Der Graue

Innerer Monolog zum Thema Depression

von  EkkehartMittelberg

Ich war einmal ein viel beachteter und sehr geachteter Mensch. Als Geschäftsmann legte ich Wert darauf, seriös zu erscheinen, und trug stets graue Anzüge, um dies äußerlich sichtbar zu machen. Dazu wählte ich die passenden Krawatten, die in einem dezenten Grau schimmerten. Man nannte mich den Grauen, und das war mir recht so.

Ich hatte, solange die Geschäfte liefen, mehrere Freunde – Geschäftsfreunde würde ich rückschauend sagen - und hatte immer ein Glamourgirl an meiner Seite, das meine Bedeutung unterstrich. So lebte ich mit mir selbst und anderen, wenn sie meine Geschäfte nicht störten, zufrieden dahin, bis ich mich eines Tages verspekulierte. Der große materielle Verlust war der erste Schritt ins Unglück, und dieser zog andere nach sich, so sehr ich mich auch bemühte.

Es war nicht zu verhindern, dass mein geschäftliches Versagen öffentlich bekannt wurde, und mit den Geschäftspartnern zogen sich auch meine Freunde und Freundinnen zurück. Es wurde still um mich.

Um meine Existenz musste ich mich nicht sorgen; denn ich hatte für diesen Fall eine gute Versicherung abgeschlossen. Aber diese Stille warf mich aus der Bahn. Ich war sie nicht gewohnt.

Wenn ich damals gewusst hätte, was mich erwartete, hätte ich mir gewünscht, dass es bei ihr bliebe. So aber befiel mich nach einigen Wochen trostloser Einsamkeit die Depression. Es begann damit, dass ich mich über nichts mehr freuen konnte und heute fühle ich mich wie gelähmt.

Ein dichter grauer Nebel, durch den kein Sonnenstrahl dringt, schnürt mich ein. Früher erkannte ich die Nuancen aller Farben, und es war mir eine Freude, mich mit unterschiedlichen Grautönen zu kleiden. Heute empfinde ich alle Farben so, als läge ein grauer Belag auf ihnen. Ich versuche sie mir  wieder in Erinnerung zu rufen, aber sie verschwinden als Stereotypen in dem Nebel, weil ich sie nicht mit lebendigem Empfinden füllen kann.
So wie mit den Farben ergeht es mir mit den Klängen der Musik, die ich einmal so geliebt habe. Sie perlen an der stumpfen Haut ab, die meine innere Leere umhüllt, und bringen nichts zum Schwingen. Die Poren meiner Seele haben sich zusammengezogen und stoßen sie ab.

Mein schlimmstes Versagen ist aber, dass eine diffuse Angst mich unfähig zur Kommunikation macht. Logisch betrachtet weiß ich, dass ich, um aus dem Nebeltal herauszukommen, meine Defizite preisgeben müsste. Ich habe auch schon versucht, sie Menschen, die mir zuverlässig erschienen, wenigstens partiell mitzuteilen. Wenn ich das getan hatte und emotionale Nähe spürte, befiel mich diese Angst, dass ich mich ausliefere und ich blockte ab, weil ich nur gelernt habe, souverän zu erscheinen und keine Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ich kann mit Gefühlen nicht umgehen, mit meinen eigenen nicht und erst recht nicht mit denen anderer.

Ich vereinsame immer mehr, betäubt von meiner Angst, und lebe so dahin.

Januar 2014
Anmerkung: „Der Versager“ ist in personaler Erzählperspektive aus der Außensicht geschrieben,dieser Text in der Ich-Perspektive aus der Innensicht.
Damit möchte ich die Kommentierung nicht auf die Erzählperspektiven festlegen.

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Kommentare zu diesem Text


 Artname (07.02.20)
Ein hochinteressantes und zugleich gelungenes Experiment, die Entwicklung eines permanenten Versagens aus der Aussen- UND Innenperspektive darzustellen.

Und auch in dieser, also der Innenansicht, fehlt mir wieder eine bestimmte Art von Reflexionen: der altersweise Versuch, den Niedergang positiv umzudeuten.

Ich nehme mal das veränderte Verhältnis zur Musik. Früher liebte das LI das Auf und Ab der Emotionen im Spiel der Instrumente. Sagen wir mal, dass die betreffende Person früher gern leidenschaftlich tanzte. Heute jedoch meditiert sie nur noch zu sich monoton wiederholenden Tonreihen - und erkennt in den seltenen Variationen die sich ewig hinschleppende Erbsünde der Menschheit. Es wird Zeit für das LI, dieses irdische Trauerspiel für immer zu verlassen. ...

So entwickelt sich mit der zunehmende Depression zugleich eine eng verbundene "konstruktive" Deutung: Das LI bleibt sich treu bis in das Grab.

