„Und? Haben Sie irgendetwas gespürt?“
„Nein. Die Betäubung hat wunderbar gewirkt – ich war direkt weg. Danke!“
Die groß gewachsene Ärztin, durchdringender Blick, reichte mir einen chromgefassten Kosmetikspiegel, und ich sah mich mit einem ca. 2x3cm großen Pflaster an der rechten Schläfe.
„Wir hatten das ja vorher besprochen – Sie erinnern sich? Den Eingriff machen wir hier mikro-invasiv. Was wir an Bösartigem entfernen müssen, ist in aller Regel auch nicht sehr groß. Es hängt halt von der Wortart ab.“
Ich nickte.
„Bei Ihnen war es ein Substantiv. Dummworte sind meist Substantive. Die haben einen hohen Bedeutungsgehalt. Tja, und das, was uns hier ein bisschen zu raschem Handeln zwingt: Diese Dinger können streuen.“
Ich nickte wieder.
Die Ärztin deutete mit beiden Händen so etwas wie aufsteigende Kreise an.
„Anfangs merken Sie das nicht. Das Dummwort infiziert ein ähnlich klingendes, bildet Komposita, harmlos klingende, die aber sehr bindungsfähig und sinnprägend sind. Und die docken sich an in Wortfeldern, Sprachmustern – und dann wuchert es exponentiell...
Den Ausdruck„wuchern“ unterstrich die Ärztin mit einem besonders stechenden Blick. Ich machte mich unwillkürlich klein.
„Da Dummworte auf das Handeln übergreifen und den Patienten für uns schwer kontrollierbar machen, wäre in diesem fortgeschrittenen Stadium der Eingriff viel komplexer. Das können wir natürlich auch.“
Ich schrak leicht zusammen, setzte zu einer Frage an, da -,
„Keine Angst! Bei Ihnen konnte unser Dummwort-Marker früh genug den initialen Herd lokalisieren. Die Missbildung war noch in absolutem Frühstadium. Ich kann Sie also beruhigen: Keine geheimdienstlich relevanten Metastasen.“
Uff, dachte ich bei mir, und es übermannte mich ein dankbares Lächeln. Auch die Ärztin lächelte kurz und selbstzufrieden.
„Gut, dass unsere Früherkennung sofort Alarm geschlagen hatte. Bei Leuten, die viele soziale Kontakte haben – oder wie Sie, die sich politisch interessieren, oder gar selbstverfasste Texte ins Netz stellen – da sind wir natürlich besonders hellhörig.
„Hmm,“ grummelte ich etwas unsicher. Hatte man bei mir doch etwas Wichtiges beschädigt? Waren es Reste der Betäubung? Irgendetwas wollte ich doch noch gefragt haben. Die Ärztin packte derweil ihren Kosmetikspiegel wieder ein und schickte sich an zu gehen, da fiel es mir ein, was ich doch noch wissen wollte:
„Welches Wort haben Sie mir denn eigentlich rausoperiert?“
Die Angesprochene war schon an der Tür, wandte sich nur noch einmal kurz zu mir, und ich sah, dass sie tatsächlich etwas formulierte. Aber sie hatte der Tür etwas viel Schwung gegeben, und das Schließgeräusch übertönte ihre kurze Antwort.
Ich schaute etwas ratlos hinterher. „Egal,“ sagte ich dann zu mir. “Wenn sie dich nachher als geheilt entlassen, kann es ja nicht ganz so schlimm gewesen sein.“
PS: Als ich zwei Tage später noch einmal im Krankenhaus vorstellig wurde, weil ich meinen OP-Befund ja doch mal genauer wissen wollte, sagte man mir an der Pforte, dass Nachfragen dieser Art nur zu einer neuen, vorbeugenden Dummwort-Therapie führen würden. Ob ich das wirklich wollte – wo ich doch gerade wieder so friedfertig leben konnte....
Ich wollte nicht.