Stories #3: Die Geschichte eines Gewissens
Essay zum Thema Literatur
von Graeculus
Kommentare zu diesem Text
Zwei Feinde erweisen einander die Ehre, aus Gewissensgründen.bis in den Tod Gentlemen zu sein. Ob in den "schmutzigen" Kriegen heute so viel Respekt vor der Persönlichkeit des Feindes noch denkbar ist, sie dahingestellt. Es tut der Qualität dieser Story keinen Abbruch
Vielleicht solltest du englischsprachige kurze Erzählungen nur als Story bezeichnen, denn der deutsche Begriff Kurzgeschichte hat einen offenen Schluss, den die Story von Bierce wohl nicht hat.
LG
Ekki
Vielleicht solltest du englischsprachige kurze Erzählungen nur als Story bezeichnen, denn der deutsche Begriff Kurzgeschichte hat einen offenen Schluss, den die Story von Bierce wohl nicht hat.
LG
Ekki
Ein solcher Anstand ist in Kriegen gewiß nicht die Regel, war es auch im Sezessionskrieg, über den Bierce schreibt, nicht. Der damalige Marsch durch Georgia unter General William T. Sherman gilt sogar als der Beginn des modernen Vernichtungskrieges.
Also, "Kurzgeschichte" paßt nicht? Im englischsprachigen Raum gibt es ja nicht nur die Story, sondern auch die Short Story. Sogar "Short Short Story" habe ich schon gelesen. Ich bin da im Sprachgebrauch unsicher, zumal ich Literaturwissenschaft nicht studiert habe, sondern nur ein freudiger Leser bin.
Also, "Kurzgeschichte" paßt nicht? Im englischsprachigen Raum gibt es ja nicht nur die Story, sondern auch die Short Story. Sogar "Short Short Story" habe ich schon gelesen. Ich bin da im Sprachgebrauch unsicher, zumal ich Literaturwissenschaft nicht studiert habe, sondern nur ein freudiger Leser bin.
Ich gebe mal von den beiden Begriffen Shortstory und Kurzgeschichte eine Definition, heute nur zur Shortstory, weil es sonst zu lang wird.
"Shortstory (engl. = kurze Geschichte) ist ein anglo-amerikanische Kurzform der Epik, die formal nicht streng festgelegt ist. Sie entstand in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den USA aus den Bedürfnissen des sich ausbreitenden Zeitungs- und Zeitschriftenwesens. Die Autoren haben den eiligen Leser des Industriezeitalters vor Augen. Der Umfang der Shortstory wurde von den Journalisten Fechter auf eine Formel gebracht : "Geschichte - einen Haarschnitt lang". Folglich musste sich der Autor auf eine entscheidende Situation, ein Ereignis, einen Augenblick konzentrieren und packend schreiben. Dem entsprechen ein geradliniger Handlungsverlauf, oft Beschränkung auf eine Hauptfigur, ein der Realität des Lebens entnommener Inhalt, eine flüssige, auf Effekte abzielende Sprache. Die geschlossene Komposition der Novelle musste aufgegeben, auf eine Entfaltung in Zeit und Raum verzichtet werden. Insbesondere Edgar. A. Poe und später O'Henry, London, Hemingway, Steinbeck und Faulkner entwickelten die Shortstory zur Kunstform, bei der die Situation oder das Ereignis zur "Essenz des Lebens" (Gero von Wilpert) werden musste." Herbert Fuchs und Ekkehart Mittelberg: Klassische und moderne Kurzgeschichten. Varianten - kreativer Umgang- Interpretationsmethoden. Berlin: Cornelsen, 7. Auflage 2016, S.122)
"Shortstory (engl. = kurze Geschichte) ist ein anglo-amerikanische Kurzform der Epik, die formal nicht streng festgelegt ist. Sie entstand in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den USA aus den Bedürfnissen des sich ausbreitenden Zeitungs- und Zeitschriftenwesens. Die Autoren haben den eiligen Leser des Industriezeitalters vor Augen. Der Umfang der Shortstory wurde von den Journalisten Fechter auf eine Formel gebracht : "Geschichte - einen Haarschnitt lang". Folglich musste sich der Autor auf eine entscheidende Situation, ein Ereignis, einen Augenblick konzentrieren und packend schreiben. Dem entsprechen ein geradliniger Handlungsverlauf, oft Beschränkung auf eine Hauptfigur, ein der Realität des Lebens entnommener Inhalt, eine flüssige, auf Effekte abzielende Sprache. Die geschlossene Komposition der Novelle musste aufgegeben, auf eine Entfaltung in Zeit und Raum verzichtet werden. Insbesondere Edgar. A. Poe und später O'Henry, London, Hemingway, Steinbeck und Faulkner entwickelten die Shortstory zur Kunstform, bei der die Situation oder das Ereignis zur "Essenz des Lebens" (Gero von Wilpert) werden musste." Herbert Fuchs und Ekkehart Mittelberg: Klassische und moderne Kurzgeschichten. Varianten - kreativer Umgang- Interpretationsmethoden. Berlin: Cornelsen, 7. Auflage 2016, S.122)
Antwort geändert am 08.12.2019 um 17:40 Uhr
Da bist Du ja ein Fachmann!
