kurzer Abschied

Tagebuch zum Thema Tragik

von  eiskimo

„Jetzt ist die Mutter auch gegangen.“ Marlies, die Tochter unserer ehemaligen Nachbarn, war zum Entrümpeln da. Sie hatte ihren Bruder Hendrik dabei, der das Haus erben soll. Ich habe die beiden am Container getroffen, Marlies, die ich früher hatte aufwachsen sehen und Hendrik, der schon früh die Schule abbrach und dann viele Jahre nicht mehr aufgetaucht war. Längst sind die beiden erwachsen, haben eigene Familien. Ihr Kontakt zu den Eltern war quasi Null.

Die Mutter hatten sie nach dem Schlaganfall in einem Pflegeheim untergebracht. Der Vater war nebenan noch in dem Haus geblieben, verhärmt und kaum ansprechbar. Als er immer mehr abbaute und er sich schon seine Einkäufe ins Haus liefern lassen musste, hatte Marlies ihm einen Rasenroboter geschenkt. Bei der Gelegenheit hatte ich sie zuletzt gesehen. Sie brauchte ziemlich lange, um diesen automatischen Helfer zu programmieren.  Der Vater ist dann schon bald gestorben, und das Haus blieb monatelang unbewohnt. Da sie den Strom nicht abgestellt hatten, tat der Roboter weiter brav seinen Dienst.

„Es war eine Erlösung für alle,“ erklärte Marlies mir. „Mutter wurde zuletzt künstlich ernährt, und als ich noch einmal da war, letzten Monat, da hat sie mich wohl gar nicht erkannt. Das war schon traurig.“  Hendrik nickte nur nachdenklich. Dann wollte er weiter entrümpeln.

„Wir mussten gerade schon im Heim das Zimmer leer machen,“ fuhr Marlies in ihrem Bericht fort. „Und die haben uns nur eine Frist von fünf Tagen gegeben – Frechheit!“  Ich nickte zustimmend. Marlies kam richtig in Fahrt. „Da haben die in den drei Jahren fast 150 Tausend Euro von uns kassiert, und dann so ein Abgang! Aber ich habe denen den ganzen Sperrmüll einfach in den Hof gestellt. Mutter hatte ja kaum mehr was Privates.“

Ich nickte wieder nachdenklich. „Es ist wie eine Befreiung,“ beschied mich Marlies. „Wir haben sie verbrennen lassen.  Und um die Bestattung müssen wir uns auch noch kümmern.“

 



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Kommentare zu diesem Text


 AZU20 (02.12.21, 11:03)
Solche Kinder wünscht man sich im Alter. LG

 eiskimo meinte dazu am 02.12.21 um 12:23:
Ja, das ist hart.  Vielleicht ist vorher auch schon was schief gelaufen.
VG 
Eiskimo

 diestelzie (02.12.21, 12:05)
Hallo eiskimo,
auf dem ersten Blick sieht es nach "undankbaren" Kindern aus, für die ihre Eltern in den letzten Jahren nur noch eine Last waren. Mir stellt sich gerade die Frage, ob die Eltern damals die Anwesenheit ihrer Kinder ebenso belastend empfunden hatten. Was mindestens genauso traurig wäre.

Liebe Grüße 
Kerstin

 eiskimo antwortete darauf am 02.12.21 um 12:21:
Wie treffend Du das erspürt hast...
Beide Eltern  waren extrem busy.
Traurig.
LG
Eiskimo

 AchterZwerg (02.12.21, 13:12)
So viel zum Thema "Entrümpeln", das du geschickt in den Vordergrund stellst.
Nur leider bleibt manchmal vor lauter Befreiung am Ende kaum noch Substanz ...
Beidseitig.

Liebe Grüße
der8.

 eiskimo schrieb daraufhin am 02.12.21 um 23:29:
Erst einmal geht es nur um "frei von...", was ist dann mit der Frage "frei für..?"
Und damit wären wir bei Deiner Substanz.
LG
Eiskimo

 Dreamer (02.12.21, 13:26)
Leider für mich sehr realitätsnah... Pflegeheimkosten, Entrümpelung, etc... ist seit einiger Zeit mein täglich Brot... naja,,, die Mutter hat es hinter sich...

Gruß, Dreamer

 DanceWith1Life (02.12.21, 16:38)
Ich könnte dazu eine nahezu absurde Geschichte erzählen.
Soll ich? Also eigentlich wollte ich das Thema ruhen lassen.
Das wiederum, kann ich empfehlen.

 eiskimo äußerte darauf am 02.12.21 um 18:10:
Schwer zu sagen. Wenn es dich belastet, lass es

 DanceWith1Life ergänzte dazu am 02.12.21 um 18:58:
Glaub nicht, allerdings wäre es einfach zeitverschwendung, sich weiter damit zu befassen oder anderen davon zu erzählen.

 millefiori (02.12.21, 18:23)
Man kann nur hoffen, dass man so nicht endet.
Aber Du hast so gut dieses skrupellose, selbstverständliche Selbstmitleid hineingebracht.

Das Schlimme ist, das diese Leute sich keiner Schuld bewusst sind.

Liebe Grüße
millefiori

 eiskimo meinte dazu am 02.12.21 um 19:14:
Danke. Und ich teile Deine Hoffnung,
vG
Eiskimo
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