Das Duodezimalsystem und unser Dutzend

In alter Zeit rechneten wir mit dem Duodezimalsystem, das sich nach 12 einstelligen Ziffern mit einem eigenständigen Namen ausrichtete. Erst mit der Dreizehn trat die Wiederholung ein, begann eine neue Qualität.
Die Grundlage des Duodezimalsystems bildete das Zählen mit Hilfe von Fingergliedern bis zur Zwölf an einer Hand, bei der der gegenständige Daumen die jeweils drei Glieder der vier Finger zählte. Mit Hilfe der anderen Hand konnte derart bis 60 gezählt werden. 12 Teile oder Stück bildeten ein Dutzend, 12 Dutzend ein Gros, zwölf Gros ein Maß und fünf Dutzend waren ein Schock. Dieses Zählsystem wird heute noch in einigen Ländern angewandt, wie zum Beispiel der Türkei, Irak, Indien und Indochina.
Die Teilbarkeit der 12 durch 2, 3, 4 und sechs machte sie verwendbar für eine gleichmäßige Teilung des Kreises, beim Bau des Rades und später beim Einrichten der Zeitmesser und Kalender.  Die Einteilung des Kreises in 360°, 12x30°,  soll schon von den Sumerern vorgenommen worden sein. Von den Griechen wurde diese Einteilung später übernommen und gelangte so in unseren Kulturkreis.

Wir teilen das Jahr in 12 Monate, sprechen von 12 Tierkreiszeichen, von 12 Tages und 12 Nachtstunden, von den 12 Stämmen des Volkes Israel und davon, dass die Griechen 12 Götter und Göttinnen verehrten. Die Römer hielten 450 v. Chr. im Forum Romanum ihre Gesetze auf 12 Tafeln fest, Jacob zeugte 12 Söhne und die Gebrüder Grimms überlieferten uns Märchen  von 12 Brüdern, die sich im Wald verstecken mussten und 12 Prinzessinnen, die jede Nacht ihre Schuhe zertanzten.
Die 12 selbst scheint so vollendet, dass eine Störung ihrer Anzahl einem Frevel gleichkommt. So „durften“ Jesus auch nur 12 Jünger begleiten, obwohl unbestritten ist, dass weitaus mehr ihm folgten.

Opfer der Regelmäßigkeit

Um die Regelmäßigkeit zu wahren mussten Opfer an Genauigkeit gebracht werden. Überflüssiges, was nicht regelgerecht war, durfte nicht erscheinen. Es wurde passend gemacht, was nicht passte und aus der Reihe fiel. Was die 12 überschritt, wurde vergessen, durfte nicht in Erscheinung treten und wurde verleugnet. Und wie es mit allem passiert, dem Unrecht geschieht, es wurde verteufelt und mit Schuld beladen. So haftet der 13, die der 12 folgt, immer ein mystisches Geheimnis an, etwas Gefährliches, Unerlaubtes, oft mit unwiderstehlichen Reizen verbunden, die Verführung zu Unregelmäßigkeit und Aufbegehren bedeuten.
In Mesopotamien und im alten China liegt der Ursprung unserer heute noch verwendeten zwölf Tierkreiszeichen, die sich in den zwölf Monaten des Jahres wiederspiegeln. Jedoch durchläuft die Sonne nicht 12 sondern 13 Tierkreiszeichen, die sich auf dem Zodiak (Tierkreis) befinden. Unterschlagen wird uns hier der Schlangenträger, der zwischen Skorpion und vor dem Schützen liegt. Dass jedem Tierkreiszeichen eine Spanne von 30° bemessen wird steht auf dem Papier, entspricht jedoch nicht den tatsächlichen Verhältnissen, denn die Sonne weilt von 37,2 ° in den Fischen bis gerade mal 6,7° im Skorpion. Hier wurde vereinfacht und versucht zu vergessen um eines Gleichmaßes willen, das sich so schön in seiner Vollendung zeigt, auch wenn diese nur vorgetäuscht ist.
Tatsächlich fügt sich unser Jahr auch zu genau 13 Monaten zu je 28 Tagen plus einem Tag für die Jahresumstellung. Doch die 13 durchbricht die Regelmäßigkeit und steht somit außerhalb des Kreises, der sich vor ihr schließen muss, will er seine Vollendung nicht gefährdet sehen. So wird die 13  verteufelt, verhext und man hängt ihr, die nach mathematischen Gesichtspunkten eine männliche Zahl darstellt, plötzlich die Weiblichkeit an. Die 12 aber wird in einen starren Rahmen gezwungen ihrer Vollkommenheit wegen und fällt so in Unfreiheit.

Die 12 Raunächte

In den 12 Raunächten jedoch tritt alles Regellose zutage, was sich sonst nicht zeigen darf. Aus der Nichtübereinstimmung des Kalenders mit den tatsächlich vorgefundenen Verhältnissen ergab sich in früher Zeit zwischen den Jahren ein „toter“ Raum des Überganges, nicht zuordenbare Tage in der finstersten Zeit.
Diese regellosen Tage verband  man schnell mit allem Gesetzlosen. Endlich gab es einen Platz, an dem es sich zeigen konnte. Und so betrat mit dem Weihnachtstage auch alles nicht Erfassbare, Unheimliche und Gesetzeslose die Wirklichkeit und Grenzen zu anderen Welten wurden durchscheinend.
Die 12 Raunächte, von denen sechs noch im alten Jahr lagen, sechs bereits im neuen, waren geboren und mit ihnen jede Menge Aberglauben. Gleichzeitig ein Raum, von Dämonen, Geistern und Unholden bevölkert, die man mit Lärm, Licht und Feuerwerk an Sylvester heute noch zu vertreiben sucht.
Während dieser Zeit wurden gerne Orakel befragt und Zauber wirkten besonders stark. Diese 12 Nächte sollen für die kommenden 12 Monate stehen und können zur Voraussicht und Wahrsagung genutzt werden. Vor allem nächtliche Träume geben Auskunft auf künftige Ereignisse des kommenden Jahres.

Dem Regellosen haftet immer Unheimlichkeit an, denn was man nicht kennt, lässt sich schlecht kontrollieren und was man nicht kontrollieren kann, macht Angst. Ließ sich erst einmal die Ordnung im Geist herstellen, würde sie unzweifelhaft auch auf die natürlichen Verhältnisse übergehen, so wollte man es sich glauben machen.

Der Gehängte

Ausgerechnet die 12. Tarotkarte stellt den Gehängten dar. Das Ende der Fahnenstange erreicht, begrenzt von einem Querbalken, der einen weiteren Aufstieg unmöglich macht, bleibt dem Angekommenen nichts, als seinen Standpunkt zu verändern und von dieser Warte aus einen neuen Blick auf die Welt zu werfen. Auch der Gehängte gelangte in seinem Streben zu Vollkommenheit, die er nun aus veränderter Position betrachtet und beurteilt. Auf dem Gipfel der Entfaltung angelangt, bleibt nur eine Veränderung der Richtung, das Einsteigen in eine neue Qualität nach einem Überprüfen der Lage.
Die Vollendung begegnet uns auch in der Kabbala bei Menschen mit der Charakterzahl 12, die dem Tierkreiszeichen der Fische entspricht, dem 12. Segment auf dem Zodiak, mit dem sich der Sonnenlauf im Kreis vollendet. Dieses Zeichen steht wie die 12 ganz im Sinne der Hingabe, der Aufopferung und des Dienens am anderen. Menschen mit der Charakterzahl 12 sind sehr sensitiv, empfindlich und für geistige Einflüsse offen. Sie sind meistens sehr gütig, herzlich, ehrlich, mitfühlend und besitzen eine ausgeprägte Phantasie.  Sie haften weniger am Irdischen, sind ganz Geist und Seele, als wüssten sie, dass mit der Überwindung der materiellen Welt sich ein neues Reich auftut.

So steht die 12 auch im Tierkreis für den vollendeten Kreislauf. Da allem Lebendigen Bewegung innewohnt, kann Vollkommenheit nicht von Dauer sein. Der Moment der Perfektion verlangt seine Auflösung, den Zerfall oder das spiralförmige Darüberhinauswachsen auf eine neue Ebene. Darin liegen Größe und Leid der Zwölf und unsere Faszination für diese Zahl.


Anmerkung von Ganna:

...weder "Zahl" noch "Zwölf" oder "Dreizehn", weder "Widersprüche" noch "Unvollkommenheit" stehen zur Auswahl, eine andere Entscheidung für ein Thema hätte nur beschränkend gewirkt, daher wählte ich "kein Thema"...was aber natürlich nicht richtig ist...

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (18.02.13)
Ich habe mich bisher nicht für Zahlensymbolik interessiert. Dein Text ist der erste, den ich zu dieser Thematik gelesen habe. Ich finde ihn sehr anregend.
LG
Ekki

 Ganna meinte dazu am 18.02.13:
...so einen langen Text zu lesen, das ist auch nicht selbstverständlich...

...doch, die Zahlen sind sehr interessant, in ihnen drückt sich das Universum aus...freut mich, dass Dir der Text gefallen hat...vielen Dank für die Empfehlung!

liebe Grüße von Ganna

 Jorge antwortete darauf am 21.02.13:
Ich finde es ebenso interessant.
Grüss euch beide herzlich
Jorge

 Ganna schrieb daraufhin am 21.02.13:
Danke...freut mich sehr!

Grüße von Ganna

 tulpenrot (07.03.13)
Man könnte ja darin weiter machen und sich auch Gedanken über die Zahl 144.000 oder die Zahl 11 machen - der Elferrat, der 11.11. usw. Oder die Zahl 7 oder die Zahl 3. Ich kenne mich da auch nicht genauer aus - nur am Rande, wenn es bestimmte Bibelstellen verlangten. Aber dies Thema ist interessant und eröffnet manch neue Sichtweise.
LG
tulpenrot

 Ganna äußerte darauf am 07.03.13:
...das ist unbedingt ein interessantes Thema...und ich mache auch weiter...so nach und nach...

LG Ganna
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