Ein Tag im Leben von Herrn Schmidt

Text

von  Isensee

Schmidt steht nicht auf – er fällt aus dem Schlaf wie ein missglücktes Soufflé. Sein Gesicht: eine Mischung aus Nietzsche und Tiefkühlpizza. Er blinzelt, sieht das Tageslicht und murmelt: „Schon wieder.“ Dann schiebt er sich aus dem Bett wie eine halberfrorene Wurst aus dem Naturdarm des Existenzialismus.

Er trägt einen Bademantel, der aussieht, als hätte Kafka damit Bäume erschreckt. Das Ding war mal weiß, jetzt ist es eine Farbstudie über Depression in Aquarell. In der Tasche steckt ein angeknabberter Bleistift, ein alter Zettel mit dem Wort „Warum?“ und eine tote Motte.

Kaffee. Instant. Drei Löffel, kein Wasser. Er kaut ihn. Wie ein Berserker, der Geschmack durch Leid ersetzt. Der Löffel verbiegt sich in seiner Faust wie die Realität unter seiner Weltsicht. Frühstück? Vielleicht ein Zigarettenfilter und ein alter Lektoratsvertrag, den er nie unterschrieben hat.

Schmidt hat keinen Beruf, sondern ein Lebenswerk aus Abscheu. Er schreibt. Nicht für Menschen. Für sich selbst, für tote Philosophen und für eine höhere Macht, die er regelmäßig verklagt. Seine Texte bestehen aus Halbsätzen, Zynismus und wütenden Fußnoten. Leser:innen sagen, seine Prosa fühle sich an wie ein Faustschlag mit einem Wörterbuch. In Fraktur.

Wenn er am Fenster steht, sieht er nicht hinaus – er scannt die Realität auf Unstimmigkeiten. Kinder, die lachen? Abartig. Jogger? Faschisten. Vögel? „Arrogante Lüftchen mit Federn.“ Er hat mal versucht, einem Spatz ein Gedicht vorzulesen. Der Spatz hat ihn verklagt.

Gegen Mittag geht er raus. Nicht, um frische Luft zu schnappen – sondern um den Tag zu sabotieren. Seine Schritte sind eine Mischung aus Trotz und Orthopädie, sein Blick: eine Diagnose. Wenn man ihn sieht, denkt man: Dieser Mann hat entweder Dostojewski verschluckt oder seinen Therapeuten gefressen.
Er tritt in keinen Hundehaufen. Der Hundehaufen tritt in ihn.

Im Park setzt er sich auf eine Bank, die er verachtet, weil sie stabil ist. Er kritzelt ein Gedicht auf die Rückseite eines abgelaufenen Strafzettels. Titel: „Rosen sind rot, alles ist Dreck“. Eine Vorleseoma in der Nähe stirbt fast vor Verstörung. Schmidt notiert: Wirkung: zufriedenstellend.

Abends kocht er sich ein Gericht, das aussieht wie Schuldgefühle in Sojasoße. Er isst mit Gabel und Vorwurf. Danach schreibt er noch einmal. Es ist kein Text. Es ist ein literarisches Attentat. Der Computer raucht. Word schließt sich freiwillig.

Vor dem Einschlafen starrt er die Zimmerdecke an, als ob sie die Schuld trüge. Und vielleicht tut sie das. Vielleicht war sie mal weiß. Jetzt ist sie schmidtgrau™ – ein Farbton zwischen kaputter Hoffnung und Wut auf Tupperware.

Dann schläft er ein. Nicht friedlich, sondern aus Trotz. Weil selbst das Wachsein ihm zu seicht ist. Und irgendwo in ihm drin murmelt etwas: „Morgen wieder.“

Und das war ein guter Tag.





Anmerkung von Isensee:

Disclaimer:
Alle im Text genannten Personen, Orte oder Ereignisse sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, lebendig oder verstorben, sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Jegliche Übereinstimmung mit tatsächlichen Personen oder Begebenheiten ist weder geplant noch beabsichtigt.

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Kommentare zu diesem Text


 lugarex (26.05.25, 09:36)
Dieser Mann hat entweder Dostojewski verschluckt oder seinen Therapeuten gefressen.
...Dostjewski noch nicht, gelesen nur etwas, aber den andren HERR!

 Isensee meinte dazu am 26.05.25 um 13:00:

 AchterZwerg (26.05.25, 11:33)
Was mir der Herr Lehmann ist, ist dir der Schmidt. Jener lacht ebenfalls gnadenlos gegen alle(s) an.

Ich weiß, du wirst es nicht gern hören, Easy: Du bist mein Freudenborn im Morgengrauen!


Wir atmen ein, wir atmen aus. :D

 Isensee antwortete darauf am 26.05.25 um 12:31:
Was soll ich sagen – mit "Freudenborn im Morgengrauen" hast du mich eiskalt erwischt. Das klingt wie ein verlorenes Liebeslied von Tocotronic oder ein besonders schöner Titel aus dem imaginären Poesiealbum von Herrn Schmidt höchstselbst. Und ja: Der Schmidt ist mein Herr Lehmann, das hast du treffsicher erkannt. Beide sind auf ihre Weise trinkfest, sprachgewandt und angenehm desillusioniert.
Ich freu mich wirklich riesig über deine Worte – ehrlich und ohne ironische Schutzschicht. Danke, dass du so einen warmen Gedanken da gelassen hast. Du bist meine Thermoskanne voll Hoffnung im öffentlichen Nahverkehr.
Wir atmen ein, wir atmen aus. Und manchmal grinsen wir dabei sogar. 😄
Dein
Easy

 Saira (26.05.25, 13:38)
Hallo Isensee,

dein Text ist herrlich sarkastisch und voller origineller Bilder – besonders die Vergleiche sind großartig! Hinter all dem Witz spürt man aber auch Schmidts Einsamkeit und Unzufriedenheit. Wer kennt solche Tage nicht?


LG
Saira

 Isensee schrieb daraufhin am 26.05.25 um 14:52:
Moin,
Manchmal sehen sogar meine Wochen so aus.

Danke für deine Worte und das lesen.

Liebe Grüße
Isensee
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