Wenn ich Dich recht verstanden habe, dann ist der Titel meiner Reihe ("Stories") unbedenklich, ich müßte nur innerhalb der Reihe mit den Begriffen sorgfältiger umgehen, richtig?
Du nennst als ein Kriterium der Kurzgeschichte den offenen Schluß. Als einen solchen kann man einen Doppeltod wohl nicht bezeichnen, das leuchtet mir ein. Ich manchen anderen Fällen bin ich mir da nicht so sicher.
Wenn ich es trotz meiner Bemühung einmal falsch mache, dann korrigiere mich, bitte.
Wenn ich Dich recht verstanden habe, dann ist der Titel meiner Reihe ("Stories") unbedenklich, ich müßte nur innerhalb der Reihe mit den Begriffen sorgfältiger umgehen, richtig?
Du nennst als ein Kriterium der Kurzgeschichte den offenen Schluß. Als einen solchen kann man einen Doppeltod wohl nicht bezeichnen, das leuchtet mir ein. Ich manchen anderen Fällen bin ich mir da nicht so sicher.
Wenn ich es trotz meiner Bemühung einmal falsch mache, dann korrigiere mich, bitte.
ja, der Titel deiner Reihe "Stories" ist unbedenklich. Wenn mir etwas Gravierendes auffallen sollte, werde ich mich melden.
Gut, herzlichen Dank. Der nächste Teil wird bald folgen.
Er war mit bislang vor allem durch des Teufels Wörterbuch als ausgesprochen lesenswert aufgefallen. Dein Text macht macht neugierig, die Story werde ich lesen. Danke für den Tipp!
LG p.
LG p.
Kommentar geändert am 08.12.2019 um 12:18 Uhr
Das "Wörterbuch des Teufels" ist tatsächlich sehr lesenswert; ich glaube, damit hat Bierce sogar ein neues Genre erfunden: das Lexikon als Literaturform.
Es freut mich sehr, wenn ich Dich zum Lesen angeregt habe.
Es freut mich sehr, wenn ich Dich zum Lesen angeregt habe.
Cora (29)
(08.12.19)
(08.12.19)
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Über sein Verschwinden herrscht noch heute Unklarheit, auch wenn er an seine Nichte eine Art Abschiedsbrief geschrieben hat.
Aber dort legt er möglicherweise eine falsch Spur: er wolle in das Bürgerkriegsland Mexico gehen, in der Hoffnung, dort als Gringo erschossen zu werden. Allerdings gibt es überhaupt keine Belege dafür, daß er dann auch wirklich nach Mexico gereist ist.
Ein Biograph vermutet, er habe sich in einem Seitental des Grand Canyon erschossen.
Mit Sicherheit kann man sagen, daß er sein Leben für abgeschlossen hielt und - irgendwie - verschwinden wollte.
Das Brückenmotiv spielt in der von Dir erwähnten Geschichte in der Tat eine zentrale Rolle, während es hier nur am Rande vorkommt: als Grund für die Einrichtung eines militärischen Sperrgebietes.
Eine weitere Rolle von Brücken in seinem Werk fällt mir nicht ein. Wir dürfen annehmen, daß sie in jedem Krieg eine wichtige logistische Bedeutung haben. Brücken des Feindes müssen zerstört, die eigenen um beinahe jeden Preis geschützt werden.
Aber dort legt er möglicherweise eine falsch Spur: er wolle in das Bürgerkriegsland Mexico gehen, in der Hoffnung, dort als Gringo erschossen zu werden. Allerdings gibt es überhaupt keine Belege dafür, daß er dann auch wirklich nach Mexico gereist ist.
Ein Biograph vermutet, er habe sich in einem Seitental des Grand Canyon erschossen.
Mit Sicherheit kann man sagen, daß er sein Leben für abgeschlossen hielt und - irgendwie - verschwinden wollte.
Das Brückenmotiv spielt in der von Dir erwähnten Geschichte in der Tat eine zentrale Rolle, während es hier nur am Rande vorkommt: als Grund für die Einrichtung eines militärischen Sperrgebietes.
Eine weitere Rolle von Brücken in seinem Werk fällt mir nicht ein. Wir dürfen annehmen, daß sie in jedem Krieg eine wichtige logistische Bedeutung haben. Brücken des Feindes müssen zerstört, die eigenen um beinahe jeden Preis geschützt werden.
Eine Geschichte, die eine große Anzahl der modernen Zeitgenossen verwirrt zurück lässt! Begriffe wie Pflicht, Gehorsam, Ehre, gehören längst nicht mehr zum Standardverständnis, lassen sich allerdings, wenn wer will, googeln. (Satire beendet)
Wieder ein interessanter Beitrag
TT
Wieder ein interessanter Beitrag
TT
Eine Geschichte, die eine große Anzahl der modernen Zeitgenossen verwirrt zurück lässt! Begriffe wie Pflicht, Gehorsam, Ehre, gehören längst nicht mehr zum Standardverständnis, lassen sich allerdings, wenn wer will, googeln. (Satire beendet)
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TT
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TT
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Antwort geändert am 08.12.2019 um 14:14 Uhr
Mögen sie googlen!, um Deine satirische Bemerkung aufzugreifen.
