Karma
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Gnothi seauton

Kurzprosa zum Thema Bewusstsein

von  Regina

So einfach die Anweisung zur Marseinweihung auch schien, erwies sie sich dennoch als bis ins Unendliche interpretierbar. Da führte die Selbsterkenntnis zunächst einmal zu den Beschränkungen, denen der Mensch unterworfen ist. Da der Neophyt nichts wusste, keine These mit letztendlicher Sicherheit halten konnte, verlor er den Boden unter den Füßen.

Der Meister forderte ihn dann auf, mit seinen Sinnen zu arbeiten. Wie lieblich schmeichelten der Harfenklang und das Tirilieren der Lerche seinem Ohr. Doch auch das Brummen der Motoren war zu hören wie der Hammerschlag beim Schmieden der Waffen. Wie ein Hauch lagen die Spektralfarben des Regenbogens in den Lüften, neben den hässlich verrottenden Gliedmaßen, die sich anschickten, zur Leichenhalle getragen zu werden. Und würde sein Körper nicht, wenn er in die Jahre kam, Alter und Siechtum unterworfen sein?

Aber es war möglich, dieser trügerischen Erscheinungswelt den Urgrund ihres Daseins zu entziehen, wenn er aufhörte, sehen und hören zu wollen, wenn er sich des Wünschens enthielt. Er sah, weil er sich Augen gewünscht hatte. Er hörte, weil er nach einem feinen Gehör gestrebt hatte. Und er konnte wandern, seit er Beine besaß. Er wünschte nunmehr weder noch wünschte er nicht, die Welt mit seinem Körper zu erfahren. Schließlich besiegte die Stille die Wünsche, aber lang war der Weg dorthin gewesen.



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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (07.07.22, 23:38)
Ist ein solcher Zustand wünschenswert?

Aber das wäre ja falsch, es wäre ein Wunsch!

Falls es hingegen nicht wünschenswert ist, warum sollte man es dann anstreben?

 Regina meinte dazu am 07.07.22 um 23:53:
Alles, was man anstrebt, führt wieder in die unerlöste Welt, jene, die einmal höchste Sinneslust gewährt, um im nächsten Augenblick Krankheit und Schmerzen zu bieten. Sich von diesen Gegensätzen frei zu machen, ist die Kunst.

 Graeculus antwortete darauf am 07.07.22 um 23:55:
Verstehe schon - aber warum sollte man sich davon freimachen, wenn es nicht wünschenswert ist, sich davon freizumachen?
(Das habe ich beim Buddhismus nie begriffen.)

Antwort geändert am 08.07.2022 um 00:05 Uhr

 Regina schrieb daraufhin am 08.07.22 um 00:04:
weil darin die Freiheit liegt.

 Graeculus äußerte darauf am 08.07.22 um 00:06:
Und die ist wünschenswert?

Man kann doch nicht sagen: Befreie dich von X und Y, das ist ganz toll (= wünschenswert), du mußt nur mit dem Wünschen aufhören!
Das ist ein Widerspruch in sich.

 Regina ergänzte dazu am 08.07.22 um 04:04:
Wünsche bedeuten eine elektromagnetische Aufladung deines Systems, die in jedem Fall folgen zeigt: Erfüllen sie sich, zeigt sich in den meisten Fällen, mit welchen Nebenwirkungen sie verbunden sind. Erfüllen sie sich nicht, wird die Aufladung stärker und auch das hat Folgen. Hörst du mit dem Wünschen auf, nimmst du dem zwingenden Charakter elektromagnetischer Auswirkungen die Spitze. Durch die meditative Haltung der Neutralität bekommst du das Leben in den Griff.

 Graeculus meinte dazu am 08.07.22 um 09:28:
Wir reden (schreiben) komplett aneinander vorbei, d.h. ich habe den Eindruck, daß du meinen Einwand nicht verstehst.

