Die Klassenarbeit

Short Story zum Thema Jugend

von  IngeWrobel

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Er schloss sein Heft und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
Ihm war klar, dass er eine Eins geschrieben hatte. Schon wieder.
Zum Glück hatte Frau Krause seinen Namen nicht genannt sondern nur aufgezählt, wieviel Schüler welche Noten erhalten hatten.
Es war die einzige Eins.
Kurz drückte er sein Heft an die Brust – dann legte er es vor sich. Seine beiden Arme rechts und links davon. Niemand sollte es an sich nehmen und reinschauen können.
Auch zuhause würde er zu verhindern wissen, dass jemand einen Blick in das Heft warf. Er wollte nicht darüber reden und nicht gelobt werden. Das war ihm zu oberflächlich, weil sie sich ja nicht wirklich für ihn interessierten.
Er existierte – wurde aber nicht wahrgenommen.

Eines Tages würde er etwas Spektakuläres tun: Einen Mord begehen oder einen Selbstmord verüben oder einen Bankraub ... irgendetwas in der Art.
Alle würden voller Entsetzen feststellen, dass sie ihn nicht kannten – heute nicht und damals offensichtlich auch schon nicht. 
Wieder lächelte er, als er sein Schulheft in die Tasche steckte.

Beim Abendessen fragte Vater kurz, wie die Arbeit ausgefallen sei. „Gut!“ war die Antwort. Mehr wollte keiner wissen.

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Kommentare zu diesem Text


 sandfarben (07.04.20)
Schwer zu sagen, was da falsch läuft: die Eltern, die sich nicht interessieren, die Mitschüler nicht, ein Einzelgänger mit einem furchtbaren Plan. Schaudrig ist sie allemal, deine Geschichte.
lg. christa

 IngeWrobel meinte dazu am 07.04.20:
Wenn bei Kindern etwas "falsch läuft", sind immer die Eltern schuld.
Danke für das * und herzliche Grüße
Inge

 sandfarben antwortete darauf am 07.04.20:
... oder die Lehrer

 IngeWrobel schrieb daraufhin am 07.04.20:
Wenn die Basis in der Vorschulzeit stimmt, können die Lehrer nicht allzu viel "kaputt" machen. Glaube ich.
Ein Lächeln zu Dir : )

 ViktorVanHynthersin (07.04.20)
Der Protagonist erscheint mir ambivalent. Möglicherweise gibt es eine Fortsetzung der Geschichte...
Herzlichst
Viktor

 Dieter_Rotmund äußerte darauf am 07.04.20:
Der Protagonist scheint mir gerade zu wenig ambivalent. Es ist nicht glaubwürdig. Liegt wahrscheinlich daran, dass 20 Zeilen einfach zu wenig dafür sind.

 IngeWrobel ergänzte dazu am 07.04.20:
Lieber Viktor,
das ist die normale Ambivalenz eines Genies.
Darüber hab ich mal einen kurzen Aphorismus geschrieben ... werde ihn suchen und dann hier posten.
Herzliche Grüße zurück!
Inge

 eiskimo (07.04.20)
Er besetzt die Rolle des Einser-Schülers. Das ist eine Schablone ohne jede Tiefe, da muss man nichts suchen, nichts hinterfragen. Er hat sein Leben praktisch schon gelebt... in der Pole-Position.
Klar, dass er irgendwann nicht mehr so linear berechenbar sein wollte.
Ich habe nach meiner ersten Eins Gott sei Dank gemerkt, wo die Reise hinging. Nur mit regelmäßigen Einbrüchen in Mathe und Englisch konnte ich mir das Interesse die Zuneigung meiner Mitmenschen sichern
(grins) LG
Eiskimo

 IngeWrobel meinte dazu am 07.04.20:
Ha, ertappt!
Du kennst die Sehnsucht des Genius nach Normalität, gell?
Danke für Dein Outing und liebe Grüße
Inge

 Regina (07.04.20)
Der Klassenprimus ist oft dem Neid mancher Mitschüler ausgesetzt, aber die Lehrer sehen die Früchte ihrer Arbeit verwirklicht. Nicht jeder reagiert so extrem wie hier beschrieben, aber es gibt auch im späteren Leben Neider/innen, die der kleinste Vorteil, den ein anderer hat, stört. Auch der Vater hier interessiert sich nur für die Leistung. Das Thema könnte man ausbauen LG Gina

 IngeWrobel meinte dazu am 07.04.20:
Liebe Gina,
ja, das ist durchaus ausbaufähig.
Mir war und ist aber wichtig, den Vorgaben einer "Short Story" zu folgen und dennoch ein Psychogramm zu erstellen.
Liebe Grüße zurück
Inge

 FrankReich (07.04.20)
Hi Inge,

am besten an dieser Kurzgeschichte gefällt mir noch die Formulierung "einen Selbstmord verüben", das würde ich auch gerne mal, ich befürchte nur, dass ich bei gelungenem Versuch keine zweite Chance mehr bekäme. :D

