Kuchen zum Nationalfeiertag

Erzählung zum Thema Gegenwart

von  eiskimo

Ein Dorf ohne Bäcker, das ist ein sterbendes Dorf, sagt man in Frankreich. Bonnard, idyllisch in Burgund gelegen, hatte zwei Jahre lang keinen Bäcker. Yvon Chabert und seine Frau Olga hatten sich nach fast 25 Jahren Ehe plötzlich getrennt. Ein Defekt in der Elektrik, der die Backstube abflämmte, soll Olgas Adieu-Gruß gewesen sein.

Klar, dass in Bonnard keiner mehr an einen Neustart der Boulangerie glaubte. Wer lässt sich im hintersten Burgund bei einer Kundschaft von knapp 500 Seelen als Bäckerpaar nieder? Als Paar wohlgemerkt, weil einer das alleine nicht schafft, nachts zu backen und den lieben Tag über für die vereinzelt eintreffenden Kunden da zu sein, sechs Tage die Woche, immer lächelnd, immer für ein bisschen Dorftratsch zu haben.

Also hatten sich die Leute in Bonnard umorientiert, natürlich alle mit Bedauern. Die einen, die noch mobil waren, fuhren die fünfzehn Kilometer zum nächsten Dorf, wo sie tatsächlich noch einen Bäcker antrafen – viel schlechter als vormals Chabert! -, die anderen fuhren noch ein paar Kilometer weiter zur Stadt wo sie tatsächlich bei Lidl fündig wurden – sehr preiswert, aber nur „de la baguette industrielle“.

Ein freudloses Leben also, schon länger als zwei Jahre. Bertrand Jolivet hatte dann bei seiner Kandidatur für das Bürgermeisteramt die ganz große Karte ausgespielt und den Wählern versprochen, dass sie mit ihm sehr bald wieder einen eigenen Bäcker in Bonnard bekämen. Das war natürlich eine Ansage, aber hallo! Ein bisschen à la Donald Trump, frei übersetzt „make Bonnard happy again...“

Anders als bei dem Volltöner aus den USA aber kam es in unserem Dorf tatsächlich zu dem versprochenen Deal. Jolivet konnte schon nach einem Jahr als Bürgermeister die Wiedereröffnung der Bäckerei ankündigen. Und das ließ er sich nicht nehmen... just für den Nationalfeiertag 14. Juli.

Vorher musste der Gemeindekämmerer tief in die Tasche greifen, denn da wurde nicht nur mit großem Aufwand die Backstube modernisiert, sondern dem neuen Bäckerpaar eine hübsche Wohnung hergerichtet.

Nun, was bleibt nach einer guten Woche frischer Bonnard-Baguettes Großartiges zu berichten? „Bien sûr, le pain est super!“ Alle loben das knusprige Weißbrot und auch die perfekte Brioche. Aber das erklärt nicht, warum ein so großer Andrang herrscht an der Boulangerie. Vor allem Männer strömen herbei. Handwerker, Bauern, Pensionäre auch aus weit weg liegenden Weilern.

Voilà, die Erklärung ist einfach: Die neue Olga hinter der Theke ist ausgesprochen hübsch. Und sie hört auf den schönen Namen Antoinette. Ein mutiger Namen in Frankreich, gab es doch einmal eine sehr hochnäsige Königin namens Marie-Antoinette, die den hungernden Frauen in Versailles geraten hatte: Ihr Armen, wenn ihr kein Brot habt, dann esst doch Kuchen...“

Unsere Antoinette hier in Bonnard ficht das aber nicht an. Wie gesagt: Sie ist ausnehmend hübsch. Und alle sind begeistert von ihrem Charme.

Ein älterer Herr kommentierte nicht ohne eine gewisse Genugtuung: „Seht ihr, das konnte uns dieser Lidl nicht bieten.“





Anmerkung von eiskimo:

Schöne Geschichte . Zu schön?

Ein Merkmal, das bei manchen Zeitgenossen die Wertschätzung für jene Antoinette reflexhaft hätte trüben können, habe ich verschwiegen. Ich habe es ganz bewusst nicht  aufgeführt, zumal es ein absolut sekundäres Merkmal ist, für die nette Atmosphäre in der Bäckerei völlig unerheblich. Und ein Gerede darüber - egal ob wohlwollend oder feindselig - hätte auch nicht nach Bonnard gepasst, in dieses kleine, so weltoffene Bonnard.

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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (25.07.25, 15:20)
Den Unterschied zwischen Bäcker und Konditor kennt man in Frankreich nicht?
Zwar erwähnst Du im Text lediglich Brot, im Titel jedoch Kuchen.

 eiskimo meinte dazu am 25.07.25 um 15:38:
Der Konditor wäre der Patissier. Der Neue hier macht bisher nur zusätzlich Viennoiserie, also einfache süße Backwaren wie Pains au chocolat, Brioches oder Croissants

 niemand antwortete darauf am 25.07.25 um 15:56:
Der Lidl hat eigentlich auch viele hübsche Angestellte/rinnen    :D
deswegen kommen die Leute, besonders die männlichen aber nicht dorthin um zu kaufen. Es ist der Preis, den ich aber für fragwürdig halten. Denn bei solchen Preisen stimmt was nicht, außer die Ausbeutung. Dafür hat der Lidl aber eine per Lautsprecher, sagen wir mal "Schabracke", welche einem stimm- und sprachempfindlichen Menschen dein Einkauf vergällt. Diese Stimme schneides das Trommelfell in Stücke, dennoch gibt es Menschen, denen ihr
"Lidl lohnt sich" immer noch nicht den Zugang zum Laden versperrt.
LG niemand

 eiskimo schrieb daraufhin am 25.07.25 um 16:40:
Lidl ist auch menschlich ein Discounter. Charme und Zuwendung ??? .. Wo man inzwischen auch noch selber einscannt!
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