Kriegsende

Dokumentation

von  Fridolin

Kriegsende

Sonntag, 11. Juni 1995


Seit Ende März habe ich die Absicht zu schreiben über die Ereignisse des Kriegsendes 1945 in Amorbach, wie meine Familie es erlebte. Anlass dazu: die Zeitungen brachten Schilderungen, die ich zum Teil als unrichtig und unvollständig bezeichnen muss. Darüber hinaus waren diese Tage und ihr Ablauf sehr wichtig für uns und im Hinblick auf die Familie bedeutsam. –

Meine Schwester Elisabeth (in Miltenberg in den letzten Kriegswochen ausgebombt) mit Sohn Wolfgang (1 ½ Jahre) und ich mit Sohn Jürgen und Michael (3 und 1 ¾ Jahre alt) verbrachten diese Zeit im Elternhaus. Mit Bangen erwarteten wir das Ende. Andererseits sehnten wir es herbei, denn insbesondere für Vater, der, wie ihr wisst, von Anfang an ein Gegner der NSDAP war und davon nie ein Hehl machte und der den damaligen Behörden suspekt war, spitzte sich die Situation zu. Dass er bis dato unbehelligt blieb, war wohl dem Umstand zuzuschreiben, dass seine zwei Söhne und drei Schwiegersöhne an der Front eingesetzt waren, und ein Sohn „Edi“ gefallen war. Ich selbst hatte in Bielefeld mein Heim verloren durch eine Luftmine, und nur dank dem Umstand, dass ich in Erwartung von Michael im Elternhaus weilte, lebten Jürgen und ich noch.

Soviel zum häuslichen Hintergrund dieser Tage.

Ängstlich und unter größter Vorsicht hörten wir ausländische Sender ab, um ein objektives Bild der Kriegslage zu bekommen. Dazu musste immer jemand ums Haus gehen, um sicherzustellen, dass niemand von außen uns bespitzelte.

So kam der Gründonnerstag 1945. Gegen Abend erfuhren wir, dass amerikanische Panzer auf der Boxbrunner Höhe standen. Für den nächsten Tag war aber ihre Ankunft bei uns zu erwarten, da diese bekanntlich nachts nicht vorrückten. Und nun rückte von Miltenberg kommend SS an mit der Absicht, Amorbach zu verteidigen. Es wurde gefährlich. Aber noch blieben wir im Haus, brachten aber unsere Notkoffer schon in unseren Schutzkeller, der unterm Leiningenschen Palais lag, also nur zwei Häuser weiter am Ende der Miltenberger Gasse – Plötzlich wurde es unruhig auf der Gasse und viele Amorbacher kamen tumultartig vor unser Haus mit Rufen wie: der Schork soll rauskomme! Josef, Du musst uns helfe! Was war geschehen?

Auf dem Rathaus war ein Bote der Kreisleitung der NSDAP eingetroffen mir der Weisung, alle Amorbacher müssten in den Ochsenfurter Gau evakuiert werden. Mitzunehmen war nur das Nötigste. Die Begründung lautete: eine neue Waffe sollte eingesetzt werden. Dieser Wahnwitz in dieser Situation war für die Amorbacher zuviel. Andererseits: die SS war im Städtchen und deren Verhalten wurde gefürchtet. Beim geringsten Widerstand wie in diesen Tagen üblich Erschießung oder Erhängen. Von Vater erhofften die Leute eine Stellungnahme und Hilfe. Nun, er ließ verbreiten: alle sollten in den Kinosaal kommen und dort auf ihn warten. Nachdem er auf dem Rathaus den Unglücksboten getroffen und sich informiert hatte, bewegte er ihn, mit zum Kino zu gehen und dort seine Anweisung zu verlesen. Das geschah unter großem Protest der Bevölkerung. Die aufgebrachte Menge versuchte den Boten zu lynchen, und nur Vaters Zureden und Geleit bewirkte, dass man den dann laufen ließ. Vater beruhigte und erklärte, er denke nicht daran wegzugehen. Und damit waren die Wogen etwas geglättet, zumal noch Stadtpfarrer Rohner erschien und den gleichen Entschluss bekannt gab. – Die Menge zerstreute sich. Jeder suchte wohl auf seine Weise Vorsorge zu treffen auf den Einmarsch der Amerikaner.

