12. Florian

Text

von  Elisabeth

Dann kam Dienstag, der elfte Juni, noch viel wärmer als die zurückliegenden Tage seit Pfingsten, und selbst am späten Nachmittag mußten in unserem Probenraum die Verdunklungsgardinen geschlossen bleiben, weil es darin sonst unerträglich heiß geworden wäre. Wir hatten nur eine Reihe Lampen angeschaltet, und als Bernhard, Ike und ich schon zum Aufwärmen die Tonleitern sangen, kam endlich, ungewohnt verspätet, Felix herein und blendete uns, indem er die Schalter der beiden anderen Lampenreihen umlegte. Dann zeigte er auf den großen Mann, der mit ihm den Raum betreten hatte, bepackt mit einem Rucksack, einer Gitarrentasche und einem Posaunenkoffer: "Das ist Florian. Laßt uns mal sehen, ob er den Part des Ersten Basses packt."

Als ich mich blinzelnd an das gleißende Neonlicht gewöhnt hatte, konnte ich zunächst kaum glauben, daß der breitschultrige, eher blonde als rothaarige, sommersprossenübersäte Kerl der junge, schüchterne Florian sein sollte, den ich vor ziemlich genau zwei Jahren das erste Mal gesehen hatte. Aber an den etwas träumerischen, grüngrauen Augen glaubte ich, ihn wiedererkennen zu können, und als er "Hallo allerseits" sagte, schwang seine noch tiefer gewordene Stimme scheinbar im ganzen Raum wider.

Wir begannen mit der Probe und Florian, der die Stücke unseres Repertoires bereits allein geübt hatte, fügte sich wirklich gut in unseren Ensembleklang ein. Er war sehr stimmsicher und hatte für sein Alter einen überraschend klangvollen Bass. Bei den tiefen Partien hatte ich ein so wohliges Kribbeln im Bauch, daß ich meinte, dahinschmelzen zu müssen und fast meinen eigenen Einsatz verpaßte. Und am Ende der Probe verstieg Bernhard sich sogar zu der Bemerkung: "Wenn Florian die Gesangsprüfung nicht besteht, fresse ich einen Besen."

Florian freute sich sichtlich darauf, am Freitag mit uns im 'Flash Nights' auftreten zu können, Holgers Frack konnte mit ein paar Abnähern halbwegs passend gemacht werden, und Felix versprach, sich darum zu kümmern. Für Donnerstag nachmittag wurde noch eine Sonderprobe angesetzt, um ganz sicher zu gehen, dann packten wir zusammen.

"Flo will leider nicht bei mir wohnen", sagte Felix plötzlich. "Hat einer von euch noch ein Plätzchen für ihn bis nach der Prüfung?"

"Klar", antwortete ich sofort, und Felix sah mich mit einem Stirnrunzeln an, als wollte er sagen: 'Überall, außer bei dir'.

"Hey, ich wohne allein in einer Dreizimmerwohnung", erklärte ich. "Ich suche ohnehin noch einen Mitbewohner, und ich werde die Finger von ihm lassen, versprochen. Florian ist doch gar nicht mein Typ." Nein, das war er wirklich nicht, so groß, mit seinen wirren, rötlichen Locken über dem eher roten als gebräunten Gesicht, den mit dicht an dicht sitzenden Sommersprossen übersäten Armen und einer fantastischen Bass-Stimme.

"Bist du etwa schwul, Mann?" wollte Florian daraufhin von mir wissen.

Diese entwaffnende Naivität ließ mich lächeln. "Du hast es erfaßt. Außerdem habe ich ein Gästezimmer, und wenn du im Herbst an der MHS anfängst, kannst du auch gerne für länger einziehen."

"Ich glaube nicht, daß das eine gute Idee ist", widersprach Felix jetzt, diesmal traf sein kritischer Blick jedoch seinen jungen Freund. Aber Florian war mit einem schwulen Gastgeber wohl zufriedener als mit Felix und dessen Verlobter, also half ich ihm, seinen Kram mit der U-Bahn durch die Stadt zu transportieren, von der U-Bahn-Station, vorbei am 'Mekong Garden', um die Ecke und die drei Treppen hinauf.

