Weggehen 10 (Hüttenbau)

Text zum Thema Frauen/ Männer

von  Ganna

So wundervoll das Leben im Freien war, ich musste an den bevorstehenden Winter denken und mich darauf vorbereiten. Der Sommer würde vergehen, Herbststürme würden Regen mit sich bringen und die Temperaturen merklich abkühlen. Ein Sommer ist schnell vergangen.

Ich tat, was ich tun konnte und richtete mich nach den Möglichkeiten, die mir blieben. Es gab den Ziegenstall. Mein Mann hatte schon mit der Demontage begonnen und der Schnee des letzten Winters hatte das Dach einbrechen lassen. Aber immerhin, er war da und stellte einiges an Material zur Verfügung.
Nun sind die Ställe hier mitunter nicht so gebaut, wie wir Deutsche es kennen. Der Vorbesitzer und Halter von 30 Ziegen, welcher hier im Caravan noch seinen Käse machte und vor 25 Jahren auch offiziell verkaufen durfte, hatte Bäume geschlagen und deren Stämme in den Boden gerammt. An diesen wurden dann dünne Bretter genagelt, die sich zwischenzeitlich in alle Richtungen verzogen hatten. Die Dachbalken bestanden ebenso aus einfachen Stämmen, über die Wellblechplatten gelegt waren. An Fensters Stelle war ein Brett weggelassen worden, eine Tür hing lose in den am krummen Stamm angebrachten Scharnieren. Der Stall war ziemlich regendicht, immerhin und die natürliche Neigung des Waldbodens hatte dafür gesorgt, dass die Tiere nicht im eigenen Urin standen.

Neben dem Ziegenstall lag ein großer Stapel an Paletten. Außerdem gab es den Wald mit Bäumen und Feldsteinen, Flusssteine und einen sehr lehmigen Boden. Aus all dem musste sich doch eine Hütte bauen lassen, dachte ich. Die ersten Siedler der Steppe Amerikas hatten sich ihre Häuser aus Grassoden gebaut. Solches Material schien mir wesentlich unschöner, als Holz, Steine und Lehm.

Die Anwesenheit von Conny war ein wahrer Segen. Sie machte mein Vorhaben erst möglich, indem sie die Rolle der Hausfrau übernahm. Vormittags ging ich also nach wie vor in das Hotel putzen, während Conny den Kleinen hütete, Kräuter und Holz sammelte und das Essen zubereitete.

Nachmittags  widmete ich mich dem Bau meiner Hütte. Zuerst setzte ich mitten in den Ziegenstall, betrachtete die bestehende Konstruktion und dachte nach. Ich dachte sehr, sehr lange nach, denn die richtige Abfolge aller Arbeiten schien mir wichtig. Dann schaufelte ich allen Mist nach draußen und fuhr ihn mit der Schubkarre in den Garten, wo er verteilt wurde. Das allein nahm mehrere Tage in Anspruch.
Danach nahm ich den Stall auseinander, zuerst das Dach mit seinen schweren Wellblechplatten. Etwas von oben nach unten zu bekommen fällt immer leichter als umgekehrt. Von den Stämmen entfernte ich die Bretter, so dass nur noch das Gerüst des Stalles stehen blieb. Um jeden einzelnen Stamm herum grub ich ein Loch, um beurteilen zu können, ob sie noch stabil waren oder durch ihren Stand im Ziegenurin gelitten hatten. Zum Glück befanden sie sich noch in einem guten Zustand.

Nun musste ich jemanden mit einem Auto finden, der bereit war, mir so etwas wie Zement, Sand und Kies zu besorgen. Alle von mir gefragten Männer lehnten ab mit der Begründung, das würde so nicht gehen, das funktioniert so nicht, das kann man so nicht machen…außer Roger.