Ciao, Frank

Kommentar geändert am 07.04.2020 um 10:39 Uhr

 IngeWrobel meinte dazu am 07.04.20:
Hallo Frank,
ja, Du hast Recht: "begehen", "verüben" ... das ist nicht konkret formuliert.
Aber was ist schon konkret zu Ende gedacht im Kopf dieses Jungen?
Suicidgedanken bei einem Erwachsenen sind da ganz anders...
Zum Glück ist die Spanne zwischen dem Gedanken und der Ausführung sehr groß – sonst könnten wir zwei uns hier nicht so locker austauschen ... und das wäre doch schade, oder?
Grüßle!
Sätzer (77)
(07.04.20)
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 IngeWrobel meinte dazu am 07.04.20:
Danke für Dein Lob – das wollte ich erreichen.

Liebe Grüße
von der Inge

 DanceWith1Life (07.04.20)
Um weiterzuschreiben bräuchtest du die Reaktionen seiner Mitschüler, die sind zwar trivial aber nicht teilnamslos. Das Kopfkino ist grandios und bezeichnend für bestimmte Entwicklungen, aber eben nicht alles.
ich glaube auch nicht, dass die anerzählte(im Sinne von angedeutet) Dynamik schon ausreicht, es fehlt der Problempunkt.
Das hier ist mehr oder weniger Trotz aus fehlender Anerkennung, die sich eigentlich erst kleinere Auslöser sucht, um sich bemerkbar zu machen.
Anerkennung nicht im gesellschaftlichem Sinn, denn die könnte er ja einheimsen, sondern in einem Sinn, der sich schlichtweg dieser ganzen draufzeigerei entziehen will und zu recht.

Kommentar geändert am 07.04.2020 um 17:41 Uhr

 IngeWrobel meinte dazu am 08.04.20:
Nein, ich sehe diese Gedanken nicht als Trotzreaktion. Eher als ein gedankliches Aufbegehren.
Hier kapselt sich ein junger Mensch ab, weil er nicht so angenommen bzw. geliebt wird wie er nunmal ist.
Er wird ja alle diese Gedanken nicht in die Tat umsetzen, dafür ist er zu klug.
Ich danke Dir für die Auseinandersetzung mit meinem Text und Deine Worte dazu!
Liebe Grüße
von der Inge

 TassoTuwas (07.04.20)
Liebe Inge,
großartige Ideen im Kopf kann eine Gratwanderung werden. Der Weg den sie einschlagen, wenn sie sich selbständig machen, kann zum Ruhm oder in die Katastrophe führen. Die dritte Möglichkeit ist Enttäuschung!
Wir sind noch auf gutem Wege
Liebe Grüße
TT

 IngeWrobel meinte dazu am 08.04.20:
Okay, dem kann ich nicht widersprechen. Tatsächlich entscheidet sich in dem Alter (Schulzeit) sehr viel. Diese Zeit ist prägend für die charakterliche Entwicklung.
Ja, wir haben scheint's nochmal die Kurve gekriegt...
Liebe Grüße zurück
Inge

 EkkehartMittelberg (07.04.20)
Es handelt sich hier um das Psychogramm eines genialen Menschen, dem es an Zuwendung und Liebe mangelt. Es ist stimmig.
LG
Ekki

 IngeWrobel meinte dazu am 08.04.20:
Lieber Ekki,
genauso möchte ich meinen Text verstanden wissen!
Danke für Dein Lob!

Liebe Grüße
von der Inge

 AvaLiam (10.04.20)
Das Schlimme daran ist, dass im Nachhinein immer heißt: Er/Sie war schon immer anders, schwierig, ruhig, ein Außenseiter, hinter seinen Möglichkeiten.
Auf einmal macht sein/ihr Verhalten einen deutlichen Sinn. War ja klar, dass DAS ALLES SO kommt.

Kaum einer macht sich bewusst, dass DAS nur SO gekommen ist, weil alle und jeder es so haben kommen lassen.

Dafür müsste natürlich Mitdenken und Tiefgang vorhanden sein - aber genau das wird der Gesellschaft ja Stück für Stück abtrainiert.

Ist ja auch bequem.

lG - Ava

 IngeWrobel meinte dazu am 10.04.20:
Liebe Ava,
Deinen Worten kann nichts Neues hinzugefügt werden, denn Du beschreibst die Situation perfekt.

Die Oberflächlichkeit der "Gesellschaft" macht es den Menschen schwer, die aus dem Rahmen fallen ... anders sind.
Manche finden einen Weg, als Künstler respektiert zu werden. Und in dem Bereich stoßen sie, wenn sie Glück haben, auf Gleichgesinnte, Seelenverwandte. Es gibt also Hoffnung!
Daran glaube ich einfach. *lächel*

Vielen Dank für die *chen
und liebe Grüße von der Inge : )
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