6. Die Volltönenden

Text

von  Elisabeth

Ich drehte mich im Halbschlaf um, und ein plötzlich durch meinen Unterleib jagender Schmerz trieb mir die Tränen in die Augen. Dann kam die Erinnerung, rötliche Schlieren an dem benutzten Kondom, die ich Norberts roter Satinbettwäsche wegen einer optischen Täuschung zugeschrieben hatte. Was, wenn er mich doch verletzt hatte? Panisch richtete ich mich auf, ein weiteres Mal durchzuckte mich der Schmerz, als ich auf meinem malträtierten Hinterteil saß. Ganz klar, wo das Brennen zu lokalisieren war. Wie groß mußte die Verletzung an meinem After sein, um solche Schmerzen zu verursachen?

Zögernd erhob ich mich. Meine Beine waren immerhin nicht mehr so wackelig wie am Vorabend, als Norbert mich hatte stützen müssen, damit ich die Firmenlimousine erreichen konnte. Auf die freundlich offerierte Dusche hatte ich deswegen auch verzichtet, nur nach Hause, das war mein einziger Gedanke gewesen. Nachdem mein Kunde schon die Führung übernommen hatte, wollte ich nicht noch wie ein Amateur die Nacht in seinem Bett verbringen. Ich war so erschöpft gewesen, hatte nichts mehr gespürt - nun fühlte ich mich, als wäre in mir etwas zerrissen. Außerdem klebten meine Hinterbacken ganz unangenehm aneinander und ich roch nach Schweiß.

Jeder Schritt war eine Qual, aber endlich erreichte ich mein Badezimmer und nahm einen Handspiegel zur Hilfe, um meine verletzte Kehrseite betrachten zu können. Offensichtliche Blutspuren fand ich zwischen den Backen zwar nicht, aber wieso schmerzte es dann so? Hatte er mich innerlich zerrissen mit seinen festen Stößen? Nie wieder würde ich einem Mann erlauben, seinen Schwanz in mich zu rammen. Wenn ich vorher auch nur geahnt hätte, wie sehr man nach so ein bißchen sexueller Erfüllung leiden konnte, hätte ich mich niemals darauf eingelassen!

Vorsichtig duschte ich, befühlte zaghaft meine brennende Rosette. Reste des Gleitgels, rosa eingefärbt - also doch! Mit diesen Schmerzen würde ich den Auftritt heute abend nicht überleben. Ich griff in den von der Dusche aus gerade noch erreichbaren Medizinschrank und nahm vorsichtshalber gleich zwei Schmerztabletten, schluckte sie mit in der hohlen Hand aufgefangenem Duschwasser herunter. Dann reinigte ich vorsichtig meinen schmerzenden Hintern. Niemals, niemals wieder! Dieses Thema war abgehakt. Was fanden andere Männer nur daran? Machte sie der Schmerz ebenso geil, wie der Sex? War Marco einfach pervers gewesen? Er hatte nichts davon gesagt, daß es ihm Schmerzen bereiten würde, und er hatte doch bereits einschlägige Erfahrungen gehabt - das behauptete er damals jedenfalls. Wäre er schreiend aus meinem Zimmer geflohen, wenn wir zu Ende gebracht hätten, was meine Mutter unterbrochen hatte? Ich hätte auf Frau Neuhaus hören sollen, die mich zwei Mal gewarnt hatte.

Beim vorsichtigen Abtupfen mit dem Handtuch wieder deutliche Blutspuren. Der nächste Schock, als ich entdeckte, daß die Hose meines hellgrauen Anzuges aus Merinowolle, die ich in der Nacht nur noch über den Handtuchhalter geworfen hatte, ruiniert war. Im hinteren Teil des Schritts war ein großer, bräunlicher Fleck, der auf die Außenseite des edlen Stoffes durchschlug. Das war es nun wirklich nicht wert gewesen. Warum hatte ich es mir nur zur Gewohnheit gemacht, die Premiumbuchungen ohne Unterhose zu absolvieren?

Aber jetzt mußte ich erst einmal zum Telefon, einen Termin beim Arzt machen um sicherzustellen, daß alles wieder in Ordnung kam. Ich griff mir mein Handtuch und humpelte langsam ins Wohnzimmer, ließ mich vorsichtig auf einem dicken Kissen und dem darüber gebreiteten Handtuch nieder.