Kann sein, dass derartige Einfälle letztlich nur einer mittlerweilen verstaubten Poetik entspringen - in meiner Denkweise existieren sie jedenfalls!

Fazit: Ich danke dir für die beiden sehr anregenden Texte über das Versagen.

Kommentar geändert am 07.02.2020 um 03:44 Uhr

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 07.02.20:
Merci, Artname, ich weiß, was du mit der positiven Umdeutung meinst. Ich kann dir aber nicht versprechen, dass mir das bei Texten dieser Art gelingen wird, weil ich aus einer Stimmung heraus schreibe und die Texte allenfalls später ändern könnte. Vermutlich wirken sie dann aber brüchig.
LG
Ekki

 Artname antwortete darauf am 07.02.20:
Ich kann dir aber nicht versprechen, dass mir das bei Texten dieser Art gelingen wird, weil ich aus einer Stimmung heraus schreibe und die Texte allenfalls später ändern könnte. Vermutlich wirken sie dann aber brüchig.

Lieber Ekki, wer bin ich denn, dass man mir etwas versprechen müsste!

Ich mag zu allererst den stabilen, klugen Tonfall deiner Beiträge. Vielleicht vertragen sich aber Stabilität und Hinterfragen bei Lichte besehen weniger gut, als ich leichtfertig annehme.

Das mit der eventuellen Brüchigkeit nach einem Ändern stimmt! Hm... Also ist dir als Autor eine emotional stabile Ausstrahlung wichtiger als eine - sagen wir mal - authentische Wirkung? Oder siehst du in einer betont stabilen Aussage ebenfalls Authentizität?

Naja, ich bin vom Sternbild tatsächlich Zwilling...

lg

 AchterZwerg schrieb daraufhin am 08.02.20:
Hochachtungsvoll (ja, so hieß das früher) grüßt
der8. :)

 Annabell (07.02.20)
Lieber Ekki,
... dazu wählte ich die passenden Krawatten ... (wählte = ein "e" fehlt). Den gesamten Text muß ich noch lesen.
Schönes WE wünscht Dir
Annabel
(am Schluß: ... Innensicht (großes "I")

Kommentar geändert am 07.02.2020 um 07:35 Uhr

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 07.02.20:
Danke für dein aufmerksames Lesen, Annabell.
Ich wünsche dir viel Sonnenschein am Wochenende.
Cora (29)
(07.02.20)
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 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 07.02.20:
"Für diesen Fall" bezieht sich auf "Existenz" und "sorgen". Es handelt sich also um eine Versicherung für den materiellen Notfall.
Cora (29) meinte dazu am 07.02.20:
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 AZU20 (07.02.20)
Ich denke, wenn der Mensch erkannt hat, was mit ihm los ist, dann hat er auch Möglichkreiten, sich zu befreien, vermutlich aber nur mit professioneller Hilfe. Jetzt geht es nur darum, das zu erkennen und diese Hilfe aktiv zu suchen. Leicht ist das nicht. LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 07.02.20:
Danke Armin. Der Graue ist auf gutem Wege, seine Psyche zu erkennen. Wenn er die Furcht überwindet, nicht souverän zu erscheinen, kann er professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.
LG
Ekki
Sätzer (77)
(07.02.20)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 07.02.20:
Merci, Uwe. Ich denke mir, dass für Spekulanten die Gefahr, bei großen Verlusten in Depression zu verfallen, besonders groß ist. weil sie nur gelernt haben, sich über Geld und Dinge, die sie damit kaufen können, zu definieren.
LG
Ekki

 Borek (07.02.20)
Lieber verehrter KV Freund
Kommentar kommt etwas später, aber ähnlich Erscheinungen
sind mir nicht ubbekannt
Die vielen blauen Anzüge hängen unberührt im Kleiderschranl
und gern möchte ioch einmal wieder mit Krawatte und
auf hochglanz geputzten Schuhen ein eleganter Mann sein.
Liebe Grüße
Borek

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 07.02.20:
Gracias Borek, es freut mich sehr, dass meine erfundene Geschichte eine Entsprechung in der Realität hat.
Liebe Grüße
Ekki

 niemand (07.02.20)
In diesem Monolog wird ein Mensch sichtbar, dessen gesamte Existenz auf das Wort "Geschäfte" ausgelegt und fixiert war.
Alle anderen menschlichen Facetten wurden entweder vernachlässigt und ausgeblendet. Wenn jemand auf einen dermaßen zentralen Punkt festgelegt lebt und sich dadurch und nur dadurch definiert, ist es verständlich, dass beim Verlust dessen [der Möglichkeit Geschäfte zu tätigen] ein Zusammenbruch quasi vorprogrammiert ist. Ein Zusammenbruch kann sich jedoch verschieden äußern und dieser hier mündet in eine Depression. Um sich aus einer solchen zu befreien, müsste man andere Fixpunkte finden/erfinden, aber da alle Gebiete [außer den geschäftlichen] vernachlässigt/nicht gepflegt wurden, ist die Leere nur eine natürliche Konsequenz. Ich finde es gut geschrieben/beschrieben. Es ist nicht zu dick aufgetragen, nicht alles vorgekaut, dass dem Leser noch eine Möglichkeit zur Fantasie bleibt. Einer Fantasie z.B. wie es denn doch weiter gehen könnte, oder ob überhaupt, oder nicht ...
Mit lieben Grüßen, Irene

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 07.02.20:
Vielen Dank, Irene, deine Interpretation trifft meine Intention genau.
Liebe Grüße
Ekki

 TrekanBelluvitsh (07.02.20)
Das "Schöne" an dieser Geschichte ist, dass es hier einen eindeutigen Ausweg gibt: Die Beschäftigung mit dem verzerrten Selbstbild, dass sich nur über den geschäftlichen Erfolg definiert. Wie gesagt: eindeutig. Bitte nicht verwechseln mit einfach.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 07.02.20:
Vielen Dank, Trekan. Der Graue ist jetzt bereit, sich als soziales Wesen zu definieren. Um das zu leisten, muss er lernen, emotionale Nähe zuzulassen. Das wird wohl nur mit professioneller Hilfe möglich sein. Den ersten Schritt muss er selber tun, indem er sich entschließt, diese anzunehmen.
Stelzie (55)
(07.02.20)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 07.02.20:
Grazie ,Kerstin. Der Graue hat keine Vorsorge für depressive Zeiten getroffen.. Ich versuche meine Freundschaften zu pflegen. Ich hoffe, dass sie sich meiner erinnern auch dann, wenn ich hilflos bin.
Liebe Grüße
Ekki

 GastIltis (07.02.20)
Hallo Ekki,
das ist nun mal eine Welt, die du hier beschreibst, die mir verhältnismäßig fremd ist. Natürlich kannte bzw. kenne ich auch Leute, die speziell bei uns sich an der Marktwirtschaft versucht haben, und trotz bemerkenswerter Anfangserfolge letztendlich gescheitert sind. Und mir sind auch z.T. die Ursachen für das Scheitern bekannt geworden, die nicht in ihrer Unfähigkeit oder im Leichtsinn bzw. in einsetzender Überheblichkeit lagen, sondern im Fehlen der Fähigkeit, mit der Skrupellosigkeit anderer umgehen zu können oder sich diese einzuverleiben. Und meist sind die Unternehmen nicht organisch genug gewachsen, um sich so anpassen zu können, dass das Management, also die geschäftlichen Protagonisten, dem Auf und Ab des Marktes ebenbürtig gewesen wären. Also ein Text für Leute nicht gerade wie uns zwei. Oder?
Herzlich grüßt dich (teils fragend) Gil.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 07.02.20:
Grazie, mein Freund, so ist es: Diese Welt ist uns fremd. Aber gemessen an dem wirtschaftskonformen Verhalten der Mehrheit sind und waren wir Literaten schon immer ein wenig weltfremd, was uns freilich vor dem unglücklichen Schicksal meines Protagonisten bewahrt.
Herzliche Grüße
Ekki

 AchterZwerg (08.02.20)
Lieber Ekki,
mir ist nicht klar, warum sich deine Kommentatoren so sehr auf den Beruf des Protagonisten fixieren.
Für mich ist der absolut austauschbar,
Der Wunsch nach materieller Absicherung ist ein weit verbreiteter und verständlicher.- Die Überbetonung einer beruflichen Perspektive nicht weniger. Die gibt es bei Oberkellnern, mittleren Managern und (sehr ausgeprägt) in den sog. sozialen Berufen. -
Nicht eben selten wird am Ende eines Weges viel Nichtgelebtes konstatiert, ein spät beobachtetes Verharren in der Leere, ein Übermaß der Anpassung.
Dies kann sich in einer (von dir vortrefflich beschriebenen) Depression niederschlagen.
Bei jedem.

Herzliche Grüße
Picola

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 08.02.20:
hallo Picola, du hast völlig recht damit, dass der Beruf meines Protagonisten austauschbar ist. Es ist tatsächlich so, dass jedes Fehlen einer Lebensphilosophie, jede Überbetonung des äußeren Erfolgs, der irgendwann ausbleibt, jede innere Leere, über die man sich hinweggetäuscht hat, in eine Depression münden kann. Vielen Dank für diese Feststellung, die bisher nicht deutlich genug wurde.
Herzliche Grüße
Ekki
Al-Badri_Sigrun (61)
(11.02.20)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 11.02.20:
Vielen Dank, Sigi, mir ist es sehr wichtig, dass du mich bestätigen kannst, denn ich kenne zwei an Depression erkrankte Menschen, denen gegenüber ich mich empathisch zu verhalten versuche,
Liebe Grüße
Ekki
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