James Stewart in einer weitläufigen Ebene

Lyrischer Prosatext

von  Redux


 

„Ich kann nicht mehr und will hier endlich raus!“

Ich bin jetzt 42 und wir haben immer noch diesen

Briefmarken-Balkon und keinen Rasen oder Teich,

wir können uns nicht aus dem Weg gehen, weil wir keinen Platz haben.!

Hörst du, ich will endlich etwas ändern. Wie lange sage ich das schon?

Aber du stehst nur da wie eine Litfaßsäule und starrst mich an!“

 

Sie brüllte und schmiss zwei blaue Porzellantassen auf die Fliesen der Küche.

Dann weinte sie laut-und hemmungslos, während sie auf den kalten Fliesen

im Badezimmer hockte.

Anschließend legte sie sich ins Bett.

 

Ich setzte mich aufs Sofa und stellte den Fernseher an.

Irgendwo ritt James Stewart in eine weitläufige Wüste hinein, irgendwo

zofften sie sich und stritten um Vaterschaften und Fremdgehen, zwei Frauen

und zwei Männer, jeder hatte etwas mit jedem, jeder hatte jeden irgendwann

zu irgendeinem x-beliebigen Anlass betrogen, zum Schluss weinte man und umarmte sich

und alle waren glücklich, die vermeintlich zusammengehörigen Paare kamen zusammen,

nachdem sie unendlich lange brauchten, um Briefumschläge zu öffnen, in denen

Vaterschaftstests-Ergebnisse steckten,

irgendwo fielen Kugeln mit Zahlen drauf durch Röhren, viermal ergab es eine Zahl unter Zehn,

irgendwo schoss jemand den Ball ins Aus und wurde vom Schiedsrichter verwarnt.

 

Ich fegte die Scherben in der Küche auf und schmiss es in den Mülleimer.

Brachte ihn runter und kippte den Inhalt in die große Mülltonne.

 

Dann blickte ich durch die Wohnung.
Leere Flaschen und Tüten, die sie an Ort und Stelle stehen ließ.

Schminksachen. Getränkekisten. Schuhe. Bademantel. Plunder.

Ich ging hinaus auf den Balkon.

Ich brachte zwei leere Bierkisten nach unten und fegte Laub und Pollen und Staub auf.

Ein Schrotthändler gondelte musizierend durch die Siedlung.

Drüben im Westen verabschiedete sich der Abend in zartem Orange.

 

Im betrat das Schlafzimmer und kniete vor dem Bett.

„ Geht`s wieder?“

„Ja.“

„ Ich hab dich lieb.“

„ Ich dich auch.“

Die beiden Kleinen stürmten zur Haustür rein und schmissen polternd die Fußballschuhe in die Ecke.

„ Was gibt`s zu Abend?“

 

Sie nahm meinen Kopf und drückte ihn an sich, während sie ihre Finger leise wie Spinnenbeine durch meinen Nacken wandern ließ.

Die wahren Veränderungen waren nicht sichtbar, aber sie waren da und genau so tödlich oder liebevoll wie Revolutionen.



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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (29.07.24, 06:11)
Ja,
solche winzigen Wohnungen sind absolut tödlich für eine Beziehung.
Da möchte man sofort "rübermachen" oder zumindestens ausziehen.
Das hast du gut beschrieben. :)

 Graeculus meinte dazu am 29.07.24 um 10:45:
Das ist beschrieben und mehr noch, eine Ambivalenz in der Beziehung, dazu ein Kontrast zur Fernsehwelt. Das ist richtig gut!

 Teo (29.07.24, 15:29)
Mensch Herbert, dat hasse nich verdient.
Du bis sonn Toften.

Tassen schmeißen geht gar nich!

Meine erste Frau, die machte das Gleiche. 
Nun liegt sie bequem am Fuß einer Eiche.

Halte durch
Teo

Kommentar geändert am 29.07.2024 um 15:30 Uhr
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