Literarische Rätsel 7

Ansprache zum Thema Erkenntnis

von  EkkehartMittelberg

diesmal ist das Rätsel leicht zu erraten. Das liegt daran, dass selbst das Verschweigen von Titeln und einiger sensationeller Lebensereignisse nicht verhindern können, dem berühmten Autor schnell auf die Spur zu kommen. Wer die Lösung leicht gefunden hat, möge bedenken, dass es mir vorrangig darum geht, dass bedeutende Autorinnen und Autoren nicht vergessen werden. Die Verrätselung dient dazu, die Lektüre über ihr Leben und Werk spannender zu machen.

Der Autor war zwei Jahre lang für Theologie und Philologie nach dem Willen seines Vaters in Marburg immatrikuliert, bevor er wunschgemäß auf der Kaiser-Wilhelm-Akademie für das militärärztliche Bildungswesen in Berlin Medizin studieren konnte. Er meinte, dass die Medizin sein Leben entscheidend geprägt habe. Schon vor seiner Promotion wurde er von der medizinischen Fakultät der Universität Berlin für seine Studie über Epilepsie ausgezeichnet.

Der aktive Militärarzt war mit der Autorin Else Lasker- Schüler befreundet.

Seine erste Gedichtsammlung mit Bildern aus Leichenschauhaus und Sektionssaal gilt, wenngleich von Protesten begleitet, bis heute als Meilenstein moderne Lyrik. Obwohl er oft bewusst Banales aus seinem Berufsleben thematisierte, war er in seiner Lebensführung dem Besonderen zugewandt, zum Beispiel durch seine Heirat mit einer eleganten und charmanten Schauspielerin.

Er erhielt als Sanitätsarzt das EK II und behandelte Prostituierte.

Seine ordnungs- und zusammenhanglosen Novellen weichen total von den klassischen Definitionen dieses Genre ab und stellen objektive Wirklichkeit in Frage.

Der Titel der Gesammelten Lyrik von 1917 soll die Illusion vom Menschen als Geistwesen drastisch entlarven.

Von 1917-1935 praktizierte er als Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten in Berlin.

In seinen Essays und Reden erwies er sich als rücksichtsloser Kulturkritiker mit Distanz zu allen Restaurationen. Aus seiner Sicht hat gegenüber der Sinnlosigkeit von Geschichte nur Kunst Bestand. Allein Ästhetik rechtfertigt die Welt.

Der unpolitische und antikapitalistische Ästhet ließ sich von der Ideologie des Nationalsozialismus verführen und er setzte sich 1933 in einer Rundfunkansprache für den neuen Staat ein, den er nach dem Debakel der Weimarer Republik für alternativlos hielt. Er sah jedoch bald seinen Fehltritt ein, gab seine private Praxis für Haut- und Geschlechtskrankheiten in Berlin auf und kehrte 1935 zur Armee zurück, ein Entschluss, der ihm als „die aristokratische Form der Emigration“ erschien.

Sein Sinneswandel blieb den Nationalsozialisten nicht verborgen. Sie schlossen ihn 1938 aus der Reichsschrifttumskammer aus und belegten ihn mit Schreibverbot. Dennoch ist der Vorwurf politischer Blindheit gegenüber diesem Autor nie verstummt. Das verhinderte aber seinen rasanten Aufstieg in der frühen Bundesrepublik nicht.

Allein im Jahre 1949 erschienen vier Bücher von ihm. Die Verleihung des Büchner-Preises stellte 1951 einen Höhepunkt seiner an Auszeichnungen reichen schriftstellerischen Karriere dar.

Nur wenige Wochen nach seinem siebzigsten Geburtstag verstarb er in Berlin an Knochenkrebs. Das Wort Krebs erscheint auch im Titel eines seiner berühmtesten Werke.



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Kommentare zu diesem Text


 Tula (02.06.23, 09:14)
Moin Ekki
In der Tat hast du hier schon zu viele Hinweise gegeben. Superlative sind in der Kunst gewiss fragwürdig, aber wenn man über die Meisterschaft der deutschen Dichtung des 20. Jahrhunderts entscheiden wollte, ich würde ihn als Meister küren.

LG
Tula

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.06.23 um 10:15:
Vielen Dank, Tula, er hat insbesondere in der Lyrik die Formen gemeistert wie kaum ein anderer. Es ist kaum möglich, in seinem umfangreichen Werk Fehler zu finden.
LG
Ekki

 lugarex (02.06.23, 11:24)
Bewunderungswerter Mensch, oder?

