Johanne wundert sich. Die Schildkröte schaut auf eine Schale klaren Wassers und ein frisches grünes Salatblatt. Wann hatte es so was schon gegeben? Es wurde aufgeräumt! Und an dem Salatblatt heftet ein fremder Geruch. Sie schaut durch die Seitenwand ihres gläsernen Zuhauses - wer hat nur die Häkelumrandung entfernt? - und sieht ein Gewimmel aus Menschen, Blumen und Geschenken. Wo ist Erna?
,,Zum 100. Geburtstag von mir stellvertretend für die ganze Stadt alles Gute und dass Sie mir gesund bleiben!" hört sie. ,,Und zur Feier des Tages hier ein Blumenstrauss von uns allen, sozusagen!" Ein Mann hält einen Strauss Narzissen vor sich hin. Dabei kann Erna Narzissen gar nicht ausstehen. Und dann beugt er sich herab und drückt die Blumen in eine Hand, tatsächlich, in Ernas kleine runzlige Hand.
,,Und nun soll das Bläserquartett der Zeche " Paula" zum Zuge kommen!" Wummta, Wummta, dröhnt es. ,,Nicht doch, meine Liebe, nun weinen Sie doch nicht!", ruft des Bürgermeisters Begleiterin und entfaltet ein Taschentuch, das sie Erna - eine Kamera klickt- ebenfalls in die Hand drückt. Die weint doch nur, weil die Bläser sie an Helmut, den Arsch, erinnern. Der hat sie manchmal grün und blau geschlagen, da war ich selbst erst fünfzig und musste das mit ansehen. Ach nee, Und jetzt halten auch noch die Kumpels eine Ansprache: von der goldenen Zeit in der Grube und von Helmut, Erna und den Kindern. Dabei ist nur Tilly, die Tochter, da; sie kontrolliert die Pfleger. Wüßte die, dass im Sofakissen Scheine versteckt sind, würde die nicht lange hier bleiben. Peter war nicht gekommen. "Zu tun" hat der, wie oft.
"Was treibt Sie an? Ach ja, ich stelle mich kurz vor, Petrowsky, mein Name, Claudia Petrowsky, ich bin vom örtlichen Fernsehsender und stelle jeden Montag unseren Zuschauern einen Menschen im hohen Alter vor. Heute geht es um Sie. Also, was treibt Sie an?" Johanne versteht Ernas Antwort nicht, denn schon klirren die Sektgläser. Erna lacht, tatsächlich, als Frau Radebrecht vom örtlichen Häkelverein eine Häkelweste in gedeckten Farben hochhält - Klick!- und diese Erna überreicht. Johanne lacht, als Erna die ganze Weste aufribbelt und das Garn dann mit einer Schere in kurze Stücke schneidet. ,,Ich bleibe bei meinen Monstern!", ruft Erna und sticht mit einer Häkelnadel in das Armloch einer vampirartigen Gestalt. ,,Auf die nächsten hundert Jahre!" ruft Johanne und nippt an den Sekttropfen auf ihrem Salatblatt.
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