Perpetuum mobile

Expressionistisches Gedicht zum Thema Abendstimmung

von  Isaban

Noch immer schwallen Autos minutiös
und rostvergreiste Auspuffrohre knallen.
Die Hauswandschluchten wirken kariös.

Die Stadt hat eine Dunkelheit befallen.
Hysterisch kläfft ein viel zu kleiner Hund
sich seine viel zu kleine Kehle wund,
gehetzte, letzte Heimkehrschritte hallen.

Dezemberschwere Schattenkeile krallen
sich fest in Hauseingänge, Fenster und
wie angetackert an den müden Mund.
Blaugrünlich flimmern Hinterfenstergallen.

Ein Fernsehsprecher spricht erst vom Erlös,
danach vom Gürtel-etwas-enger-schnallen.
An Kreuzungsampeln hupt es schrill und bös.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text

Nimbus (37)
(10.06.13)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 AZU20 (10.06.13)
Diese Abendstimmung braucht man nicht unbedingt. Minutiös und gut eingefangen. LG

 Irma (10.06.13)
Durch die ungewöhnliche Strophenanordnung wird dieses Sonett tatsächlich zum Perpetuum mobile. Auf zwei Quartette folgen zwei Terzette, immer wieder. Es gibt keinen Anfang, kein Ende.

Das pulsierende Stadtleben kommt nie zur Ruhe. Die geschilderte Atmosphäre ist bedrückend, über allem liegt dieser Wunsch nach einem Ende, nach Frieden, Erlösung. Der bekannte Satz: 'Das Leben geht immer weiter.' erscheint hier fast wie eine Drohung. Kein Mensch taucht auf aus diesem Gewimmel. Und doch ist er implizit Bestandteil dieser Szenerie: die "rostvergreisten Auspuffrohre" und die "kariösen Häuserschluchten", die "wunde Kehle", der "müde Mund" und - wie ich finde besonders schön - die "flimmernden Hinterfenstergallen".

Wenn das Leben alt und krank ist, wächst unaufhaltsam die Sehnsucht nach dem Durchbrechen, nach einem Stillstand, nach dem Tod. Einem Tod, dessen Erreichbarkeit für dieses versteckte lyrische Ich unmöglich scheint. Das Herz schlägt immer weiter.

Der Überschrift entsprechend unaufhörlich gelesen. LG BirmchenIrmchen
(Kommentar korrigiert am 10.06.2013)

 Lluviagata meinte dazu am 10.06.13:
Besser kann man es nicht sagen! Toll, Irmchen! ♥

 Lluviagata (10.06.13)
Gefällt mir mit seinen wohlbekannten, aber doch eben schrecklichen Bildern, so dass man, wenn man nicht schon da wohnen würde ;), unweigerlich Sehnsucht nach dem Land, nach der Natur bekommt.

Du nimmst mich mit auf einen Spaziergang durch eine Nacht, die wie die vorherige und die vorvorherige ... abläuft, eine Nacht, die nie zur Ruhe kommt. Eine Szenerie, die vom Menschen beeinflusst, keinen Platz hat für Poesie, nur für ihre ureigensten Probleme da ist, um die sich alles drehen mag ...

Liebe Grüße
Llu ♥

 franky (10.06.13)
Hi liebe Sabine,

Das liest sich perfekt, ohne Holperer. Da entsteht ein Bild in mir, von engen Gassen und Häuserzeilen, aus denen Nachtschwärze und Dunst zum Himmel steigen. Sehr eindrücklich.

Liebe Grüße

Franky
ChrisJ. (44)
(10.06.13)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
Schrybyr† (67)
(26.07.13)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Isaban antwortete darauf am 26.07.13:
Herzlichen Dank! Deine Rückmeldung war mi eine Freude.
Gegenwartslyrik ist da, was wir draus machen.

Liebe Grüße

Sabine

 Nostuga schrieb daraufhin am 01.08.13:
Hallo Sabine, hallo Schrybyr,
ich stimme Schrybyr bezüglich des Expressionismus absolut zu. Mir schoss sofort "Die Stadt" von Alfred Lichtenstein in den Kopf, und die tut weh und wohl.
Genau wie Inhalt und Form deines Gedichtes, Sabine.
Handwerklich ist es ein Genuss, den man unabhängig davon schätzen muss, ob man sich traditioneller Reimerei am liebsten nur noch mit einem Ast stubsenderweise nähern mag, um zu schauen, ob sie schon tot ist, oder nicht.

Gefällt mir ganz, ganz ausgezeichnet.
Viele Grüße
Nostuga

 Isaban äußerte darauf am 01.08.13:
Gegenwartslyrik, ob nun gereimt oder ungereimt, ist das, was wir daraus machen, lieber Nostuga. Solange man heutige Themen und heutigen Sprachgebrauch verwendet und nicht etwa hölzern und mit Inversionen und Elisionen im Sprachgebrauch der vorletzten Jahrhunderte rumstelzt, kann Reimerei durchaus ein Genuss sein. Klar gehört Sturheit dazu, sein Ding durchzuziehen (und ja, Reimen ist mein Ding). Ich mags. Hab auch du herzlichen Dank für deine Rückmeldung (und glaub mir, sie zuckt noch! )

Liebe Grüße

Sabine

 Nostuga ergänzte dazu am 01.08.13:
Das brauchst du mir ja wohl nicht (mehr) sagen, liebe Sabine. ;)
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram