13. Das Ende der Quarantäne

Text

von  Elisabeth

Am Donnerstag nachmittag war die Generalprobe für Florians ersten Auftritt mit den Volltönenden. Ich hatte davor ein Seminar und traf die anderen im Probenraum, bekam noch mit, daß Felix den Jungen flüsternd ins Verhör nahm, aber anscheinend nichts erfuhr, was ihn beunruhigte, denn Felix bemühte sich unmittelbar danach sogar zu mir und sagte: "Nichts für ungut wegen vorgestern. Ich habe kein Problem damit, wenn jemand schwul ist, aber Flo ist halt so was wie ein kleiner Bruder für mich."

Es erleichterte mich sehr, daß Florian seinem Ersatzbruder anscheinend nicht alles erzählte und nickte zu Felix' Worten. Die Probe lief auch ansonsten gut, Holgers geänderter Frack bekleidete unseren neuen Ersten Bass angemessen, und nach den zwei Stunden fuhren Florian und ich zusammen nach Hause.

Es war schon fast sieben, als wir endlich am 'Mekong Garden' vorbeikamen. Und als wir um die Ecke bogen, sah ich schon von weitem Ahmet auf der Treppe vor der Haustür sitzen. Natürlich, wir waren verabredet gewesen, unser erstes Treffen nach dem 12.6., endlich war die Quarantäne beendet.

"Setzen wir uns wieder auf deinen Balkon?" fragte Florian hoffnungsvoll. Er konnte ja nichts von meinen Plänen mit Ahmet wissen, und ich konnte nicht verhindern, daß mein Gesicht durch das Aufblitzen der Erinnerung an den vergangenen Abend zu glühen begann.

"Nein", sagte ich entschieden, "ich habe die Verabredung für heute schon letzte Woche gemacht, ich gehe ins Kino. Hallo, Ahmet."

"Hallo, Juan", erwiderte er, aber musterte dabei intensiv meinen Gast. "Was spricht denn gegen einen Abend auf dem Balkon? Hast du da nicht genügend Platz für drei?" wollte er wissen. Dann reichte Ahmet Florian plötzlich die Hand: "Hallo, ich bin Ahmet, ein Bekannter von Juan. Und wer bist du?"

Florian ergriff Ahmets Hand, staunte anscheinend über den kräftigen Händedruck des um einen Kopf kleineren Mannes. "Hallo, ich heiße Florian und wohne für ein paar Tage bei Juan. Ich mache Dienstag und Mittwoch meine Aufnahmeprüfung an der MHS. Und wenn ich die bestehe, bin ich auch der neue Erste Bass der Volltönenden."

"Na, dann wünsche ich doch viel Glück. Also, was ist mit einem Abend auf dem Balkon? Der Film, den ich mit dir sehen wollte, läuft heute nämlich nirgends, den können wir erst am Sonnabend sehen. Außerdem würde ich gerne deine neue Wohnung kennenlernen." Und er grinste mich so anzüglich an, daß mir die Knie ganz weich wurden. Ich konnte nur hoffen, daß er wirklich darauf achtete, meine Grenzen nicht zu verletzen. Aber wir würden nicht allein sein, also würden wir wohl gar nicht in eine entsprechende Situation kommen. Allerdings stand da neben uns Florian, ein neunzehnjähriger Junge, der Wichswettkämpfe liebte...

Aber bevor ich eine Entscheidung treffen konnte, hatte Florian Ahmet schon ins Haus gelassen und führte ihn hinauf zu meiner Wohnung, erzählte ihm auf dem Weg durch die drei Stockwerke die andere Hälfte seiner Lebensgeschichte und fragte ihn, ob er Lust auf ein bißchen Gras hätte.

"Hast du eine Bong?" fragte Ahmet zu meinem Erstaunen zurück.

"Nö, ich dreh' Joints", erklärte Florian, schloß meine Tür auf. "Dazu ein Bier?" fragte er dann aus der Küche, nahm drei Flaschen aus dem Kühlschrank und reichte Ahmet und mir je eine.

"Du fühlst dich hier wohl schon ganz wie zu Hause, was?" fragte ich spöttisch, aber mein Sarkasmus lief ins Leere.

"Na klar, ich hab ja vor, hier zum Wintersemester einzuziehen", und Florians fröhliches Grinsen war einfach unwiderstehlich.

"Ist der immer so?" fragte Ahmet mich lachend.

Da mußte ich auch lachen. "Ja, ich fürchte, er benimmt sich ein bißchen wie ein sehr junger Hund." Und prompt begann Florian zu hecheln und leckte mir plötzlich quer über das Gesicht.

Ahmet fiel fast um vor Lachen, und mir wurde durch die Nähe und diese Berührung plötzlich heiß und kalt vor Begehren nach Florian. Aber ich wollte doch Ahmet! Und außerdem wollte ich das Verhältnis zu Felix nicht trüben, denn mir lag an meiner Mitgliedschaft bei den Volltönenden. Ich versuchte also, mein angestrengtes Lachen natürlich klingen zu lassen, umklammerte den kalten Hals der Bierflasche. "Ich würde gerne erstmal etwas essen."

Da die anderen auch Hunger hatten, kochten wir Spaghetti, und Florian zauberte aus dem Inhalt meines Kühlschrankes eine richtig leckere Sauce. Während des Essens rückte Ahmet damit heraus, daß sein Alternativprogramm einen heute abend im Fernsehen laufenden Film umfaßte. Florian sagte der Titel sogar etwas und begann mit Ahmet über Nachkriegsfilme im allgemeinen und Orson Welles im besonderen zu fachsimpeln. Und während ich den beiden mit mäßigem Interesse zuhörte, ging mir plötzlich auf, warum Ahmet mir trotz der regelmäßigen Treffen in den vergangenen Wochen so merkwürdig fremd geblieben war, als sprächen wir zwar die selbe Sprache, beherrschten aber nur unterschiedliche Vokabeln. Er sprach fast nie über sich und seine Befindlichkeit, immer nur über diesen Film und jenen Schauspieler. Mit Bernhard, ja sogar mit Florian, den ich ja erst seit zwei Tagen wirklich kannte, war ich viel schneller auf vertrauten Fuß gekommen, als mit Ahmet.

*


Nach dem Essen erinnerte Florian wieder an sein Gras. "Also Balkon oder Fernseher?" fragte ich daraufhin pikiert. Mit Ahmet das Ende der Quarantäne zu feiern hatte ich mir ganz anders vorgestellt.

Da Ahmet tatsächlich Lust hatte, mit Florian einen Joint zu rauchen, aber auch den Film sehen wollte, saßen wir schließlich alle mit dem Rücken zur Balustrade auf dem Balkon, Ahmet zwischen mir und Florian, und sahen durch die offene Tür 'Der Dritte Mann'.

Ahmet lobte Florians Marihuana, der Joint wanderte immer hin und her, zwischendurch wurde Bier getrunken, aber ansonsten saßen die beiden nur sehr entspannt in der leichten Brise, die vom Park her wehte, und schauten zum Fernseher. Irgendwann holte ich noch mal ein paar Flaschen Bier, nutzte die Gelegenheit, auch noch pinkeln zu gehen, und als ich wiederkam, hatten sie es sich auf den beiden äußeren Klappstühlen bequem gemacht und bestanden nun darauf, daß ich zwischen ihnen sitzen sollte. Natürlich, sie wollten mich dazu bringen, mitzurauchen, immer wieder gab mir einer der beiden den inzwischen wohl schon dritten oder vierten Joint in die Hand, um ihn an den anderen weiterzureichen. Aber den Gefallen, ihn selbst an die Lippen zu führen, tat ich ihnen nicht. Sie umnebelten mich sowieso die ganze Zeit mit dem süßlichen Rauch aus Tabak und Hanf, da mußte ich gar nicht selbst ziehen, um irgendwann die Wirkung zu spüren.

Aber entweder war die Wirkung nicht so massiv, oder ich war dagegen weitgehend unempfindlich, denn ich fühlte mich auch am Ende des überraschend spannenden Films nicht anders, als zu Beginn. Ich bedauerte allerdings, daß Ahmet so schnell auf Florians Vorschlag angesprungen war. Ich hätte den Abend lieber allein mit ihm verbracht, vielleicht ein bißchen gefummelt. Aber vielleicht war Ahmet an mir ja auch gar nicht mehr interessiert, nachdem er festgestellt hatte, daß mich Filme lange nicht so sehr interessierten, wie ihn. Die Quarantäne schien ihm ja recht leicht gefallen zu sein.

Als der Nachspann lief, war die Sonne schon fast hinter den Bäumen des Parks verschwunden. Ahmet drehte sich ebenfalls zu dem grünen Baummeer um, streifte dabei wie zufällig mit der Hand meinen Oberkörper, drückte sich ein wenig gegen mich. "Heute ist der Abend des dreizehnten Juni", erinnerte er mich im Flüsterton, berührte mit seinen Lippen fast meine Wange.

Daß er anscheinend doch scharf auf mich war, brachte mein Blut in Wallungen, und ich konnte mich nur sehr schwer davon abhalten, meine Lippen auf die Ahmets zu legen, aber da saß immer noch Florian neben mir, der uns aus seinen so träumerisch wirkenden Augen doch recht wach musterte. 'Du störst', war ich versucht zu sagen. Und jetzt fing Florian auch noch damit an, an seinem Schwanz zu spielen!

Ahmet sah, worauf ich schaute und grinste. "Du sagtest doch, wie ein sehr junger Hund, oder?" hauchte er in mein Ohr.

"Eindeutig ein Rüde", stellte ich fest. Durch Florians dünne Sommerhose konnte man jetzt deutlich seine Erektion erkennen und am Vortag zumindest hatte er keine Unterhose getragen.

"Rrrr, das macht mich an", schnurrte Ahmet mir ins Ohr, legte die Arme um mich und ließ eine seiner Hände hinten in den Hosenbund meiner Hose wandern, streichelte die Haut meiner linken Hinterbacke. Ihn schien Florians Anwesenheit überhaupt nicht zu stören.

Der Fernsehsprecher kündigte eine Musiksendung an. "Ich muß den Fernseher ausstellen", behauptete ich, aber Ahmet ließ mich nicht los. "Küß' mich lieber", verlangte er, leckte mit der Zungenspitze über meine Unterlippe. Diese Aufforderung konnte ich nicht ignorieren, und ich genoß den langen Kuß, den wir einander gaben, Ahmets knetende Hand an meinem Hintern. Ich hätte ihm am liebsten das T-Shirt und die Hose vom Leib gerissen, um seinen ganzen, perfekten Körper zu kosten, aber nachdem ich seine Hand aus meinem Hosenbund gezogen hatte, streifte ich ihm das T-Shirt lieber doch ganz konventionell über den Kopf, löste die Schnalle des Gürtels seiner weiten Jeans. Und daß der völlig bekiffte Florian daneben saß, war mir jetzt auch egal. Schließlich würde er nichts zu sehen kriegen, was er nicht von sich selbst kannte.

Ahmet ließ sich zu den leisen Free-Jazz-Klängen aus dem Fernsehen geduldig entkleiden, quittierte die Küsse auf die seit unserer letzten intimen Begegnung mit deutlich mehr Haar bewachsene muskulösen Brust mit leisen Seufzern, die mein Blut zum Kochen brachten. Ich kniete mich vor ihn, arbeitete mich über seinen durchtrainierten Leib weiter nach unten vor, erreichte endlich den Bauchnabel, hielt mit einem Blick um mich herum inne. Nein, hier gab es, anders als um meine frühere Wohnung, wirklich keine Häuser, von denen aus man über meine blickdichte Balkonbalustrade schauen konnte, da hatte Florian ganz recht gehabt. Also konnte ich beruhigt weitermachen, die Zunge um Ahmets flachen Bauchnabel kreisen lassen, der Spur schwarzer, lockiger Härchen weiter hinunter folgen. Ahmet lehnte sich genießerisch so weit nach hinten, wie es der Klappstuhl zuließ, bot mir seinen Schoß dar, den ich andächtig entkleidete. Ich dachte plötzlich an den vorigen Abend mit Florian und mußte mich zwingen, mich auf Ahmet zu konzentrieren, mich daran zu erinnern, wie er mich damals verwöhnt hatte. Wie hatte ich das nur als Angriff auf meine Männlichkeit mißverstehen können? Er fühlte sich durch meinen Körper einfach ebenso angezogen, wie ich mich durch seinen. Wie schwer Ahmets Atem ging, er stöhnte schon fast.

