Die Renitenten müssen zuerst weg

Text zum Thema Abrechnung

von  GastIltis

Weihnachten ist das Fest der Freude. Manchmal bekommt man Geschenke, die Freude bereiten (sollen). Bücher zum Beispiel. So hat mir meine Enkelin ein Buch mit dem Titel „Ungleich vereint“ geschenkt. Der Autor heißt Steffen Mau und kommt aus Lütten Klein, also aus dem Osten, ist Professor für Makrosoziologie, was das auch immer bedeuten mag, und hat gleich noch einen Untertitel gewählt, der mich hätte warnen müssen: „Warum der Osten anders bleibt“.


Nach einigen Seiten, die ich gelesen hatte, wusste ich auch, warum der Autor das so sah. Er schrieb sinngemäß: „Wer sich auf die Suche nach Schuldbegriffen begibt, befindet sich auf dem Holzweg.“ Aha, dachte ich, ein Anti-Oschmann!

Während sich Oschmann in seinem Buch „Der Osten: eine westdeutsche Erfindung“ die Mühe gemacht hatte, den (oder die Leser) zu fesseln, ihr Interesse zu wecken, mit Fakten, Zahlen, Beispielen, Namen zu den Ursachen hinzuführen, um ihn dann mitzunehmen, um ihn die Folgen fast körperlich spüren zu lassen, ergeht sich Mau in wissenschaftlichen Begriffsdarlegungen, die kaum ein Leser versteht, ich nenne bloß mal solche wie „konflierende Gruppen“ und „Selbstwirksamkeitserfahrungen“ oder „Ungleichgewichtsabwägungen“. Als ich mich bis Seite 112 (von etwa 160) durchgearbeitet hatte, fiel mir dieser Satz ins Auge:

„Ostdeutschland mangelt es bis heute an einem robusten sozialmoralischen und sozialstrukturellen Unterbau, der Toleranz, ein empathisches Demokratieverständnis und ein Bekenntnis der liberalen Ordnung tragen könnte.“

Abgesehen davon, dass der Satz wohl allen Lektoren oder Korrekturlesern (m,w,d) durchgerutscht sein muss, zeugt er doch von der Untragbarkeit des Autors in Fragen Demokratieverständnis. Ich habe mich an der Stelle gefragt, was jemand zu bewegen vermag, solch einen Satz zu denken bzw. aufzuschreiben.

Der Satz lässt tief blicken!


An der Stelle habe ich mich, renitent wie ich bin, entschlossen, das Buch an den Verlag zurück zu senden, was ich inzwischen auch getan habe. (Selbstverständlich ohne finanzielle Ansprüche).

Renitent wieso?

Das Buch hat der Suhrkamp Verlag herausgegeben. Dort habe ich mich telefonisch nach einer Adresse zur Rückgabe erkundigt:

Und da erscheint doch neben der Verlagsadresse als Besonderheit die Renitentenabteilung!

Ich gebe zu, dass ich erst einmal nachsehen musste (renitent = eigensinnig, störrisch, bockig).


Da fühle ich mich sehr geehrt.


Übrigens hatte ich dem Mitarbeiter des Verlages, der mir die Adresse herausgab, noch zu verstehen gegeben, dass mir der Satz des Journalisten Cornelius Pollmer: „Hier schreibt der richtige Autor in der richtigen Form zur richtigen Zeit über das richtige Thema“, der auf der Rückseite des Buches steht, als Gemeinplatz nicht zu überbieten ist, und da der Verfasser des Satzes an der TU Dresden studiert hat, aber sicher nicht Journalismus, ich mich schäme, dort auch studiert zu haben, habe ich darüber hinaus Mark Twains Satz über Journalisten zitiert, der wohl hier zutreffend ist: Journalisten sind Leute, die ein Leben lang darüber nachdenken, welchen Beruf sie eigentlich verfehlt haben.

Doch zurück zum Buch:


Die schlimmste Form der Demütigung und Degradierung der ehemaligen DDR-Bürger folgt erst am Ende des „Werkes“ unter Labor der Partizipation: des Autors Vorschlag zur Bildung von Bürgerräten auf dem Weg der Auslosung mit der Begründung, dass so das Demokratieverständnis der Bürger langsam aus dem Schatten der Parteien„müdigkeit“ heraus gelöst werden kann, ein Transformationsprozess, der dauern wird, aber hoffnungsvoll sei und Zuversicht verspreche (Kürzung am Ende von mir).

Ach so, beinahe hätte ich ganz vergessen zu erwähnen, dass das Ganze auch einem durchaus guten Zweck dienen soll, nämlich dem weiteren Vormarsch der AfD Einhalt zu gebieten.

Ein Schelm, dem im Zusammenhang mit dem Namen des Autors nicht der Gedanke an Mauschelei durch das schwindende Demokratieverständnis schleicht.



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Kommentare zu diesem Text


 Regina (14.01.25, 13:32)
Waren nicht etwa diese hier gemeint?:

Als Remittenden (lateinisch remittere, „zurückschicken“) bezeichnet man die im Einzelhandel nicht verkauften Bücher, Zeitschriften oder Zeitungen, die im Rahmen der Remission an die Verlage oder Hersteller zurückgesandt werden dürfen.



 EkkehartMittelberg meinte dazu am 14.01.25 um 16:05:
Hallo Gil,
das Spiel mit Remittenden und Renitenten ist genial.

Liebe Grüße
Ekki

 GastIltis antwortete darauf am 14.01.25 um 17:48:
Zu Regina: was gemeint war, kann ich nicht beurteilen. Denn das Buch wurde im Einzelhandel gekauft, und ich habe ausdrücklich darauf bestanden, dass ich keine finanziellen Ansprüche geltend mache, da ich das Buch ja gelesen hatte. 
Außerdem ging es mir um den Inhalt des "Ungleich vereint".
Aber das ist im Kommentar ja nicht das Thema.

Zu dir Ekki: Da ich kein Lateiner bin, ist mir das "Spiel" nicht bewusst gewesen. Wenn ich mich auf die Ablehnung des Inhalts der Thesen von Steffen Mau beziehe, bin ich schon renitent. Übrigens habe ich auch in meinem Text vergessen zu erwähnen, dass der Professor in seinem Buch nicht einmal den Begriff Kapitalismus, des öfteren aber die üblichen Ausdrücke wie Diktatur usw. verwendet hat, was bei dem Satz von den Schuldfragen doch verwunderlich ist. 
Herzlich Gil.

 TassoTuwas (14.01.25, 19:09)
Hallo Gastl,
da ich während meiner Schulzeit mein Taschengeld zweimal die Woche in einem Pressevertrieb aufbessern konnte und dort in der "Remittenden" Abteilung die Rückläufer bearbeitete, musste ich bei Renitenten schmunzeln. 
Aber das hat sich ja inzwischen aufgeklärt!
Dass du das Buch bis Seite 112 ertragen hast, zeugt von großer Leidensbereitschaft. Früher war es für mich auch eine Frage der Ehre, ein angefangenes Buch bis zum letzten Satz zu lesen.
Irgendwann habe ich beschlossen, meine Zeit nicht mehr mit Geschwurbel zu vergeuden.
Herzliche Grüße
TT

 GastIltis schrieb daraufhin am 14.01.25 um 19:57:
Hallo Tasso,
danke für deine Zeilen. Du bist ja bestens im Bilde.
Von Taschengeld war bei mir nie die Rede, auch nicht von eventueller Aufbesserung. Ich war stets sparsam und musste vom Stipendium leben. Das waren 190,00 Mark (Ost). Vorher vom Lehrlingsgeld, etwa 70,00 Mark. Und von ein wenig Halbwaisen-Rente, die den geringen Lohn, den meine Mutter im Drei-Schicht-System erarbeitet hatte, aufbesserte. Das war alles noch vor Mitte 1960.
Aber es stimmt, das Lesen war meine Leidenschaft! Und es gibt echt Bücher, die Mühe machen. So z.B. „Der Turm“ von Uwe Tellkamp. Da habe ich 70 Seiten benötigt, um endlich im Buch drin zu sein. Ich hätte sicher vorher aufgegeben, wenn ich nicht in der Zeit, die beschrieben worden ist, länger in Dresden gewesen wäre. Eigentlich noch bin, wenn auch nur noch jeweils an drei Tagen im Jahr. Aber die sind auffrischend, so wie ein gutes Buch.
Doch zurück zum Text: das Buch von Mau hat mich beleidigt, d.h. eher deklassiert. Und ich kann mich nicht mehr wehren. Das ist das Schlimme. Die Leute im Verlag werden sich vielleicht noch über mich lustig machen. OK. Sollen sie ihren Spaß haben.
Herzlich grüßt dich Gil.

 plotzn (15.01.25, 08:40)
Servus Gil,

ich merke schon, das Buch hat Dich tief getroffen. Alleine das fett gedruckte Zitat sagt schon viel über den Inhalt.

Eine witzige Idee, es zum Verlag zurückzuschicken. Bewirken wird es vermutlich nichts, aber es ist eine Art Genugtuung...

Liebe Grüße
Stefan
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