Das Gästezimmer gefiel Florian, und beim Abendessen erzählte er mir, wie froh er sei, endlich von Zuhause wegzukommen, insbesondere von seinem großen Bruder, der ihn immer bestimmen wolle. Felix sei da nicht anders, weswegen er auch nicht bei ihm wohnen wolle, auf die Arbeit mit den Volltönenden freue er sich aber sehr. Und an dem Eifer, mit dem er von seinen zukünftigen Fächern Gesang und Saiteninstrumente sprach, merkte ich, wie viel ihm an dem Bestehen der Aufnahmeprüfung der MHS lag.

Während ich ihm so zuhörte, seine mittelmeergrünen Augen bewunderte, erinnerte ich mich an meine eigenen Gedanken, damals vor zwei Jahren, als meine Eltern mich zur Aufnahmeprüfung fortgelassen hatten - unter Tante Isabellas Aufsicht, mit der ich seit meinem Auszug bei ihr keinen Kontakt mehr hatte. Und ich erinnerte mich an das letzte Päckchen meiner Mutter, die immer noch jeden Monat etwas schickte, und an den Streit mit meinem Vater, mit dem ich mich noch immer nicht ausgesöhnt hatte und es angesichts seiner Einstellung zum sexuellen Kontakt zwischen Männern auch nicht wollte.

Florian mochte die selbstgebackenen Kekse meiner Mama, trank dazu sogar, obwohl er eher der Biertyp sei, mit mir ein Glas Calvados. Wir sprachen über seine bevorstehende Prüfung, über meine zwei Jahre zurückliegende Prüfung, auch wenn ich unterließ zu erwähnen, daß wir uns ja am Tag vor meiner Prüfung kennengelernt hatten. Entweder er erinnerte sich selbst daran, dann mußte ich es nicht erwähnen, oder er erinnerte sich nicht, dann war es auch egal. Ich konnte mir aber nicht verkneifen zu erwähnen, daß ich das Bestehen meiner Prüfung Rossini zu verdanken hatte, da ich mit den vorgegebenen Stücken durch die Bank weg wenig Glück gehabt habe.

Florian lachte. "Das Gefühl habe ich auch, naja, die 'Fantasien für Laute' von John Dowland gehen eigentlich ganz gut. Aber weißt du was, ich habe für den eigenen Vortrag auch Rossini ausgesucht, Don Magnificos Arie aus dem ersten Akt von 'La Cenerentola'." Er rieb sich die Augen, als sei er gerade aufgewacht, und sang mit seinem wunderbaren Bass: "Miei rampolli femminini, vi ripudio, mi vergogno! Un magnifico mio sogno mi veniste a sconcertar." Dann lachte er. "Ich finde die Idee einfach genial, den Traum von einem geflügelten Esel als Zeichen der anstehenden Königswürde zu verstehen."

"Ich habe Dandinis Arie zur Prüfung gesungen", erinnerte ich mich, gab ebenfalls die ersten Takte zum besten. Wie ich diese Oper liebte! Wir stellten fest, daß wir beide von Rossinis Musik und der Komik seiner Werke begeistert waren, die selben Aufnahmen der Opern schätzten, redeten und redeten, bis schließlich die Keksdose geleert war und aus der frisch geöffneten Flasche Calvados ein gutes Drittel fehlte.

Dann entschuldigte Florian sich, um seine Sachen auszupacken, später hörte ich ihn Läufe und ein Renaissance-Stück auf seiner Gitarre spielen, wohl um für seine Prüfung in der nächsten Woche zu üben. Als ich schon im Bett lag und halb schlief, änderten sich die Klänge plötzlich und es dauerte eine Weile, bis ich erkannte, daß Florian nicht nur ein anderes Stück spielte, sondern auch begonnen hatte, zu der Gitarrenmusik zu singen. Auch wenn ich durch die geschlossenen Türen nicht alles genau hörte, wurde aber deutlich, daß das keine Rossini-Arie war, sondern eher ein Schubertlied. Und der gedämpfte Wohlklang wiegte mich in den Schlaf.

*


Ich mußte am Mittwoch früh in die Hochschule, also klopfte ich am Morgen an die Tür des Gästezimmers, um Florian einen Wohnungsschlüssel zu geben und mich zu verabschieden.

"Kannst reinkommen", rief er, lag noch im Bett, der nackte Oberkörper unbedeckt.