Na klar, Marco und ich hatten ein bißchen miteinander gespielt, bevor meine Mutter uns damals störte, aber tatsächlich hatte ich nicht wirklich viel Erfahrung darin, einen zu blasen. Ich ließ mich daher ganz von meinen eigenen Vorlieben und Ahmets Reaktionen leiten. Seine Atemzüge wurden noch heftiger, und dann legte er eine Hand auf meinen Kopf, streichelte durch mein Haar, drückte meinen Kopf herunter, so daß ich würgen mußte. Ich war froh, als er den Druck nachließ, doch dann drückte er wieder, und wieder, diktierte mir seinen Rhythmus. Als Reflex ließ ich mir so etwas ja noch gefallen, aber das war nun zuviel. Ich griff nach seiner Hand, zog sie vielleicht ein bißchen zu heftig fort und schaute zu Ahmet hoch. "Laß MICH dir einen blasen", protestierte ich. "Oder wir lassen es ganz."

Verwirrt sah Ahmet mich an. "Aber was..."

"Du hast meinen Kopf herunter gedrückt", fiel ich ihm ins Wort.

"Nur um dir den Takt vorzugeben", und Ahmet klang tatsächlich so, als wolle er sich mit dieser Bemerkung verteidigen.

"Eben deswegen! Mach' es nicht wieder!" Wenn er entgegen seinen Versprechungen doch ständig die Richtung angeben wollte, würde es mit uns nichts werden.

"Entschuldige", antwortete Ahmet zerknirscht, "aber es war doch nicht böse gemeint. Ich finde toll, wie du es machst. Wieso hast du ein Problem damit, daß es mir schneller noch lieber wäre?"

Ja, wieso hatte ich ein Problem damit? Er hatte sich doch für seine Verhältnisse sehr zurückgehalten. Überhaupt war Ahmet von Anbeginn unserer Bekanntschaft immer freundlich, ja direkt fürsorglich gewesen, abgesehen von seiner Eifersuchtsattacke auf dem Uniklo und dem Kinnhaken im 'Mekong Garden'. Und zumindest in der Uni war er wohl schon ziemlich alkoholisiert gewesen. Er hatte mich damals in seiner Wohnung so verwöhnt, und ich hatte nun gründlich die Stimmung versaut. Nur Florian war ganz versunken mit seiner Selbstbefriedigung beschäftigt, die Augen genießerisch geschlossen.

"Tut mir leid", flüsterte ich Ahmet zu, ohne den Blick von Florians Schoß wenden zu können.

"Es ist in Ordnung", war Ahmets Antwort. "Jetzt weiß ich wenigstens Bescheid, wie ernst die Angelegenheit wirklich ist. Ich geh' nach Hause. Gute Nacht." Er stand auf, schloß seine Hose und hob sein T-Shirt auf. Gleich würde ich die Wohnungstür klappen hören. Mist! Ich hatte es kaputt gemacht. Wieso hatte ich nicht einfach meinen Mund gehalten, oder seine Entschuldigung geschluckt und weiter gemacht? Vielleicht hätte ich doch mitrauchen sollen.

"Vergiß nicht, Sonnabend um acht... im 'Murphy's'", hörte ich Ahmet dann überraschend sagen, als er schon im Wohnzimmer stand, dann war er wirklich weg. Sonnabend, Ahmets Überraschung für mich. Wieso war ich ihm das noch immer wert? Im umgekehrten Falle hätte ich wohl einfach den Kontakt abgebrochen, aber Ahmet hatte anscheinend wirklich ein so großes Herz, daß es all sein Handeln bestimmte. Vielleicht fiel es mir deswegen so schwer, ihn zu verstehen.

Florian war inzwischen zu einem Ende seiner Bemühungen gekommen, wischte sich die Hand an seinem T-Shirt sauber. "Wo ist dein Freund hin?" fragte er mich dann erstaunt.

"Egal. Gute Nacht." Zu mehr konnte ich mich jetzt nicht durchringen, machte im Vorbeigehen den Fernseher aus und ging mit Bauchschmerzen ins Bett.

* * *



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