Ein Gleichnis:
Jemand zeigt dir ein kostbares Juwel und sagt dazu: "Du bekommst es, aber nur, wenn du es dir nicht mehr wünschst."
Was kümmert dich dann das Juwel?

 Regina meinte dazu am 08.07.22 um 10:56:
Es kümmert nicht mehr. Was nicht mehr begehrt wird, leistet aber keinen Widerstand mehr und kommt. Loslassen ist das Prinzip jeglicher Magie. Aber auch das kann man nicht wollen. 
Was begehren die Menschen: Macht, Wollust, Besitz, Wissen oder Bequemlichkeit. Das sind irdische Ziele, der Urgrund der eigenen Seele, der immanente wie transzendente Geist fördert diese nicht, jedenfalls nicht auf Kommando.

 Dieter_Rotmund (08.07.22, 10:43)
Neophyten? Das sind doch Blumen, oder?

 Regina meinte dazu am 08.07.22 um 10:58:
Neophyten sind neue Kandiaten einer Mysterienschule, also Anfänger, die geistig geschult werden.

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 08.07.22 um 11:38:
Nee, das ist mir zu esoterisch....

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 08.07.22 um 12:26:
Hallo Graeculus,
könnte dein Einwand von Regina nicht aufgelöst werden, wenn sie sagen würde, dass das Ziel zwar ist, von Wünschen frei zu sein, dass dies aber nur erreicht werden kann, wenn man einem Metawunsch folgt, nämlich von Wünshen frei zu sein. Wenn es funktioniert, so die bedürfnislose Stille zu erreichen, wäre es mir gleichgültig, ob es einen Bruch der Logik darstellt.

 Graeculus meinte dazu am 08.07.22 um 12:51:
Das kann, lieber Ekkehart, (nur) dann funktionieren, wenn der Wunsch (und auch ein Meta-Wunsch ist ein Wunsch) nicht das entscheidende Hindernis zur Erreichung des Gewünschten ist.
So wird es aber in Buddhismus und christlicher Mystik behauptet: um zum gewünschten Ziel zu gelangen, müsse man das Wünschen aufgeben.

Im Zen-Buddhismus kann so etwas als Koan fungieren, d.h. als ein Aufgabe, die darauf abzielt, das Denken an einer logisch unauflösbaren Aufgabe scheitern zu lassen. ("Lausche dem Ton einer einzelnen klatschenden Hand!")

Das ist interessant; aber als vorsichtiger Mensch wüßte ich gerne, was dabei herauskommen und warum ich mich darauf einlassen soll.
Wenn man unter einem starken Leidensdruck steht und alles besser ist als die bestehende Situation, ja dann ...

Die Zen-Meister (= lebende Buddhas), die das geschafft haben, sind übrigens nach dem Zeugnis Janwillem van de Weterings extrem seltsame Typen, Alkoholismus o.ä. nicht ausgeschlossen. "Ein Buddha gehorcht keinen Regeln und bricht keine Regeln."

 Graeculus meinte dazu am 08.07.22 um 12:58:
van der Wetering kannte einen solchen "lebenden Buddha", der im Vollrausch mit einem Jaguar gegen eine Steinmauer gefahren ist.
Das gilt nicht als Einwand gegen das Prinzip; er war ein lebender Buddha, jenseits der Norm der Heiligkeit, zu nichts mehr verpflichtet (nicht einmal dazu, kein Alkoholiker zu sein), sondern frei.

Ich bezweifle allerdings, daß es das ist, was Regina vorschwebt.

 Regina meinte dazu am 08.07.22 um 22:03:
Hermann Hesse:
"...und so soll mir jeder neue Tag
neue Freunde, neue Brüder weisen,
bis ich leidlos alle Kräfte preisen,
aller Sterne Gast und Freund sein mag."

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 11.07.22 um 23:52:
@ Graeculus. Ich komme nach meinem Kurzurlaub noch einmal darauf zurück. Momentan fehlt mir die Muße.