Bewundernd betrachtete ich seine muskulöse, mit wenigen, im Sonnenlicht wie gesponnenes Gold glänzenden Haaren bewachsene Brust, nicht so trainiert wie die Ahmets, aber schon ziemlich gut für einen Mann, der nicht hauptberuflich Sport trieb. Natürlich bemerkte Florian meinen Blick, als ich da, ganz von dem Anblick eingenommen, mitten im Zimmer stand, den Schlüssel in meiner Hand völlig vergessen.

"Hey, Mann, ich hab' auch 'nen ziemlich knackigen Hintern", verkündete er stolz, schlug die Decke beiseite und drehte sich auf den Bauch, so daß ich einen Rundumblick auf seinen nackten Körper erhielt, der nichts zu wünschen übrig ließ. Ja, wirklich, er hatte recht muskulöse Hinterbacken und nun präsentierte er mir seine bis auf den Kulturstreifen am Gesäß stark sommergesproßte Rückseite mit den gespreizten Beinen wie eine Einladung. Dieser Anblick machte mich unheimlich scharf, aber Florian schien sich nichts dabei gedacht zu haben, grinste mich über seine Schulter fröhlich an. "Können wir zusammen frühstücken?"

Ich versuchte, mich zusammenzureißen, warf den Schlüssel zu ihm aufs Bett. "Nein, ich muß los. Und laß solche aufreizenden Posen in meiner Gegenwart." Felix würde es mir nie verzeihen, wenn ich Florian zu nahe trat, und ich hatte kein Interesse daran, Unfrieden zwischen die Volltönenden zu tragen. Ich floh praktisch aus meiner Wohnung und vergrub mich an dem Tag regelrecht in der Arbeit, um nur nicht an den Anblick von Florians Hintern zu denken.

Als ich am späten Nachmittag wieder nach Hause kam, saß Florian mit seiner Gitarre auf den Stufen zur Haustür. "Ich hab' auf dich gewartet", begrüßte er mich und stand auf. "Ich hab' mich heute ein bißchen in der Gegend umgesehen", erzählte er, als er mit mir die Treppen hinaufstieg. "Gibt ja interessante Geschäfte in der Nachbarschaft. Und ich hab' eine Kiste Bier für uns gekauft. Was hältst du davon, wenn wir heute abend ein bißchen auf deinem Balkon abhängen?"

"Wenn ich jetzt tatsächlich Feierabend habe, sehr gerne", versprach ich. Die Bierkiste stand schon in der Küche, einige Flaschen daraus hatte Florian vorausschauend in den Kühlschrank gelegt. Bisher war ich für diesen Abend noch nicht gebucht worden, aber vorsichtshalber hörte ich meinen Anrufbeantworter ab. Doch ich hatte diesen letzten Tag im Dienste der 'Agentur Casanova' tatsächlich frei.

Florian war hinter mir ins Wohnzimmer gekommen. "Du hast also Feierabend?" fragte er, griff in seine ausgebeulte Hosentasche. Sah man mir meine Zufriedenheit so deutlich an? Und als ich nickte, holte er einen Tabaksbeutel heraus, zog daraus eine Blättchenpackung und fragte: "Willst du auch?"

Dankend lehnte ich ab. "Ich rauche nicht. Und es wäre mir auch lieber, wenn du mit der Zigarette auf den Balkon gehen könntest."

"Uh, alles klar, Chef. Aber das ist das beste Gras, was es für Geld zu kaufen gibt. Du verpaßt echt was."

"Gras? Du machst dir einen Joint?" fragte ich verdutzt.

"Jepp. Na komm, gib dir einen Ruck. Du verpaßt wirklich was." Aber ich blieb stur. "Na, dann leiste mir wenigstens bei dem Bier Gesellschaft." Dagegen, einen schönen Tag mit einer Flasche Bier auf dem Balkon zu beenden war nichts einzuwenden, also setze ich mich mit ihm raus.

Wir saßen eine ganze Weile schweigend auf den Klappstühlen, schauten uns den Sonnenuntergang über dem Park an, tranken das Bier, und Florian zog immer wieder einmal an seinem Joint. Irgendwann, als wir unsere Flaschen schon geleert hatten, sagte er dann mit verträumtem Blick: "Das ist toll hier. Ich hoffe, die nehmen mich an der MHS, ich würd' gern hier wohnen." Noch immer - oder schon wieder - hatte er den Joint in der Rechten und plötzlich merkte ich, daß er mit der anderen Hand durch die Hose gedankenverloren an seinem Schwanz spielte.

