Teileklauben

Dann ziehen die Überlebenden aus und suchen die Teile ihrer Liebsten, ihrer Verwandten, Freunde, Kameraden, in den Wäldern, auf den Feldern, in den Trümmern der Städte, setzen sie mühsam zusammen, so weit das möglich ist, und dann fängt alles von vorne an. Die Löcher in den Uniformen, in der Haut, im Fleisch, im Kopf, die Schnitte, Abrisse und Verkohlungen werden geflickt, geschmiert und gestopft, und dann: Feuer frei, zurück auf die Felder der Ehre, unter die Fahne, für das Land, das Volk, den Clan, den Führer, mit Gott oder Göttern, dem Schicksal, einem Empfinden, der Seelenlage, dem Glauben. Zurück im Stacheldrahthamsterrad und kill, kill, kill. Vergessen die Löcher in der Haut, die uns umschließt, im Kopf, der uns Denken macht, unter Panzerkettengerassel verschwindet jeder klare Gedanke; ohnehin verdächtig, die, die sich der Mühe des Gedankenmachens unterziehen, besser sie zu stigmatisieren und wegzusperren, bevor sich das ausbreitet. Die besten Bücher kommen aus den Lagern, geschrieben mit gebrochenen Fingern auf die Blätter in den Lüften.

Ein neuer Tag, ein neues Morden; die Häme, die Lüge und der Hass. Das Nichtverstehenwollen ist die Nahrung der Kaste der Unbelehrbaren, die nur durch das Ende zu sättigen sein wird.

© Rainer M. Scholz