 Graeculus meinte dazu am 12.07.22 um 00:12:
Gerne.
Ist eine interessante Frage, wie ich meine. Im Zen wird diese Paradoxie, die ich hier sehe, ganz bewußt als ein Weg eingesetzt, um das logische Denken zu zertrümmern und auf diese Weise einen meta-logischen Zustand der Befreiung zu erreichen: Satori. Das Ergebnis ist - wen wundert's? - vom Standpunkt des logischen Denkens aus bestürzend. "Ein Buddha (also ein solchermaßen Befreiter) befolgt keine Regeln und bricht keine Regeln", das charakterisiert es recht gut. Da helfen dann keine, auch keine moralischen Einwände mehr.

Der zitierte betrunkene Buddha mit seinem Jaguer ist ein Beispiel. In einem koreanischen Spielfilm ("Die blinden Augen des Herzens") ißt ein Buddha Fleisch, trinkt Alkohol und hat eine Freundin im Bordell.
Selbst der historische Buddha soll unmittelbar vor seinem Eingang ins Nirvana noch eine Portion Schweinefleisch gegesssen haben.
Die Botschaft ist immer dieselbe: ein vollständig Befreiter ist auch durch moralische Regeln nicht mehr gebunden (!), aber auch nicht dadurch, Regeln brechen zu wollen, schon gar nicht zu müssen. Er unterliegt keinerlei Notwendigkeit mehr.

Das hat eine Tiefe, die sich mir nicht vollständig erschließt.
Mir fällt noch die Liedzeile von Bob Dylan ein: "To live outside the law you must be honest." Da ist ihm doch fast ein Koan gelungen.

 Regina meinte dazu am 15.07.22 um 08:29:
Zen ist eine ganz spezielle Form des Buddhismus, die wir als Westler vllt. gar nicht oder falsch verstehen. Der Zen- oder auch ein anderer Meister wird den Geistesschüler aber nicht als erstes damit beschäftigen, Beweise für die Reinkarnation zu erbringen, sondern er stellt ihm Selbstbeobachtungs- und Lebensbetrachtungsaufgaben, die seine Wahrnehmung und sein Bewusstsein entwickeln. Da kommen dann Erkenntnisse dabei heraus, aber keine Dogmen. Erkenntnisse sind nie absolut. Die Erkenntnis, es habe mehrere oder gar sehr viele Erdenleben gegeben, kann immer auch aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, angezweifelt oder aufgrund neuer Forschungen abgeändert werden. Die Betrachtungen richten sich aber vor allem in die Tiefe des eigenen Selbst und ans beobachtete Leben. Bei wissenschaftlichen Laborversuchen oder auch logisch- kritischer Argumentation wird allzu häufig ein Kriterium vergessen.

 Regina meinte dazu am 20.07.22 um 22:20:
auch Pflanzen, aber meine Definition war früher üblich.

 Regina meinte dazu am 20.07.22 um 22:26:
"Der Neophyt (von  griechisch νεόφυτος ‚frisch gepflanzt, neu bekehrt, Neuling‘;  lateinisch neophytus ‚frisch Getaufter, frisch Bekehrter‘) ist eine Person, die vor kurzem einen neuen Glauben angenommen hat. Das ist im  Christentum ein erwachsener, kürzlich  Getaufter, der nach dem  Katechumenat und seiner Taufe in angemessener Unterweisung zu vollerer Kenntnis der Wahrheit des Evangeliums und zur Erfüllung der durch die Taufe übernommenen Pflichten zu führen bzw. zu aufrichtiger Liebe zu Christus und seiner Kirche anzuleiten ist. cite_note-1">[1] Traditionsgemäß trägt der Neophyt von Beginn der  Osternacht an bis zum  1. Sonntag nach Ostern weiße Kleider." (Auszug aus Wikipeda)
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