Ich freue mich, daß die Geschichte Dein Interesse gefunden hat.
Ich freue mich, daß die Geschichte Dein Interesse gefunden hat.
So etwas ist ein Beispiel dafür, dass die meisten Menschen den Krieg wie einen Zug erleben, bzw. sich so verhalten, als wäre er ein Zug: Am Bahnhof entscheidet man sich für einen und steigt an. Dann fährt der Zug an und beschleunigt, bis sich niemand mehr traut abzuspringen und darum einfach sitzen bleibt, ganz gleich wohin der Zug fährt.
In diesem Sinne, fürchte ich, ist das ganze Leben eine solche Zugfahrt. Man weiß, wenn man eine Anfangsentscheidung trifft, nicht wohin sie letztlich führt.
Speziell bei Bierce habe ich den Eindruck, daß der Krieg eine Chiffre für das Leben ist. Situationen, in denen man sich nicht richtig entscheiden kann, kommen auch sonst vor. Oder?
(Was die klassische Literatur angeht, so denke ich an Orest und Elektra.)
Speziell bei Bierce habe ich den Eindruck, daß der Krieg eine Chiffre für das Leben ist. Situationen, in denen man sich nicht richtig entscheiden kann, kommen auch sonst vor. Oder?
(Was die klassische Literatur angeht, so denke ich an Orest und Elektra.)
Hallo Graeculus,
dein Essay ist gut geschrieben, ich kannte Ambrose Bierce nicht.
Töten im Namen von (Kriegs)Recht und Frieden, Ehre und Anstand folgt einer ganz eigenen Logik. Sie scheint mir eine typisch männliche zu sein.
LG Momo
dein Essay ist gut geschrieben, ich kannte Ambrose Bierce nicht.
Töten im Namen von (Kriegs)Recht und Frieden, Ehre und Anstand folgt einer ganz eigenen Logik. Sie scheint mir eine typisch männliche zu sein.
LG Momo
Danke. Es ist eine interessante Frage, ob es für Frauen einen analogen Konflikt gibt.
In dem Maße, in dem Frauen zum Militär einrücken, erledigt sich freilich auch dieser Unterschied.
In dem Maße, in dem Frauen zum Militär einrücken, erledigt sich freilich auch dieser Unterschied.
Wichtige Fragen wirft Dein Text auf. Danke.
Ergänzend: Ein sprechendes Gewissen ist Grundlage jeder positiven Anarchie, wie ich finde.
HG Jutta
Ergänzend: Ein sprechendes Gewissen ist Grundlage jeder positiven Anarchie, wie ich finde.
HG Jutta
Wenn das Gewissen/die Stimme des Gewissens doch nur eindeutiger wäre!
Hallo Graecu,
eine traurige Story, die dem Krieg etwas von seiner Grausamkeit nimmt und ihm das einräumt, was ihm zusteht, viel Ehre! Zu viel Ehre!
Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, erzählte mein Großvater, dass er im ersten Weltkrieg in Feuerpausen gelegentlich mit gegnerischen Soldaten Tauschgeschäfte durchführte, Kleinigkeiten: Tabak, Seife, Alltägliches.
Und dann gibt es auch noch die Geschichten vom Weihnachtsfrieden im Westen zwischen britischen und deutschen Soldaten, die sich dem Unsinn der täglichen gegenseitigen Vernichtung wenigstens an einem oder zwei Tagen entgegensetzten.
Die Insubordination von Mannschaften und Frontoffizieren hatte dann aber bald den Höhepunkt überschritten. Krieg war immer ein zu wichtiges Geschäft.
Sei weiter für den Frieden. Herzlich Gil.
eine traurige Story, die dem Krieg etwas von seiner Grausamkeit nimmt und ihm das einräumt, was ihm zusteht, viel Ehre! Zu viel Ehre!
Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, erzählte mein Großvater, dass er im ersten Weltkrieg in Feuerpausen gelegentlich mit gegnerischen Soldaten Tauschgeschäfte durchführte, Kleinigkeiten: Tabak, Seife, Alltägliches.
Und dann gibt es auch noch die Geschichten vom Weihnachtsfrieden im Westen zwischen britischen und deutschen Soldaten, die sich dem Unsinn der täglichen gegenseitigen Vernichtung wenigstens an einem oder zwei Tagen entgegensetzten.
Die Insubordination von Mannschaften und Frontoffizieren hatte dann aber bald den Höhepunkt überschritten. Krieg war immer ein zu wichtiges Geschäft.
Sei weiter für den Frieden. Herzlich Gil.
Oh, solche Geschichten kenne auch ich noch von meinem Großvater! Es war der Winter 1914/15; später kam das nicht mehr vor. (Noch heute habe ich ein Schnitzwerk im chinesischen Stil auf meinem Schreibtisch stehen, das ein französischer Soldat meinem Großvater geschenkt hat. Ein tiefes Symbol.)