Eine Hölle für zwei Personen

Drama zum Thema Ehe

von  Graeculus

Ein Morgen wie jeder Morgen. Er beginnt mit dem Aufstehen, und spätestens beim Frühstück begegnen sie sich: zwei altgediente Eheleute.
Man deckt den Tisch und setzt sich.

Die Frau: Sag‘ was!“
Der Mann: „Nö.“
Sie: „Bitte.“
Er: „Darf ich dir mal eine Frage stellen?“
Sie: „Ja, warum nicht? Wie lautet die Frage?“
Er: „Danke, das war sie schon.“

Die Frau: „Jetzt bin ich sprachlos. Hast Du denn deiner eigenen Frau gar nichts mehr zu sagen? Das ist ja wieder typisch für dich.“
Er: „Was soll ich sagen? Du widersprichst mir ja doch immer.“
Sie: „Das ist überhaupt nicht wahr!“
Er: „Siehst du, sag‘ ich’s doch. Du widersprichst mir immer ... und auch jetzt.“
Die Frau, nachdenklich: „Das stimmt, ich habe dir widersprochen.“
Der Mann: „Nein, jetzt hast du mir widersprochen; vorher hast du mich bestätigt.“
Die Frau: „Du widersprichst mir ja auch immer.“
Er: „O.k.“

Sie: „Wie froh bin ich, daß ich den Kaffee, den du kochst, nicht ausstehen kann. Würde er mir schmecken, dann würde ich ihn trinken, und ich hasse das Zeug.“
Er: „Du kannst mich provozieren, aber ich verspreche dir, daß ich das Wort ‚unausstehlich‘ nicht in dem Mund nehmen werde.“
Sie: „Ich möchte einfach nur Frieden und Harmonie. Aber du machst immer alles kaputt. Immer macht du mir Schuldvorwürfe! Tu mir einen Gefallen: Versprich mir nie wieder etwas.“
Er: „Versprochen.“
Sie: „Man kann sich auf deine Versprechen nicht verlassen.“
Er: „Ich verspreche, daß ich mich bessern werde.“

Die Frau: „Hast du eigentlich immer recht?“
Der Mann: „Nein. Einmal hatte ich unrecht. Da habe ich nämlich geglaubt, ich hätte unrecht, und hatte doch recht.“
Sie: „Ich jedenfalls kann Kritik gut annehmen, sofern sie berechtigt ist.“
Er: „Was? Sag bloß, ich kann keine Kritik vertragen? Das ist ja eine Unverschämtheit!“

Sie: „Unsere Ehe ist ein Spiegelbild für die Zerrissenheit unserer Gesellschaft.“
Er: „Ist sie nicht!“
Sie: „Da sage ich jetzt nichts zu. Es ist schade, daß wir uns so schlecht verstehen.“
Er: „Warum fängst du auch immer wieder Streit an?“
Die Frau: „Woher nimmst du dir das Recht, andere Menschen zu beurteilen?“
Der Mann: „Und was tust du soeben?“

Die Frau: „Ich glaube, daß ich die Dinge objektiv sehe.“
Er: „Was mich an Menschen stört, ist, daß viele irrtümlich glauben, sie hätten immer recht. Mich betrifft das zum Glück nicht, denn ich habe halt wirklich immer recht.“
Sie: „Ich sage immer: man darf nicht generalisieren.“
Er: „Fehler machst du wohl nie?“
Sie: „Keine Fehler zu machen, ist ein großer Fehler.“

Der Mann: „Immer mußt du das letzte Wort haben!“
Die Frau: „Muß ich gar nicht!“
Der Mann: „Und wieder weißt du alles besser!“
Die Frau: „Das weiß ich besser: ich bin kein Besserwisser.“

Der Mann: „Wir können einfach nicht ruhig und vernünftig miteinander reden.“
Die Frau: „Wieso nicht? Laß es uns doch einfach mal versuchen. Ich jedenfalls bin immer für dich da, wenn du mal Probleme brauchst. Man sollte in einer Liebesbeziehung keine Bedingungen stellen. Aber ich dulde keine Intoleranz! Ich mache niemandem Vorschriften und dulde auch nicht, daß du mir welche machst. Sag’ mir nie aus Pflicht, daß Du mich liebst, aber sag‘ es mir doch endlich mal!“
Er: „Ganz spontan?“
Sie: „Ja! Sei spontan! Sei um Himmelswillen einmal ganz entspannt! Und außerdem: Ein Mensch sollte schon bereit sein, Fehler zuzugeben. Ich habe in dieser Hinsicht Glück, weil ich keine mache. Folge deinem Herzen, das Herz kann nicht irren.“
Der Mann: „Da irrst du dich aber gewaltig!“

