Der tägliche Sieg des Prometheus

Innerer Monolog zum Thema Schmerz

von  EkkehartMittelberg

Vorbemerkung:

Wer den Mythos des Prometheus nicht kennt, kann ihn nachlesen unter: Ekkehart Mittelberg: Epochentypische Gedichte: Johann Wolfgang von Goethe: Prometheus





Der tägliche Sieg des Prometheus

Ich hänge, an den Felsen geschmiedet,
in der glühenden Sonne des Kaukasus,
kein Schatten weit und breit.

Ich spähe in die Ferne
und sehe einen kleinen Punkt,
der immer größer und schwärzer wird,
deinen Adler im Anflug.

Schon glänzt sein gelber Schnabel in der Sonne,
und bald wird er sich auf mich werfen.
Furcht steigt in mir auf.
Ich habe noch nicht gelernt,
sie ganz zu unterdrücken.

Nun sammle ich alle Kräfte zur Konzentration,
mich zu lockern und die Qual zu besiegen.
Ich werde nicht schreien, Zeus.
Darauf wartest du nur,
es wäre dein Sieg.

Der schlimmste Schmerz ist überwunden,
wenn der Adler das erste Mal zugehackt hat.
Danach fließt Trance durch meinen Körper,
und ich werde empfindungslos.

Heute spricht dein Foltervogel mit mir.
Er gesteht, dass die Pflicht,
die du ihm auferlegt,
ihm keine Genugtuung mehr verschafft.

Nicht ich leide, sondern deine Kreatur,
die sich ergebnislos abmüht.
Wenn du kein Erbarmen mit mir kennst, Unerbittlicher,
solltest du es deinem Werkzeug schenken.

Mit lahmen Schwingen fliegt dein Adler davon
und bald wird er im heißen Horizont verschwunden sein.
Du wartest deprimiert auf dem Olymp,
denn wie immer wird er dir
von meiner Unerschütterlichkeit berichten.

Die gleißende Sonne wird sanfter
und der Schatten der Berge fällt auf meine Felswand.
Ein kühler Abendwind umfächelt mich.
Ich denke an die Menschen,
die täglich dir zum Hohn
ihr Feuer entzünden.

Triumph durchflutet mich:
Wieder einmal habe ich dich besiegt.

August 2013




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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (24.01.22, 00:30)
-

Kommentar geändert am 24.01.2022 um 00:32 Uhr

 AchterZwerg meinte dazu am 25.01.22 um 06:10:
Hhm.

 Terminator (24.01.22, 03:49)

Nicht ich leide, sondern deine Kreatur,
die sich ergebnislos abmüht.
Natürlich sagt Goethe Zeus und meint Jehova. Was zum Geier ist dann aber dieser göttlich-teuflische Geier? Eine abstrakt-philosophische (nicht konkret-lyrische) Metapher für den Theismus? An mir hat sich diese Kreatur des tyrannischen Abgottes letztlich auch ergebnislos abgemüht (wie eben an Goethe, der sich in seinem stürmischen Drang mit Prometheus identifiziert).


Es gibt diese Überlebenden-Berichte aus christlichen Sekten, von ehemaligen Zeugen Jehovas, es gibt sogar den Rat der Ex-Muslime. Letztlich unterscheidet sich der psychologische Missbrauch durch die großen Kirchen und die extremistischen Sekten nur graduell. Monotheistische bzw. theistische Religionen mit einem personenhaften Gott, der alles persönlich nimmt, sind kollektiver Wahnsinn. Über diesen Wahnsinn lacht Goethes Prometheus, denn letztlich weiß er, dass das Licht der Aufklärung die Vampire Engel Gottes aus den Köpfen verscheuchen wird.

 Teichhüpfer antwortete darauf am 24.01.22 um 06:37:
Die haben in der Gegend von Europa, Griechenland, Portugal, so enorme Schwierigkeiten. In Frankreich ist die Verfassung gekippt.

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 24.01.22 um 18:10:
Merci, Terminator: Goethe vertraute noch auf das Licht der Aufklärung. Heute wird es durch Verschwörungstheorien verdunkelt.