Als ich versuchte, mir von der Sprechstundenhilfe des Iraners, der die monatlichen Gesundheitschecks für die Agentur machte, einen Termin geben zu lassen, hörte ich nur eine Bandansage. Die Praxis machte zwei Wochen Urlaub, in dringenden Fällen übernahmen die Vertretung die Praxen der Doktoren... Ich notierte mir die Telefonnummer des Arztes mit dem männlich klingenden Vornamen und legte auf. Wohl war mir nicht dabei, mit diesem Problem einen mir unbekannten Arzt aufzusuchen, aber ich hatte keine andere Wahl. Ich rief also in der Vertretungspraxis an und endlich hatte ich einen Menschen am Telefon, eine Frau, die albern kicherte, bis sie, noch immer erheitert, sagte: "Praxis Doktor Barini, was kann ich für sie tun?" Und dann, etwas gedämpft: "Er hat das wirklich gesagt. Hehehe." Anscheinend hielt sie die Sprechmuschel nicht richtig zu. Ob mein Problem dann auch zwischen ihr und ihrem Gesprächspartner humoristisch erörtert wurde? Aber da mußte ich wohl durch, ich war an meiner momentanen Situation ja selbst schuld. "Guten Tag, hier Calatrava. Ich hätte heute gerne einen Termin bei ihnen."

"Waren sie denn schon einmal bei uns?" kam die zu erwartende Gegenfrage.

"Nein, sie machen aber die Vertretung für meinen Hausarzt."

"Ich kann ihnen für heute leider keinen Termin anbieten. Wenn sie zu uns kommen, müssen sie mit mindestens einer Stunde Wartezeit rechnen. Worum geht es denn?"

"Ähm", jetzt half alles nichts, "es geht um Blutspuren am After nach Analverkehr", antwortet ich. Unterlagen die Sprechstundenhilfen eigentlich der ärztlichen Schweigepflicht?

"Haben sie Schmerzen?" wollte die Sprechstundenhilfe wissen.

"Oh, ja", erwiderte ich inbrünstig, auch wenn ich erfreut feststellte, daß die Schmerztabletten anscheinend anfingen zu wirken.

"Sie haben also eine größere Verletzung", schloß die Sprechstundenhilfe.

"Äh, keine offensichtliche. Ich vermute eine eher innerliche", gab ich zurück.

Diesmal hielt sie die Sprechmuschel besser zu, ich hörte nur sehr gedämpft etwas über Blut, Enddarm und innere Verletzungen, dann sprach sie wieder zu mir. "Sie sollten sich damit an einen Gastroenterologen wenden. Wir haben hier nicht die geeigneten Untersuchungsgeräte."

"Aber Doktor Barini kann ja vielleicht mal gucken", gab ich leicht verärgert zurück. Offensichtlich wollte sie mich abwimmeln.

"Ich kann ihnen für heute keinen Termin anbieten. Rechnen sie bitte mit einer Wartezeit von mindestens einer Stunde", sagte sie daraufhin wieder.

Genervt knallte ich den Hörer auf die Gabel und bereute es fast sofort. Ich konnte das doch nicht einfach so verschleppen. Wenn es etwas Ernstes war... Das mochte ich mir gar nicht vorstellen. Zumindest war ich momentan schmerzfrei, über das Wochenende würden die Tabletten reichen, am Montag wäre der Iraner auch wieder im Lande. Dann fiel mir ein, daß ich Frau Neuhaus angedeutet hatte, daß ich Premiumbuchungen durch Herren denen durch Damen vorziehen würde, also rief ich in der Agentur an und ließ Frau Neuhaus ausrichten, daß ich für Herren doch nicht mehr zur Verfügung stünde.

Egal was meinem After fehlte, bis ich in einem Monat meinen Dienst für die Agentur wieder aufnahm, würde es hoffentlich verheilen. Das sollte es zumindest, denn mit Schmerzen dieser Art war nicht einmal daran zu denken, mit einer Frau zu tanzen, geschweige denn, sie zu begatten.

Ich zog mich an, dann leerte ich die Taschen meiner verdreckten Anzughose, steckte Norberts in der Höhe anscheinend schon als Schmerzensgeld gedachte Zuwendung in meine Bargeldbox. Ich überschlug den Inhalt und stellte beruhigt fest, daß ich mir gegebenenfalls auch noch einen weiteren Monat unbezahlten Urlaub leisten konnte. Und dazu würde während der Semesterferien noch die Gage für die Provinzauftritte der Volltönenden kommen.

*


Den Vormittag verbrachte ich bäuchlings auf dem Bett liegend und Zeitschriften lesend, nahm noch einmal zwei Schmerztabletten, als ich meinen After wieder unangenehm zu spüren begann, und schaute dann, immer noch auf dem Bauch liegend, belanglose Fernsehserien, bis ich mich endlich auf den Weg machte, um pünktlich zu dem Konzert in der Mensa zu erscheinen. Ich erreichte die Uni kurz vor sieben, wo ich dann allerdings zuerst nur Bernhard mit den Fräcken für unseren Auftritt antraf. Die anderen trudelten jedoch wenig später ein und wir zogen uns in einer winzigen Abstellkammer der Mensa um, die uns als Garderobe zugeteilt worden war.