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 02.06.23 um 12:27:
Ja, Luga, was seine dichteriche Leistung angeht.

 AlmaMarieSchneider (02.06.23, 13:04)
Ich liebe seine Gedichte. Ein wirklich bemerkenswerter Mann.

Herzlichst
Alma Marie

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 02.06.23 um 14:11:
Vielen Dank, Alma Marie. Sein Werk zeigt nirgends Schwächen. Aber seine Lyrik hat ihn besonders berühmt gemacht.
Herzlichst
Ekki

 Dieter Wal (02.06.23, 13:21)
Wer meint, Lyrik geschrieben zu haben, könnte seine Gedichte lesen, dann gibt sich das schnell wieder.

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 02.06.23 um 14:15:
Merci, Dieter. In seinem Vortrag über "Probleme der Lyrik" zeigt er sich Anfängern gegenüber sehr tolerant.
Teolein (70)
(02.06.23, 14:30)
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 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 02.06.23 um 17:09:
Gracias, Teo, 
wegen seiner politischen Blindheit ist der exorbitant gute Autor auch als Mensch bemerkenswert.

Liebe Grüße
Ekki

 AchterZwerg (02.06.23, 17:34)
Lieber Ekki,

mehr als jeder andere hat er die "modernen" Dichter:innen eine konsequente Schlichtheit des Ausdrucks gelehrt, den weitgehenden Verzicht auf schmückendes Beiwerk in der Lyrik:

  • Am Anfang war das Wort und nicht das Geschwätz, und am Ende wird nicht die Propaganda sein, sondern wieder das Wort.


Ich verehre ihn aus tiefstem Herzen.

Schöne Grüße
Piccola

 Graeculus meinte dazu am 02.06.23 um 17:57:
Ich meine mich auch an seinen Ausspruch zu erinnern: "Das Gegenteil von gut ist nicht schlecht, sondern gut gemeint."

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.06.23 um 19:58:
Grazie Piccola,
1958 habe ich in Münster meine erste Seminararbeit über "Einsamer nie..." von ihm geschrieben. Ja, er ging sparsam mit dekorativen Attributen um. Er konnte es sich leisten, denn jedes Wort sitzt so passgenau, als sei die von ihm gewählte Variante die einzig mögliche.
Liebe Grüße
Ekki

Antwort geändert am 02.06.2023 um 20:13 Uhr

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.06.23 um 20:13:
Gracias Graeculus,
dieser Aphorismus passt vielleicht dazu: "Dumm sein und Arbeit haben: das ist das Glück." (Quelle: Benn, Sämtliche Werke – Stuttgarter Ausgabe, Klett-Cotta. Mit freundlicher Genehmigung des Verlags. Band I, Gedichte 1, 1956. Aus: Eure Etüden)

 Quoth (02.06.23, 18:45)
Habe die Daumennagelprobe in seinen Werken gemacht und bin auf diesen Satz gestoßen:

Er stand demütig vor dem Unbegreiflichen; aller Rätsel wurde auch er nicht Herr; das Mythische ragte in sein Leben hinein, die guten und die bösen Dinge, die Träne und das Blut.
Gehirne, Die Eroberung, 1916
R.i.p. Quoth

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.06.23 um 20:16:
Vielen Dank für diesen tiefschürfenden Satz, den ich nicht kannte, Quoth.

 Quoth meinte dazu am 02.06.23 um 20:59:
Ich kannte ihn auch nicht; wenn ich an Benn denke, dann an seine Gedichte. Habe mir vorgenommen, seine Novellen rund um sein alter ego, den Arzt Rönne, zu lesen.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.06.23 um 21:45:
Ich bin sehr gespannt auf die Erfahrungen, die du mit dieser Lektüre machst.

 Quoth meinte dazu am 05.06.23 um 11:09:
 Hier kann man sie online lesen. Zwar in der dritten Person erzählt, und doch schaut man gleichsam aus Rönne heraus in die zugleich vertraute und sehr fremde Welt, sogar die eigene Hand ist ihm fremd geworden, eine Art angewachsenes Werkzeug - vielleicht auf Grund der sehr intensiven Arbeit als Pathologe.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 12.06.23 um 09:09:
Merci, Quoth, es ist wichtig, dass auf dieses Weise aus seine Prosa gewürdigt wird.
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