Ich versuchte, das zu ignorieren, aber ich kam nicht umhin festzustellen, daß er die Hose öffnete und nun ernsthaft begann, sich einen runterzuholen. Das machte mich definitiv viel zu heiß. Vielleicht sollte ich versuchen, mich noch für diesen Abend mit Ahmet zu verabreden, denn da mich niemand gebucht hatte, durfte ich ihn ja nun endlich wieder anfassen. Ich stand auf und nahm die beiden leeren Bierflaschen. "Viel Spaß noch", wünschte ich Florian.

Florian klemmte den Rest seines Joints zwischen die Lippen und griff mit der nun freien Rechten nach meinem Arm. "Hey, mach doch mit", sagte er um den Joint herum, lächelte mit einer Mischung aus sinnlicher Verführung und debiler Umnachtung, die mich aus irgendeinem Grunde davon abhielt, einfach seine Hand abzuschütteln.

"Du stehst völlig neben dir, Florian. Spätestens wenn die Wirkung des Grases verflogen ist, wirst du mich dafür hassen", prophezeite ich ihm.

Florian nahm die Hand vom Schwanz und den Joint aus dem Mund. "Glaub ich nicht, Juan. Hier, nimm einen Zug, macht dich schön locker", und er reichte mir den Joint.

Ganz automatisch griff ich mit der freien Hand danach, führte ihn aber nicht an meine Lippen. "Das ist nichts für mich", erklärte ich ihm. "Und hier draußen auf dem Balkon erst recht nicht."

"Hey, wer soll uns sehen? Die Vögel im Park? Es ist dunkel, Mann, und die Balustrade hat einen Sichtschutz. Setz dich endlich hin." Und er zog so kräftig an meinem Arm, daß ich auf den Klappstuhl zurückplumpste und die aus meiner Hand gefallenen Bierflaschen klirrend unter den Klappstuhl kullerten. Florian ließ mich endlich los und sah mich dann mit erstaunlich wachem Blick an. "Hast du ein Problem mit deinem Schwanz?"

Ich schnaubte verächtlich. "Ich hab mein Geld mit meinem Schwanz verdient", eröffnete ich ihm. "Und ich habe auch kein Problem damit, dir meinen Schwanz zu zeigen, wenn es das ist, was du willst. Aber ich würde mich mit Felix anlegen, wenn ich dir erlaube, mit mir rumzumachen."

"Hey, Mann, ich faß' dich nicht an. Aber wenn du wirklich kein Problem mit deinem Schwanz hast, zeig' doch mal her."

Vielleicht hätte ich ihn einfach ignorieren sollen, aber mir schmeichelte sein Interesse natürlich, also öffnete ich meine Jeans so weit, daß Florian im Licht des Wohnzimmers einen guten Blick auf meinen großen Freund haben mußte, an dem meine Erregung durch Florians Tätigkeit nicht spurlos vorübergegangen war.

Florian stieß einen Pfiff aus. "Oh, Mann, da kann man ja neidisch werden." Dann grinste er. "Wer als erster fertig ist", und fing an.

Ich konnte nicht glauben, daß Florian mich zu einem Wichswettbewerb herausgefordert hatte. War ich allein dadurch, daß ich neben einem Kiffer gesessen hatte, so benebelt, daß ich halluzinierte? Wenn es allerdings eine Halluzination war, bildete ich mir ohnehin alles nur ein. Ich warf also den Rest des Joints über die Balkonbrüstung und legte nun bei mir Hand an.

"Ist doch geil, so eine Doppelfontäne, oder?" fragte Florian grinsend, und ich mußte ihm recht geben. Es war absolut kindisch und unheimlich geil gewesen.

Wir saßen noch eine Weile einfach nebeneinander, dann halfen wir uns schließlich gegenseitig auf und wankten mit halb heraufgezogenen Hosen in unsere Zimmer. Als ich endlich und allein auf meiner Matratze lag, stellte ich fest, daß ich Florians verrückte Art mochte und hoffte, daß er auf Dauer zu den Volltönenden gestoßen war.

* * *



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