Versuch, einen netten Text zu schreiben

Stilblüte zum Thema Literatur

von  Graeculus

                                                                     Gewidmet den Manen von Ambrose Bierce.

Es will und will mir nicht gelingen, einen einfach netten, optimistischen Text zu schreiben. Einen, bei dem die Leser lächeln und sich danach heiter wieder ihren Lebensgeschäften zuwenden, dabei denkend: Was ist der Graeculus doch für ein reizender Kerl!


Dies ist ein letzter, fast schon verzweifelter Versuch, nett zu sein und nett zu schreiben:


Worüber?


Nehmen wir den Herbst? Ein paar Worte, gerne gereimt, über fallende Blätter, wehenden Wind und ein wenig Nebel, das kann doch nicht so schwer sein! Aber sofort kommt mir in den Sinn, daß es kalt wird und die Energiekosten ins Unermeßliche steigen, daß in der Ukraine jetzt die bemitleidenswerten Soldaten im Matsch kämpfen müssen und daß wir alle keinen Schimmer haben, unter welchen Umständen wir den nächsten Frühling erleben werden. Eine Sackgasse, auch was das Nettsein betrifft.


Jemand schrieb mir kürzlich, wenigstens hätten wir doch noch unsere Katzen. Tiere! Tiere sind immer nett, oder? Aber meine Katzen sind allesamt tot. Der Hund ebenso. Was immer man liebt, man ist davon bedroht, es zu verlieren. Immerhin: wie war das schön damals! Ja, damals.


Ich könnte ein paar schöne Dinge über Bücher schreiben. Ich liebe Bücher. Ich, ja – und die anderen? Inzwischen habe ich den Verdacht, daß es mehr Autoren gibt, die Bücher schreiben, als Menschen, die sie lesen. Kaufen und lesen, wohlgemerkt. Das ist ja überhaupt ein Problem, daß ein netter Mensch seine netten Worte so anbringen muß, daß sie auch als nett zur Kenntnis genommen werden. Und dann darf man nicht gleich wieder Zweifel und Selbstzweifel anmelden, die das erstrebte Wohlgefühl unterlaufen.


Es ist wahrlich nicht einfach, einfach nett zu sein.


Da bleibt mir letztlich nichts anderes, als mich an großen Vorbildern zu orientieren. Die gibt es zum Glück. Kann ich es ihnen denn nachmachen? Also, das ist ja im Zeitalter von Copy&Paste wirklich eine Kleinigkeit! Merkt doch niemand, es liest ja kaum noch jemand Bücher.
Jetzt endlich bin ich daher imstande, einen netten Text zu schreiben:

Der Mond ist aufgegangen.
Über allen Wipfeln ist Ruh.
Meine Seele breitet weit ihre Flügel aus.
Die Liebe besiegt alles.
Und unsern kranken Nachbarn auch.


Hui, sogar ein Gedicht, irgendwie! So nett. Und jetzt bitte: auf ins Leben, in heiterer Grundstimmung!


Hinweis: Der Verfasser wünscht generell keine Kommentare von Mondscheinsonate.

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Kommentare zu diesem Text


 tueichler (22.11.22, 15:55)
Also da wird mir bei den letzten Zeilen dann doch irgendwie heiter. Ich nehm also den Glühwein vom Herd, lass ihn dampfend in die Tasse fließen und denk mir so - Schluck für Schluck - was für'n reizender Kerl ...

😂

 Graeculus meinte dazu am 22.11.22 um 21:22:
Na gut, wenn der Leser was zu lachen hat, will ich mnich zufrieden geben.

Schöne Grüße, auch in Erinnerung an Werdau
Graeculus
Terminator (41)
(22.11.22, 16:19)
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 Graeculus antwortete darauf am 22.11.22 um 21:23:
Hat mir mit 18 ein Freund empfohlen, und diese Empfehlung war ein Treffer! Ich hatte sofort den Eindruck, einer verwandten Seele zu begegnen, und davon gibt es nicht viele.
Berichte doch gelegentlich über Deine Eindrücke.
Terminator (41) schrieb daraufhin am 22.11.22 um 23:33:
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 Graeculus äußerte darauf am 23.11.22 um 17:00:
Was für eine Ausgabe ist denn das? Die vierbändige aus dem Haffmanns Verlag?
Terminator (41) ergänzte dazu am 26.11.22 um 03:17:
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 Graeculus meinte dazu am 27.11.22 um 17:42:
Ein Nachdruck wohl.

 EkkehartMittelberg (22.11.22, 17:20)
Hallo Graeculus,
ich glaube, du würdest auch dann keinen netten Text schreiben, wenn du es könntest, denn du weißt genau, dass nette Texte und deren Autoren als oberflächlich gelten.
Anders ist das mit der Heiterkeit. Man muss diszipliniert leben, um sich eine heitere Seele zu bewahren.
Heitere Grüße
Ekki

 Graeculus meinte dazu am 22.11.22 um 21:25:
Du machst, lieber Ekkehart, einen wichtigen Unterschied. Nur nett sein ist keine gute Literatur; aber Heiterkeit vermitteln, das ist eine löbliche Aufgabe. Nur: dabei nicht so tun, als ob es keine Schattenseiten gäbe.

 TassoTuwas (22.11.22, 17:54)
Halten wir es doch mit Busch:
"Wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe".