Für unsere Familie aber begann die Todesangst der Nacht – die Angst vor der SS. Informanten trugen Vater zu, dass die SS nach ihm suchte. Was das bedeutete, wussten wir. Im günstigsten Fall seine Erschießung. Von diesem Zeitpunkt an wechselte Vater von einem Keller in den anderen, wo er einigermaßen Schutz fand und Hilfe. Wir sahen ihn erst wieder, als die Amerikaner in Amorbach einfuhren mit ihren Panzern, und nach einem kurzen Gefecht, in dem die verbliebenen SSler, die sich am Sommerberg verschanzt hatten, ihr Leben gelassen hatten und die Billbachbrücke gesprengt war.

Statt der SS suchten nun die Amerikaner unseren Vater und warteten im Haus auf ihn. Als kommissarischer Bürgermeister sollte er die Verantwortung für Amorbach übernehmen. Auf sein anfängliches Zögern – in dieser Situation wohl begreiflich – antwortete der Kommandant der Truppe sinngemäß, für Amorbach wäre es besser, er wäre bereit dazu, sonst müsste das Militär die Stelle einnehmen. Das gab den Ausschlag und für ihn den Beginn schwerer Tage, Wochen und Monate, bis das Schlimmste einigermaßen in die Normalität mündete.

Diese Nacht – von Gründonnerstag auf Karfreitag 1945, bis wir von der Boxbrunner Höhe das Gerassel der amerikanischen Panzer hörten – werden wir, ich und wohl auch Elli, Tante und vor allem die Eltern nie vergessen. Die Todesangst war in uns!


Von heute gesehen, brachte sie aber auch ein heiteres Erlebnis. Wir, Mutter, Tante, Elli und ich waren an diesem Abend zusammen in der Küche, als unsre Haushilfe Ellis ins Haus stürmte und berichtete, dass auf den dunklen Straßen eine Menge Schafe frei herumliefen. Der Besitzer der Herde habe die Tiere freigelassen, als er hörte, dass er sie nicht mehr an ihren Bestimmungsort am Rhein treiben konnte. Nun, in der ungewissen Lage suchte jeder einzufangen, was er konnte, um Vorsorge für die Ernährung zu treffen. Elli war bereit für die Jagd, und mit unserem treuen Hausgeist ging sie auf den Fang, angetan mit ihrem Pelzmantel und der besten Gewandung, in die Dunkelheit. Tatsächlich gelang es ihnen, einige Tiere zu erwischen und in unseren leeren Kuhstall einzusperren. – Ihr könnt euch vorstellen, welchen Geruch die beiden mitbrachten. Elli’s Pelzmantel stank noch nah vielen Tagen des Lüftens nach Schafen. Und obendrein war die Jagd noch umsonst, denn die Tiere mussten in den folgenden Tagen requiriert werden für die Verpflegung der Fremdarbeiter, die nun auf den Straßen zu ihrer Heimat waren und zum Teil durch Überfälle und Plünderungen für Aufregung sorgten. Wer die Tiere sofort geschlachtet und das Fleisch irgendwie konserviert hatte, konnte auf eine Zubuße zum Speisezettel in den nun folgenden Jahren hoffen. Wir, die Schorkfamilie, profitierten nichts, denn Vater als Bürgermeister wurde von der Militärregierung für die Versorgung dieser Menschen haftbar gemacht, und in all der Not und dem Mangel hatten viele Menschen auch ein Einsehen für diese Maßnahme, diente sie doch auch ihrer größeren Sicherheit.

Für Vater war diese Zeit eine Herausforderung, die er zwar zum Wohl seiner Heimat meisterte im Zusammenspiel mit der Militärregierung und den langsam sich konstituierenden Behörden, für die er jedoch gesundheitlich einen schweren Zoll zahlen musste. 1946, kurz nach erfolgter Bürgermeisterwahl, erlitt er einen Schlaganfall. Es blieb ihm die Genugtuung, ein intaktes Städtchen seinem Nachfolger Josef Fertig hinterlassen zu haben.




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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (14.03.22, 10:50)
Nicht schlecht, aber Ausrufezeichen und Deppenapostroph mindern das Lesevergnügen sehr.

 EkkehartMittelberg (14.03.22, 19:27)
Eine in jeder Hinsicht authentische und nachvollziehbare Schilderung.
LG
Ekki
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