 AZU20 (24.01.22, 12:34)
Fand es schön von Dir, an diese Geschichte erinnert zu werden. Sie war sogar mal Unterrichtsstoff. LG

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 24.01.22 um 18:17:
Gracias, Armin. ich hoffe, dass zukünftige Lehrer, auf meiner Interpretation fußend, etwas mehr auf den Adler eingehen werden, der von Prometheus' Leber frisst.
LG
Ekki

 GastIltis (24.01.22, 14:34)

Der tägliche Sieg des Prometheus

Wieder einmal habe ich dich besiegt, Zeus.
Die Menschen entzünden dir zum Hohn das Feuer,
wofür, willst du wissen, Erbarmungsloser.

Um dir zu sagen, wir brauchen dich nicht.
Wir können uns selbst vernichten.
Denn du hast uns das Feuer vorenthalten,
um uns zu schützen.

Vor uns selbst, vor unseren Nächsten, vor den Feinden,
in uns und neben uns. Es gibt ihrer so viele.
Denn sie verhöhnen uns. Mit ihren Lügen,
mit ihren Sprüchen, mit ihren Zeugnissen,
die so falsch sind wie Blattgold im Fluss.

Was sind meine Qualen im Vergleich zu denen,
die sie in die Feuer hinein legen,
die sie abwerfen, die sie ausbreiten,
die sie einzwängen, um sie zu züchtigen,
die sie umwandeln.

Was sind die Schmerzen für alle,
die darben, hungern und frieren,
denen die Häuser durch Feuer und Schläge
dem Erdboden angeglichen werden,

im Gegensatz zu denen, die gedünstete Leberpasteten,
genießen, sich munden lassen und feinste
Getränke von Dionys Gärten verschütten,
im Glauben, es wäre nur Blut?

Das Leiden, o Zeus, geht zu Ende.
Du kannst deine Freuden wie einst,
du kannst sie im Traum noch genießen.
Es war eine Zeit der Fülle.

Was hilft dem Angeschmiedeten der Triumph,
wenn der Adler ausbleibt, weil selbst auf Zeus
niemand mehr hört, denn die Feuer, die alles
ringsum in Asche verwandeln, sind auch
den Menschen zum Hohn geworden.

Es wird ein Gleißen die Zeit besiegeln.

LG von Gil.

Kommentar geändert am 24.01.2022 um 14:40 Uhr

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 24.01.22 um 18:30:
Vielen Dank für deine hochinteressante Weiterführung des Gedichts, Gil,, das über das tägliche Leiden des Prometheus weit hinausgehend in Leiden der Menschheit am vernichtenden Feuer mündet.
LG
Ekki

 Saira (24.01.22, 17:47)
Prometheus war stärker als Zeus. Als Zeus begriff, dass er Prometheus Rückgrat nicht brechen konnte, gab er auf und begnadigte den Widersacher.
 
Eine sehr lehrreiche Sage, die du in einem dramatischen Monolog wiedergibst. Hervorragend!
 
Herzliche Grüße
Sigi

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.01.22 um 18:42:
Du hast recht, Sigi, Prometheus ist stärker als Zeus, weil der Adler Zeus berichten muss, dass er die Unerschütterlichkeit von Prometheus nicht brechen kann. Aber nicht Zeus hat Prometheus von seiner Qualen erlöst, sondern Herakles.
Herzliche Grüße
Ekki

 Teichhüpfer meinte dazu am 24.01.22 um 20:07:
Das hat mich auch interessiert, Ekki.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.01.22 um 20:17:
Das freut mich, danke.

 harzgebirgler (24.01.22, 18:21)
wohin verbrennung führt zeigt klimas wandel -
ein pyrrhussieg war's wohl und auch kuhhandel.
eindrucksvolles gedicht, ekki, gerne gelesen!
lg
henning

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.01.22 um 20:00:
Danke für dein Kompliment, Henning
LG
Ekki

 TrekanBelluvitsh (24.01.22, 21:23)
Das Stoische ermöglicht oft die Macht der Zornigen, kann sie aber auch brechen.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.01.22 um 21:28:
Merci, diese Aussage stimmt, obwohl scheinbar widersprüchlich

 AchterZwerg (25.01.22, 06:17)
Eine interessante und einleuchtende Interpretation.
Durch Selbstüberwindung wird eine Sanktion ad absurdum geführt.
Schade, dass heutzutage nur noch wenige so klug sind (Ukraine etc,) ...

Liebe Grüße
Piccola

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 25.01.22 um 11:32:
Grazie, Piccola, ich freue mich immer,  wenn meine Gedichte genau verstanden werden.

Liebe Grüße
Ekki
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