Wenn man, ganz gleich um was es geht, mit etwas erst beginnt, wenn alle eventuell auftretenden Missverständnisse, Unfälle, Ärgernisse, Irrwege etc, geklärt sind, würden die meisten Ideen wahrscheinlich schon in der Planungsphase beerdigt.

Das lässt den Schluss zu: Gar nichts tun, verhindert Probleme!
  :) !

 Graeculus meinte dazu am 22.11.22 um 21:27:
Wie schwer ist es, gar nichts zu tun!
"Difficile est satiram non scribere." (Juvenal)
Diese Unfähigkeit scheint immerhin eine Wurzel der Literatur zu sein. Dafür können wir dankbar sein.

 AlmaMarieSchneider (22.11.22, 20:33)
Was ist denn ein "netter" Text?
Nett ist ein Wort mit dem ich sehr wenig anfangen kann. Fröhlich, frech, informativ.... das sind Worte, die mir etwas sagen. Nett? Soll ich darunter Angenehm verstehen? Wer weiß schon was für mich angenehm ist?
Am Besten ist es doch man schreibt das was man sagen möchte und überlässt es dem Leser das so zu finden, wie er es möchte. Mit guter Werbung kann alles verkauft werden.

Nett grüßt
Alma Marie

 Graeculus meinte dazu am 22.11.22 um 21:30:
Nett ist, allen zu gefallen und allen nur eitel Freude machen zu wollen. Zu wollen, unabhängig davon, wie das dann tatsächlich bei den Lesern ankommt.
Gute Literatur, so ist es meine Überzeugung, ist viel mehr. Sie spricht auch aus, was nicht in Ordnung ist, oder ruft uns, um Rilke zu zitieren, zu:  "Du mußt dein Leben ändern!"

 AlmaMarieSchneider meinte dazu am 22.11.22 um 21:38:
Warum willst Du denn dann einen netten Text schreiben?
Dass gute Literatur ausspricht was nicht in Ordnung ist, das kann gute Literatur sein, aber auch ein nach Aufmerksam heischendes Geheule.
Ich unterscheide das.

 Graeculus meinte dazu am 23.11.22 um 17:03:
Warum willst Du denn dann einen netten Text schreiben?

Hast Du das wörtlich genommen?

Die gute Literatur ist m.E. eine Teilmenge der Literatur, die Probleme anspricht, d.h. jede gute Literatur spricht Probleme an, aber nicht jede Literatur, die Probleme anspricht ist gut. Der Umkehrschluß gilt mithin nicht.
Können wir uns darauf verständigen?

 AlmaMarieSchneider meinte dazu am 23.11.22 um 18:43:
Joo! OK, Verständigung angenommen.

 Graeculus meinte dazu am 23.11.22 um 23:21:
Und niemals werde ich einen Text von Dir "nett" nennen. Versprochen.

 DanceWith1Life (23.11.22, 04:45)
Was täten wir nicht alles
um der Leser Gunst
allein, das macht noch keine Kunst
gelebt, gekerbt, verwundet und verheilt
womöglich hinkend niemals verweilt
den Schatten suchend
und doch der Knecht des Lichts
des Brausens, Tosens innerer Stille
geschickt noch eingewoben
in verwundenem Auf und Ab
zum Aufschrei oder gar als erster Schritt
zur Zier des Menschen
war sein freier Wille

 Graeculus meinte dazu am 23.11.22 um 17:05:
Ein Gedicht - warum nicht?
Das Schielen auf der Leser Gunst macht noch lange keine große Kunst.
(Und jetzt habe ich gleich zweimal gereimt.)

 AchterZwerg (23.11.22, 06:43)
Ichsaachjaimma:

Hüte dich vor netten Texten! :D

 lugarex meinte dazu am 23.11.22 um 09:16:
Ichsaachjaimma:
klingt ziemlich japanisch! Aber sehr nett, wie Internt.


Sayonara Luga

 Graeculus meinte dazu am 23.11.22 um 17:06:
Stimme zu.
Nett, so sagt man ja auch, ist ein Kompliment hart an der Grenze zur Beleidigung.
Taina (39)
(23.11.22, 09:27)
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 Graeculus meinte dazu am 23.11.22 um 17:08:
Willst Du nicht nett sein? Gut, auch ich nicht.

"Sentimentalität ist die kleine dummer Schwester der Melancholie", habe ich gestern gehört. Offenbar gibt es mehrere kleine Schwestern auf der Welt.
Taina (39) meinte dazu am 23.11.22 um 17:22:
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 Graeculus meinte dazu am 23.11.22 um 23:20:
"Nett" kann sogar ein Mißfallen ausdrücken, das stimmt. Ich nähme es als milde Form der Beleidigung auf.
Und auch "Das schmeckt interessant" wird den Koch oder die Köchin nicht erfreuen.

Jetzt haben wir immerhin geklärt, daß ich nicht ernsthaft vorhatte, einen netten Text zu schreiben.

 Naja (22.12.22, 10:21)
Einzig der kranke Nachbar tut mir leid. Danke für den Spaß am Morgen! :) :D)))))))))))))

 Graeculus meinte dazu am 22.12.22 um 15:29:
Wenn's gefreut hat ...
Ich habe - wirst Du wohl bemerkt haben - mich am Anfang und Ende bei Matthias Claudius bedient, sogar beim selben Gedicht.
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