sündensuche

Lyrischer Prosatext

von  Redux

mit neun sagte man mir
ich dürfe meine sünden entfalten
und beichten
nächste woche
nachmittags gegen drei
könne ich mich reinwaschen
in dem dunklen beichtstuhl
beim dicken probst
mit dem backenbart
und bis dahin könne ich
die landkarte meiner fehltritte sondieren
und die reifen früchte der sünden ernten
damit sie auf dem komposthaufen
der vergebung anheimgegeben werden können
einstweilen

aber ich fand nichts
nichts in diesen bisherigen neun jahren
das mir schlecht genug erschien
um es vergeben zu lassen
meine schwester hatte ich geärgert
und plätzchen aus der keksdose genommen
und meine hausaufgaben nicht gemacht
aber war das nicht wertlos
vor dem großen gericht
erbärmlich und verlogen
in seiner bedeutungslosigkeit
hinterlistige vorschiebephrasen
die das eigentlich böse
zu vertuschen suchten
?

und meine phantasie erschuf eine sünde
die nie begangen wurde
meiner schwester nahm ich zwei mark
aus der gelben spardose
letzte woche gegen fünf
als sie gitarrenunterricht hatte
das klang plausibel und sündhaft genug

pünktlich zur beichte
war ich böse geworden


im dunkel des beichtstuhls
gleich einem grab
wisperte ein unsichtbares gesicht
ich müsse das geld zurückgeben
und zehn vaterunser beten
und in zukunft besonders lieb
meiner schwester gegenüber sein
und das herz klopfte mir bis zum hals
als ich wieder in die Helle trat

ein sünder
am anfang einer großen karriere

 



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Kommentare zu diesem Text


 eiskimo (23.09.23, 11:26)
Ich bin jetzt schon enttäuscht, dass Du Dich nicht an das Beichtgeheimnis hältst... 
Dessen ungeachtet wieder ein Text, der einen sofort packt. Wir haben das ja damals total ernstgenommen und durchlitten.
Ob wir deswegen ein so alertes Gewissen haben?

 Redux meinte dazu am 24.09.23 um 09:17:
Stimmt, wir wurden regelrecht getrimmt und lebten zumindest unterschwellig in Furcht.

 IngeWrobel (23.09.23, 11:43)
Hallo Herr Bert! 
 
Vor der Firmung mussten wir Einzelgespräche, ähnlich einer Beichte,  mit dem Priester in einem geschlossenen Raum führen. Es ging das Gerücht, dass er Mädchen "betatsche". Als ich dran war, nahm ich meine Freundin Irene mit, die vor nichts auf der Welt Angst hatte. Sie musste draußen bleiben. Weil mir keine Sünde einfiel, erfand ich ein Problem (mittags wurde in der Familie kein Tischgebet gesprochen) und bauschte das so auf, dass der Geistliche froh war, als ich nach seiner Absolution eilig seine Wohnung verließ. 
Es ist schon erstaunlich, wie die Katholische Kirche in manches Leben eingreifen kann. 
Inzwischen lebe ich frei und selbstbestimmt ... aber es hat lange gebraucht bis dahin. 

Herzliche Grüße 
Inge

 Redux antwortete darauf am 24.09.23 um 09:19:
Liebe Inge, es scheint, als sei mein Erlebnis kein Einzelfall.

Dass du frei und selbstbestimmt lebst, das weiß der Herr Bert...zwinker...
Herzliche Grüße zurück.
Und nochmals danke.

 AchterZwerg (23.09.23, 16:54)
Lieber Herbert,
ich bin nicht katholisch, finde aber die Sache mit der Beichte super!
Aus meiner Sicht erspart die so manchen Psychoanalytiker und gibt dem Biederen die Möglichkeit, sich mal so richtig als Outlaw zu fühlen (wie ich dies auch deinem Text entnehmen kann 8-) ).

Vielleicht sehe ich dies alles aber nur so positiv, weil ich nicht katholisch bin ...

Grüße aus dem Zwergenreich
(wir beichten bei Schneewittchen    )

 Redux schrieb daraufhin am 24.09.23 um 09:20:
Vermutlich ähnelten sich die beiden Konfessionen. Wobei ich die katholische als die extremere einschätze.
Danke lieber Zwerg

 niemand (23.09.23, 19:12)
Nichts fand ich als Kind schlimmer, als den elterlich auferlegten Zwang zur
Beichte gehen zu müssen. Ich habe sie gehasst, diese Priester, umgeben vom
Rest des Weihrauchs aus letzter Messe, die lauernd im Beichstuhl saßen.
Ich hatte nix zu beichten, nichts wirklich Wichtiges, also besann ich mich darauf, dass ich vor ein paar damaligen Tagen auf eine Gruppe fliehender Ameisen
getreten bin. Nicht absichtlich, aber unvermeidlich. Heute denke ich, dass ich damals wohl dieses unterdrückte Lachen des "Himmelskomikers" wie mein Vater sie später nannte, übersah. Je länger ich allerdings in mich hinein horche, desto wahrscheinlicher scheint es mir. :(

LG niemand

 Redux äußerte darauf am 24.09.23 um 09:22:
Es ist schon seltsam, das ich mit meinem Erlebnis überhaupt nicht alleine dastehe.
Lieben Dank für den Kommentar.

 Mondscheinsonate (23.09.23, 19:45)
Oh Gott, ich hasste die Beichte, hatte immer extreme Angst davor und dann beichtete ich wie schlimm ich nicht war, vor den Augen Gottes darf man schließlich nicht lügen, danach schickte mich der Pater, wir waren bei den Schotten, also Kloster, 20 Vater Unser auf dem Steinboden beten. Wah!

 Redux ergänzte dazu am 24.09.23 um 09:24:
O Gott.
Was haben die alles angerichtet....
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