Die Frau, an der Grenze ihrer Geduld: „Ich will jetzt nicht sagen: Ich habe dich gewarnt!, denn das wäre besserwisserisch und herablassend. Aber gewarnt habe ich dich. Verzeihen kann ich, aber vergessen niemals!“
Der Mann: „Gut, ich versuche es mal mit der Spontaneität. Du, das ist jetzt nicht negativ gemeint, sondern nur eine sachliche Feststellung: Du hast Mundgeruch. Aber ich liebe dich so, wie du bist, mit all deinen Mängeln.“

Sie: „Weißt du, was du bist? Du bist ein verdammter Sexist!“
Er: „Mich nennst du Sexist, aber wenn irgendwelche Schlampen rassistisch sind, dann sagst du nichts! Ich bin nicht frauenfeindlich. Das würdest du mir auch gar nicht erlauben.“
Sie: „Ich mache es so wie du, nämlich nicht so wie du, sondern so, wie ich es will.“
Der Mann: „Ach, du willst einfach nicht gerne zugeben, daß du unrecht hast. Das ist doch menschlich, daß man das nicht gerne tut. Sag das doch einfach!“

Sie: „Mensch, wie sollen wir unter diesen Umständen gemeinsam in Urlaub fahren? Hast du dir mal überlegt, ob du das überhaupt willst?“
Er: „Ich habe mich jetzt entschieden und sage: vielleicht.“
Sie: „Nur aus Höflichkeit mache ich mal einen Vorschlag: Sei doch mal selbstlos und tu etwas für mich!“
Er: „Jetzt reden wir doch nicht immer nur von mir! Wie denkst du denn über mich? Liebst Du mich etwa noch?“
Sie: „Wer mag schon rhetorische Fragen?“

Der Mann: „Ich halte eben nichts von Theorien, Weltanschauungen und Ideologien – die Praxis zählt!“
Die Frau: „Für dich ist wohl alles schlecht?!“
Der Mann: „Es ist nicht alles schlecht; z.B. Pessimismus ist gut.“
Sie, resignierend: „Ich muß jetzt kalt duschen, um wieder warm zu werden.“

Ja, die Ehe ... Doch was man anfängt, das sollte man auch zu Ende

Hinweis: Der Verfasser wünscht generell keine Kommentare von Mondscheinsonate und AndreasGüntherThieme.

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (01.04.20)
"The only thing I like is hating everything!"

 Graeculus meinte dazu am 01.04.20:
Ach, die anderen Leute sind ganz toll! Nur der eigene Ehepartner ...

 TrekanBelluvitsh antwortete darauf am 01.04.20:
Wow! Wer das denkt, ist echt lange verheiratet...

 Graeculus schrieb daraufhin am 01.04.20:
Russisches Sprichtwort: "Gut ist es überall, wo wir nicht sind."
Aber meine Szene ist so autobiographisch nicht; allenfalls könnte man sie als die Essenz einer früheren Ehe ansehen. Die dann zum Glück ein Ende gefunden hat.

 AchterZwerg (01.04.20)
Den Protas: Alles Gute auf dem weiteren Lebensweg!

 Graeculus äußerte darauf am 01.04.20:
Richtung: Wer hat Angst vor Virginia Woolf?

 AchterZwerg ergänzte dazu am 01.04.20:
"Wer hat Angst vor Virginia Woolf?"

Irene?

 Graeculus meinte dazu am 01.04.20:
Diesen Witz habe ich nicht gleich verstanden, jetzt aber wohl. Mit der Wahl seines Alias muß man vorsichtig sein - manche verführen zu Wortspielen.

 ViktorVanHynthersin (01.04.20)
Bin gleich wieder da. Muss nur die Abhöreinrichtung in meiner Wohnung finden und deinstallieren.
Herzlichst
Viktor

 Graeculus meinte dazu am 01.04.20:
Gut gekontert. Aber Inspirationsquellen verrate ich nicht.

 TassoTuwas (01.04.20)
Ein solch amüsantes Frühstücksgespräch ist für mich durchaus nachvollziehbar, allerdings nur unter zwei Vorbedingungen.
1. Der Gesamt-IQ der Eheleute ist größer 250.
2. Möchte ich an dieser Stelle nicht näher ausführen, da Kommentare nicht unter P18 eingestellt werden können!
TT

Kommentar geändert am 01.04.2020 um 09:02 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 01.04.20:
1. werden sie als Kompliment ansehen, gegen 2. werden sie sich unter Umständen sofort verbünden. Sowas passiert ja öfters.
Sin (55)
(01.04.20)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 AchterZwerg meinte dazu am 01.04.20:
'nacht, Schnucki! :)

 Graeculus meinte dazu am 01.04.20:
Nicht das Schlechteste, was man tun kann. An manchen Tagen fragt man sich ohnehin, warum man überhaupt aufgestanden ist.

 LottaManguetti (01.04.20)
Bin ja schon still, aber ...

Ich jedenfalls bin immer für dich da, wenn du mal Probleme brauchst.

Das ist wirklich niedlich!

Gruß von der "lesenden" Lotta

 Graeculus meinte dazu am 01.04.20:
Gut hingehört bzw. hingelesen ... und feine Spitze gefunden.

Gruß an die lesende Lotta

 EkkehartMittelberg (01.04.20)
Hallo Graeculus,
Dumme können sich auf die Nerven gehen, aber nur intelligente Teufelchen können sich das Leben zur Hölle machen.
Höllenspaßige Grüße
Ekki

 Graeculus meinte dazu am 01.04.20:
Das ist wohl wahr. So bei Sartre, so bei Albee.
Auffallend ist, daß es nur so wenig Literatur über eheliche Liebe und so unendlich viel über ehelichen Streit gibt. Nach der Odyssee, was kommt da noch? Eine Handvoll Lieder fällt mir ein, mehr nicht.

 Graeculus meinte dazu am 01.04.20:
Kennst Du mehr?

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 01.04.20:
Auf Anhieb fällt mir nur der beim Heyne Verlag erschienene Roman von Amelie Fried und Peter Probst ein: "Verliebt, verlobt, verrückt?"

 Graeculus meinte dazu am 01.04.20:
Siehst Du, nicht viel. Selbst wenn man realistischerweise davon ausgeht, daß wir das eine oder andere Werk übersehen.

Mir fallen ein:
- drei Liebeslieder von Bob Dylan für seine damalige Ehefrau Sara: 1. Sad-eyed Lady of the Lowlands, 2. Sara und 3. Tangled Up in Blue. Bei No. 3 waren sie, glaube ich, bereits geschieden.
- ein Liebeslied von Gary Rafferty: Mary Skeffington. Da singt er seine Frau mit ihrem Mädchennamen an. Das ist sehr schön!

Vielleicht hängt vor allem der Mangel an Epen & Romanen damit zusammen, daß eine gelingende Ehe wenig dramatischen Stoff hergibt. Aber im Falle der "Odyssee" wird das ja durch die langjährige Trennung kompensiert. Daraus könnte man m.E. eigentlich noch mehr machen, also bei anderen Werken. Generell: eine Ehe gerät in irgendeine Krise, bewährt sich aber nach mancherlei Prüfungen.
Oder?

 AchterZwerg meinte dazu am 01.04.20:
Genau. :)
Amelie Fried kannste getrost vergessen.
Niemalsnicht aber Bob Dylan!

 Graeculus meinte dazu am 01.04.20:
Höre ich da eine ironiefreie Sympathie für Bob Dylan heraus? Freude!
So now I’m goin’ back again,
I got to get to her somehow.
All the people we used to know
They’re an illusion to me now.
Some are mathematicians,
Some are carpenter’s wives.
Don’t know how it all got started,
I don’t know what they do with their lives.
But me, I’m still on the road
Headin’ for another joint.
We always did feel the same,
We just saw it from a different
Point of view,
Tangled up in blue
.
Solch schöne Verse bekommen bestimmt nicht viele Ex-Ehefrauen gesungen.

 Lluviagata (01.04.20)
Warum fällt mir hier Loriot ein? Hmmhmm.

Nächtliche Grüße
Llu ♥

PS: Wär schön, wenn wir mal wieder zusammen Mücken fangen könnten. Die Hoffnung stirbt nie, wa?

 Graeculus meinte dazu am 01.04.20:
Schon beim letzten Text hat mich jemand mit Loriot verglichen. Da muß ich wohl aufpassen, oder? An sich kein ehrenrühriger Vergleich, aber Loriot, meine ich, hat nie so böse geschrieben; bei ihm bleibt es doch immer irgendwie nett.

Und was die Mücken angeht, so weiß ich nicht, was Lotta in dieser Hinsicht zu bieten hat. Derzeit mag man ja ans Reisen kaum denken, und es haben sich - vielleicht deshalb - erst vier Leute angemeldet, was m.E. noch kein kV-Treffen ergibt ... bei einer durchschnittlichen No-show-Quote von 25 %.
Also: erst das Virus, dann die Mücken.
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