Damals

Sonett zum Thema Andere Welten

von  Isaban

Es hängt noch da, gebügelt und verpackt,
im toten Winkel des Designer-Schrankes,
ein weißes Kleid, ein elegantes, schlankes,
ein aufgeschlitztes Beinah-Artefakt.
Sie trug es nie. Seither fühlt sie sich nackt,
liegt der Geschmack des Schierlingsbechertrankes
auf ihrer Zunge und befeuchtet blankes
Nieverstehen, formt das Jetzt abstrakt.

Ihr Spiegelbild hat sie erneut gepackt,
es scheint sie in die Anderswelt zu saugen.
Sie kämpft nicht, nein, sie sucht den Blickkontakt,
wischt sich geübt die Splitter aus den Augen,
der Film spult sich zurück und sehr exakt
wäscht sie, was nie geschah, mit Innenlaugen.

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Kommentare zu diesem Text


 monalisa (26.03.18)
"Im toten Winkel des Designer-Schrankes" , da findest sich wohl so maches Unerfülltes und Ungelebtes, liebe Sabine.
Da es sich hier um ein weißes Kleid, noch dazu ein elegantes, schlankes (klanglich sehr intensiv hervorgehoben) handelt, tippe ich auf ein Brautkleid, eines das (aus welchen Gründen auch immer) nicht öffentlich getragen wurde. Weil die Hochzeit ausfiel!? Mag sein der Bräutigam hat sie 'sitzen lassen', mag sein, er ist umgekommem ... Seither fühlt sie sich nackt, schutzlos ausgeliefert den bedauernden, mitleidigen oder sogar hämisch- schadenfreudigen Blicken. Der Geschmack des 'Schierlingsbechers', das Gift des Todes oder Verrates liegt nach wie vor auf ihrer Zunge und gibt diesem 'Nichtverstehen' immer wieder neue Bitterkeit. Weil sie unfähig ist, es hinunter zu schlucken, bleibt das Jetzt abstakt, unbelebt, fremd und kalt ...
Soweit zeichnen die beiden Quartette eine Frau, die an ihrer Bitterkeit beinah erstickt.
In den Terzetten scheint sich endlich etwas zu bewegen: "Das Spiegelbild hat sie erneut gepackt, es scheint sie in die Anderswelt zu saugen". Der Leserin bleibt hier Raum, sich diese 'Anderswelt' und ihre Anziehung auszumalen, es könnte sowohl 'die gute alte Zeit', in der noch alles eitel Wonne war sein, als auch Todessehnsucht, als auch die Bereitschaft zum Aufbruch in ein neues Leben ... bezeichnen. Denn sie kämpft nicht dagegen an. Am nächsten liegt mir aber eine Deutung von Anderswelt als 'INNENWELT'. Sie lässt sich von ihrem Spiegelbild einsaugen, heißt für mich, sie verlässt die oberflächliche Ebene und versucht gekränkte Eitelkeit und Stolz und andere Äußerlichkeiten hinter sich zu lassen und zu sich selbst vorzudringen, zu begreifen, wo sie jetzt steht, was SIE jetzt nötig hat. Das Waschen mit 'Innelaugen' , ein sich selbst Reinigen, sich vom Schmutz hinderlicher und hemmender Gedanken und Gefühle befreien ...
So möchte ich selbst es am liebsten lesen. Da dein Sonett aber sehr vage und offen bleibt, sind natürlich auch andere Lesarten möglich.
Da sind neben dem anfangs genannten 'toten Winkel ...' noch sehr viel mehr ganz besondere Bilder enthalten 'ein aufgeschlitztes Beinah-Artefakt' etwa, in dem sich der beinah erfüllte Traum spiegelt, oder die 'Splitter aus den Augen' , die Schmerz und Trauer gleichermaßen symbolisieren, Tränen, die nicht einfach so ablaufen ...,

Das 'verpackt' des ersten Teils findest sein Pendant im 'gepackt' des zweiten, da wird noch nicht gleich aus-, aber doch angepackt. Überhaupt zieht sich der '-a(c)kt-Reim bis zum vorletzten Vers durchs ganze Gedicht. Das letzte Wort aber bleibt den 'Innenlaugen'. Das lässt hoffen!

Liebe Grüße
mona

 Isaban meinte dazu am 27.03.18:
Hallo Mona,

du Licht meines Montagabends!

Auch hier wieder eine wundervolle Interpretation - du kannst es halt. Ja, diesmal habe ich viel offen gelassen, all das, woran das LI kaum denken mag/kann, das Nieverstehen und auch das Nichtsehenwollen, welches das Jetzt abstrakt formt blockieren den Rest.

Ich danke dir vielmals für deine Rückmeldung und die intesive Auseinandersetzung mit meinem Text.

Liebe Grüße in deinen Dienstagabend

Sabine (heute etwas knapp an Zeit)
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