Momento

Gedicht zum Thema Augenblick

von  Isaban

Vom Himmel fiel die graue Feder
auf den Asphalt. Die Luft war voll Benzin,
der Stau war Stau, es fluchte jeder;
ich schob mein Knie zu seiner Rechten hin.

Vom Himmel fiel die graue Feder,
das Auto kroch am Unfallort vorbei,
ein Sani legte grade den Katheter,
der Kopf des Opfers war ein Purpurbrei.

Vom Himmel fiel die graue Feder,
ein Notarztwagen schoss zum Autowrack,
wo körperfern auf echtem Leder
ein abgetrennter Finger lag.

Ich weiß nicht, woher kam die Feder,
war da ein Vogel, Engel, war da nichts?
Ich wünschte nur, ich wüsste weder

vom Arbeitstrab der Bahrenträger,
dem tiefen Höllenrot des Abendlichts,
noch von der Menschlichkeit des Breigesichts.

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Kommentare zu diesem Text


 Annabell (02.02.19)
Katheder schreibt man so: Katheter!

 Isaban meinte dazu am 02.02.19:
Danke schön!

 eiskimo (02.02.19)
Wauw - ein Gedicht zu dem Thema, zu dieser Situation da - alle Achtung! Manche werden da vielleicht von Voyeurismus reden und dem Gaffer-Effekt. Aber die graue Feder, die vom Himmel fällt, hebt das Geschehen ja auf eine ganz andere Ebene. Und dass da kurz auch ein Engel in Erwägung gezogen wird - da ist man schon fast im Transzendentalen.
Ich bin jedenfalls total in dieser Situation drin, auch mit dem Schlussgedanken, dass ich das alles lieber nicht hätte sehen (lesen) müssen.
Nochmal: Chapeau! Sehr packend, aber auch ein bisschen beklemmend.
lG
eiskimo

 Isaban antwortete darauf am 17.02.19:
Packend und beklemmend - ja. Genau das sollte er sein.

Er sollte packen und vermitteln, wie grauenhaft das Geschehen ist und dass es sich um Bilder handelt, die man wirklich nicht gesehen haben will, ob es sich um Gafferblicke oder um Blicke von Personen handelt, die - gefangen im Stau - unversehens und unfreiwillig im Schritttempo an diesem Unfallort vorbeigeschoben wurden und sich dieser grauenhaften Bilder nicht erwehren konnten. Ich habe versucht, den Leser mit duch den Stau zu schieben - es scheint mir gelungen zu sein, auch wenn es (ganz klar!) nicht allen gefällt.

Vielen Dank für deine Rückmeldung und den Hut!
LG Isaban

 Momo (02.02.19)
Hier scheint es sich um eine morbide Feder zu handeln. Das „Breigesicht“ verursacht Übelkeit.

Für ein Gedicht sind mir die Beschreibungen, du würdest sagen Bebilderung, zu explizit. Sie wirkt erdrückend, lässt kaum mehr Raum. Die graue Feder bzw. Feder, die durch viermalige Wiederholung eine Gewichtung bekommt, schafft es nicht, eine Balance herzustellen.

Liebe Grüße, M.

 Isaban schrieb daraufhin am 17.02.19:
Liebe Momo,

ich fürchte, ohne diese Beschreibungen würde der Text nicht das aussagen, was ich bebildern wollte. Schade, dass er dir nicht zusagt, aber da kann man wohl nichts machen - es ist nun mal kein schönes oder auch nur halbwegs dezentes Thema, wobei ich glaube, dass dabei nicht zwingend das Text-Genre ausschlaggebend ist.

Liebe Grüße, S.

 EkkehartMittelberg (02.02.19)
Ein schrecklicher Moment, naturalistisch beschrieben. Wenn man ihn zum Gegenstand eines Gedichts macht, sollte man so eng an der Wirklichkeit sein wie hier. Alles andere wäre der Versuch, Sinnloses zu schönen.

 Isaban äußerte darauf am 17.02.19:
Ja, lieber Ekki, dem kann ich nur zustimmen.
Es geht um Bilder, die man nie wieder loswird, um Wissen und Bilder, von denen man viel lieber verschont geblieben wäre. Ein schwerer Autounfall ist nie romantisch, ist nie wirklich lyrisch, ist definitiv nichts, was man schönen sollte oder kann: Daran gibt es nichts Schönes.

Vielen Dank für deine Rückmeldung.

Freundliche Grüße,
Sabine

 Borek (02.02.19)
Es ist und war immer eine erschreckende Situation wenn man auf der Straße lag und an einen Unfall vorbeifahren musste.
Und es war immer ein Dank vorhanden nicht betroffen zu sein.
Ich glaube ich bin zweimal um die Erde gereist mit dem Auto
aber was mich heute berührt: sind " Die Gaffer, die Behinderer von
Rettungshelfern. Die Freude und Fotolust an solchen
Situationen haben. Es ist heute viel schlimmer als vor 20 Jahren

 Isaban ergänzte dazu am 17.02.19:
Hallo Borek,

vor zwanzig Jahren hatten noch nicht alle Fotohandys zur Hand, was den Rettungshelfern die Arbeit durchaus erleichterte - aber Gaffer gab es schon immer.

Man darf allerdings nicht alle, die im Stau gefangen an einer Unfallstelle vorbeigeschoben werden, in die Gaffer-Schublade packen. Manchmal ist man gezwungen, etwas mitanzusehen, was man viel lieber niemals gesehen hätte.

So erging es dem lyrischen Ich im Text. Manche Bilder will man nicht in seinem Kopf haben; die Gefahr, dass man sie nie wieder loswird ist viel zu groß.

Freundliche Grüße,
Isaban

 AZU20 (03.02.19)
Das ging mir beim Lesen nah. LG

 Isaban meinte dazu am 17.02.19:
Dann hat der Text so funktioniert, wie ich es mir erhofft hatte, lieber Armin. Vielen Dank für deine Rückmeldung.

LG
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