Er war der Einzige, der sich mit Vorurteilen zurückhielt und mir einfach half. Roger wohnte mit Frau und zwei Kindern 20 Minuten zu Fuß von mir entfernt im Caravan. Er war schon Jahre vor mir in die Pyrenäen gekommen, hatte die erste Zeit in einer Höhle gewohnt und später so wie ich in der Dienstmädchenkammer des Hotels, bevor er sich auf einem eigenem Stück Land niederlassen konnte. Er hatte das Leben ohne Geld erfahren und war nicht zuletzt aus diesem Grund außerordentlich kreativ, einfallsreich und hilfsbereit. Inzwischen bewohnte er mit Frau und zwei Kindern einen großen, komfortablen Caravan und lebte das ganze Jahr davon, dass er auf deutschen Weihnachtsmärkten französische Misteln verkaufte.
Glücklicherweise besaß Roger zu dieser Zeit einen LKW, denn er war dabei, einen Bierhandel aufzubauen. Das war eine geradezu geniale Fügung. Mit ihm zusammen holten wir Sand, Kies und Zement und Conny half mir, nach und nach die einzelnen Stämme einzubetonieren.

Die im Winter unter der Schneelast zerbrochenen Bäume im Dach mussten ersetzt werden. Ich fand, dass Esskastanien zu schönen geraden Stämmen in die Höhe wachsen. Gleich bei mir oben im Wald entdeckte ich mehrere prächtige Exemplare. Ohne zu wissen, auf was ich mich einließ, rückte ich den Bäumen mit einer einfachen Handsäge zu Leibe. Ich hatte keine Wahl, denn ich brauchte sie unbedingt. Natürlich hatte hier jeder Mann im Dorf mindestens eine Motorsäge. Doch meine bisherigen Erfahrungen sagten mir, dass der Weg zu ihnen, um sie um Hilfe zu bitten, umsonst sein würde. Eine nochmalige Abfuhr würden sie mir nicht erteilen.

Die Temperaturen stiegen  täglich über 30°. Der beim Sägen herunterrinnende Schweiß klebte mein T-Shirt auf  bizarre Weise auf die Haut und rann mir in die Augen. Ich schwitze so sehr, wie ich es mir nie habe vorstellen können. Mit anderen Worten, es war sehr mühsam, diese Bäume zu fällen. Aber ich schaffte es, befreite die Bäume von Ästen und Rinde und zog sie einzeln quer durch den Wald zu meinem Bauplatz.

Während Conny Kräuter für unsere Salate und Tees sammelte, hatte ich immer wieder Paletten in einzelne Bretter zerlegt, vorsichtig, damit sie nicht zerbrachen und die rostigen Nägel entfernt. Der Stapel der zum Bauen fertigen Bretter vergrößerte sich allmählich, während wir täglich aßen, was Conny sammelte. Das Ergebnis meiner Arbeit wuchs sichtbar an und das ihre verschwand fast augenblicklich wieder in unseren Mägen.
Frauen müssen stark sein, wenn sie es fertig bringen, ein Leben lang Arbeiten zu verrichten, von denen sich keine Resultate anhäufen lassen und nichts Erkennbares übrigbleibt. Sie sind das Rückgrat der Gesellschaft, aus ihnen erwächst die Zukunft, denn eine Zukunft kann aus keinem angehäuftem Material erwachsen, Zukunft entsteht aus der mitgegebenen inneren Kraft von Menschen.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 Regina (14.05.14)
Das hört sich wiederum sehr befriedigend an, trotz der großen Anstrengung.

 Ganna meinte dazu am 15.05.14:
...es war am Ende eine große Befriedigung, die mir sehr viel Kraft zurück gab...

LG Ganna

 Jorge (14.05.14)
Welche Kräfte hast du in dieser Zeit mobilisiert?
Alle Achtung!
Liebe Grüße
Jorge

 Ganna antwortete darauf am 15.05.14:
...ich kann es heute kaum noch glauben, wenn ich mich erinnere, aber Menschen sind sehr stark, wenn sie es sein müssen...

LG Ganna

 susidie (14.05.14)
Was kann ein Mensch alles leisten, wenn er will, wenn er muss. Die Hütte muss nunmal gebaut werden, egal was Man(n) dazu sagt. Schön ist auch hier wieder zu lesen, im richtigen Augenblick kommen die richtigen Menschen in dein Leben. Vorurteilsfrei, kreativ und hilfsbereit.
In deiner conclusio steckt sehr viel Wahrheit.
Liebe Grüße von Su :)

 Ganna schrieb daraufhin am 15.05.14:
...hinterher sieht man leicht, dass alles sich so fügt, als sollte es so sein...ich glaube auch nicht an Zufälle...

LG Ganna
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram