Null Erinnerung mit ihm wie er behauptet schon mal im Bett gewesen zu sein. Was ja in letzter Zeit beunruhigender Weise immer öfters geschieht. Aber das wirklich beunruhigende in diesem Fall: Er ist noch jung, Anfang 30, und sieht eigentlich auch noch ganz gut aus.
Gleichermaßen beunruhigend: Keinerlei Erinnerungen an das Grieg-Quartett zu haben! Das heißt, ich weiß zwar, dass ich es nach Jahren wiederhöre, aber ich erkenne es genauso wenig wieder wie den Schwanz und Arsch, ja das Gesicht, meines Sexdates!!!
Nein, es ist alles eigentlich alles noch viel beunruhigender, ich weiß, dass ich das Quartett damals nicht 1X sondern immer wieder gehört hatte, bis es mir eingeleuchtet, ich quasi wie beim Sex diesen Erkennungseffekt hatte, es quasi unauslöschlich in meinem Kopf drin war. Und jetzt stelle ich fest: Es ist weg.
Bin ich eigentlich schon tot?
Aber: Beides geschieht nicht zum ersten Mal. Zwar ist es sicherlich so, dass wenn ich mit dem Typen mit 20 Sex gehabt hätte oder das Quartett mit 20 gehört hätte, der Wiedererkennungseffekt sofort da gewesen wären. Es gibt aber einen Unterschied: Bei der Musik - und ich bin sicher bei dem Quartett wird es genauso sein - wird die Erinnerung nach ein paar Mal hören zurückkommen, das Werk in all seiner Glorie, anders als dieser Arsch, dieser Schwanz oder dieses schöne Gesicht wiederauferstehen.
Was mich zu der wirklich beunruhigenden Feststellung führt, dass Musik tiefer als Sex sein könnte.
Das extrem irritierende an dieser Feststellung verschwindet dabei auch dann nicht, wenn man sich klar macht, dass wirklich geniale Musik Sex ja insoweit ähnlich ist, als der Genialitätsmoment darin besteht, dass es dem Künstler wie durch ein Mysterium gelungen ist, den Glanz, die Sexiness seines Körpers und natürlich also vor allem den Ausdruck seines Gesichts, also den ganz spezifischen Glanz und die ganz spezifische Sexiness seiner Individualität in dem Werk geheimnisvollerweise zu konservieren - diesen individuellen Glanz zu einer Wiederauferstehung (griechisch: Anastasis) zu bringen. Im Vergleich hierzu (man denke nur an Techno) hört man in der populären Musk zwar auch Sex heraus, aber letztlich doch nur ein ganz mechanisches Ficken, das man zwar auch nie vergisst, wenn es einem einmal eingeleuchtet hat, aber letztlich Sex im Darkroom gleicht. Es ist nicht das Wunder der Individualität, das sie transponiert, wobei auch die populäre Musik ihren Glanz und ihre Sexiness hat, sicherlich, aber es ist ein dumpfer Glanz und eine dumpfe Sexiness. Es ist wie die Vereinigung mit kopulierenden Ameisen und nicht wie die Verschmelzung mit diesem schönen, außerirdischen Gesicht wie in der klassischen Musik, der wissenden Musik, die vom Baum der Erkenntnis gegessen hat, die also Sex unter menschlichen Individuen gleicht. Sex unter menschlichen Individuen im Zeitpunkt des Höhepunkts ihres Glanzes wohlgemerkt.
Sollte hieraus aber nicht, oh Wunder über Wunder!, folgen, dass Freud und die gesamte Moderne Unrecht haben: Musik, jedes geniale Kunstwerk, ist nicht sublimierte Sexualität, sondern es ist sogar sexier als Sex, Sex tout pur, eine Art Über-Sexualität, wenn man das so sagen darf. Der Beweis, dass Individualität verewigt, man sich eine Seele machen kann, die ägyptisch-katholische Religion Recht hatte. Und alles andere: Protestantismus, Kapitalismus, Systemtheorie - nur doofes Rumgeficke unter Ameisen ist.