Schleichpfad

Gedicht zum Thema Allzu Menschliches

von  Isaban

Wir lachten und tranken den Morgen so grün,
die Zehen im Moos und den Kopf wolkennah,
im oberen Blau sah man Zugvögel ziehn,
die schienen beinahe nicht wahr.

Da dachten wir Sachen, die waren so klar,
die machten für uns so viel Sinn,
die waren für jetzt und für immerdar.
Ich war eine Närrin und du warst ein Narr.

Wer närrisch ist, fällt manchmal hin.
Der Kuckuck beschrie jeden Tag die Gefahr,
wir glaubten noch an Medizin -
er schrie von September bis Februar.

Da standen wir, lauschten mit Eiswind im Haar,
zusammen bei Winterbeginn,
gerieten unmerklich zu Inventar
und schluckten zuviel Aspirin,

bis irgendwann
gar nichts
mehr
ging.

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Kommentare zu diesem Text


 AZU20 (28.02.16)
Eine überzeugende Darstellung, aber eigentlich schade. LG

 tigujo (29.02.16)
.
...vom Moos blieb bloß Nebel. Der hing.


Was soll ich ankreuzen: Berührend? Tiefsinnig? Gar - wahr?
Ich kreuze mir innerlich an: Toll!

LG tigujo

 Irma (01.03.16)
Für mich ist das ein trauriges Beziehungsgedicht, vom anfänglichen Schönreden (bzw. beschwipsten Schöntrinken) bis hin zur völligen Auflösung (die letzen Worte tun so, als wären sie noch eine intakte Strophe, sind aber im Grunde nichts weiter als ein abschließender, anhänglicher Vers).

Das Sich-in-einer-Schein-Sicherheit-Wiegen kommt durch den schwingenden Daktylus (mit Auftakt) gut heraus. Dass die Beziehung von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist, wird jedoch bereits durch die unreinen Reime (grün - ziehn und und nah - wahr) in der ersten Strophe klar. Das Paar macht sich etwas vor. Alles ist fast zu schön, um wahr zu sein. Die vierte Hebung fehlt bereits im vierten Vers (und auch später immer wieder).

Dass alles umgekehrt als gedacht ist, zeigt die Umkehrung der Reimfolge in der zweiten Strophe (der A-Reim wird zum B-Reim und andersherum). Die Selbsttäuschung geht sogar so weit, dass sich der anfängliche Kreuzreim in der zweiten Strophe kurzzeitig zum Paar(-reim) wandelt (Z.7 bis Z.8). Der dreifache A-Reim ist jedoch „närrisch“, und der erwartete Reim auf „Sinn“ folgt auch prompt mit dem „hin“ zu Beginn von Strophe drei.

Der „Kuckuck“ (Z.10) und die „Medizin“ (Z.11) könnten natürlich auch auf den tatsächlichen Tod hindeuten, aber ich interpretiere beides eher in Richtung von: Die Beziehung war schon von Beginn an totgesagt, aber die beiden Liebenden wollten das nicht hören.

Am Ende bricht der Winter und die Kälte ein. Da helfen auch keine Schmerzmittel („Aspirin“, Z.16) mehr. Die Liebe hat sich klammheimlich ausgeschlichen („Schleichpfad“), und die beiden Beteiligten sind längst nicht mehr Handelnde, sondern können alles nur noch stillschweigend hinnehmen („Inventar“, Z.15).

Besonders gut gefällt mir in dem Gedicht das Spiel mit den unreinen Reimen, das sich komplett durchzieht: Dieser Wechsel zwischen den langvokaligen i-Reimen („ziehn“, „Medizin“, „Aspirin“) und den kurzvokaligen i-Reimen („Sinn“, „hin“, „-beginn“).

Sehr interessant sind auch die Zeilen sieben, zwölf und fünfzehn, da hier jeweils eine unbetonte daktylische Silbe fehlt: Ein trochäisches Versende. Man muss daher eine kleine Atempause einlegen vor „immerdar“ (V.7), „Februar“ (V.12) und „Inventar“ (V.15), um diese Verse noch rhythmisch lesen zu können. - Sehr reizvoll!

Meiner Meinung nach eins deiner besten, Sabine! LG Irma
(Kommentar korrigiert am 02.03.2016)
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