Wie vor jedem Auftritt sangen wir uns mit Tonleitern ein, kontrollierten gegenseitig den Sitz der Fräcke und der streng nach hinten gekämmten Haare, dann gingen wir hinaus. Mir war etwas mulmig. Gewöhnlich traten wir vor Publikum auf, das zumindest im Durchschnitt deutlich älter war als wir, heute waren es jedoch gleichaltrige, zum Teil sogar jüngere Zuhörer, die vielleicht nicht mit einem Auftritt wie dem unsrigen rechneten - rein vokal und ohne Tanzeinlagen. Als wir angesagt wurden, ging ich, als der Kleinste der Volltönenden, durch die riesige Menge voran zur Bühne. Uns wurde anscheinend nur widerwillig, wie zähflüssig der Weg frei gemacht, außerdem begleitete uns ein beständiges Tuscheln, unterbrochen von einzelnen Lachern. Diese Lacher mochten unserer Kleidung gelten oder unseren Frisuren, egal, ich straffte die Schultern und verlangsamte meinen Schritt zu einem Schlendern. Sie würden schon sehen, daß wir richtig gut waren. Einen neugierigen Blick aus tiefblauen Augen beantwortete ich spontan mit meinem schönsten Verführerlächeln, nahm die Plastiknelke aus meinem Knopfloch, hauchte einen Kuß auf die stachelige Blumenimitation und warf sie in die ungefähre Richtung der Hände, die zu den blauen Augen gehören mußten. Dann würde ich mir morgen eben eine echte kaufen müssen. Das Tuscheln wurde lauter, aber es klang deutlich freundlicher.

Auf der Bühne nahmen wir für die erste Nummer des leicht modifizierten Nachtclubprogramms Aufstellung, Bernhard trat den obligatorischen Schritt nach vorne, breitete die Arme mit großer Geste aus, während Felix im Hintergrund die Stimmgabel anschlug und uns die Töne gab. Als Bernhard dann begann mit "Hört die Geschichte von Frau Potifar, die ungemein erfahren war", hatte ich für einen Moment das Gefühl, seinen glockenklaren Tenor das erste Mal zu hören, obwohl wir 'In der Bar zum Krokodil' bei jedem Auftritt im 'Flash Nights' und in genau diesem Arrangement vorgetragen hatten. War Bernhard heute einfach nur besonders gut bei Stimme? Das nächste Stück war 'Mein Onkel Bumba aus Kalumba', bei dem Felix und ich mit den Schwebungen unserer sehr ähnlichen Stimmen spielten, was mir wieder einmal wohlige Schauder über den Rücken schickte, aber auch Ikes und Holgers kraftvolle Bässe gingen mir durch und durch, als würden sie mein Innerstes in Schwingung versetzen. Tatsächlich war der Klang, den wir als Quintett erzeugten, viel mehr als die Summe von fünf Einzelstimmen, es war eine Art magischer Vorgang, bei dem die Stimmen sich mit der Wertschätzung, die jeder von uns - ganz abgesehen von seinem persönlichen Musikgeschmack - der Tonerzeugung an sich gegenüber empfand, verbanden und potenzierten. Ich verstand plötzlich, daß meine ganze Zuneigung, nein, meine Liebe der Musik gehörte. Anders konnte ich dieses Gefühl wirklich nicht nennen, das mich in diesem Moment erfüllte. Und wie es aussah, transportierten wir diese Magie auch an unser Publikum weiter, das uns plötzlich so andächtig lauschte, daß man keinen Mucks aus der Menschenmenge hörte.

Nachdem wir unseren Diener gemacht hatten, war es noch einen Wimpernschlag still, bis plötzlich donnernder Applaus losbrach, ergänzt von anfeuernden Pfiffen und Gejohle. Vielleicht lag es an der schieren Menge von Publikum, dessen überraschend schnelles Mitgehen uns wiederum mitriß, daß wir letztlich unseren bisher besten Auftritt hatten. Wir hatten mit unserem Programm offenbar genau den Nerv getroffen.

Nach gut zwei Stunden auf der Bühne fühlte ich mich unglaublich euphorisch, fünf Forderungen nach Zugaben erfüllten wir auch begeistert, aber danach konnten wir einfach nicht mehr und sie hatten endlich ein Einsehen. Ein Discjockey übernahm, wir kehrten erschöpft aber sehr glücklich in unsere Garderobe zurück und wanden uns aus den durchgeschwitzten Fräcken. Als ich mich dann auf eine Holzbank fallen ließ, jagte wieder der Schmerz durch mein Hinterteil. Ich hatte meinen wunden After ganz vergessen, und natürlich auch die Schmerztabletten.


* * *

Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren

Kommentare zu diesem Text

Agnete (66)
(10.12.23, 20:10)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Elisabeth meinte dazu am 11.12.23 um 23:05:
Hallo, liebe Agnete,

ganz herzlichen Dank für Deine Empfehlung und Deinen freundlichen Kommentar. Es freut mich sehr, daß Du mit dem Kapitel Spaß hattest.

Liebe Grüße von Elisabeth / Bettina

Antwort geändert am 11.12.2023 um 23:08 Uhr
Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram