Alle 9.329 Textkommentarantworten von Graeculus

15.01.20 - Diskussionsbeitrag zum Text  Wieso ließ Gott es zu, dass Kain seinen Bruder Abel tötete? von  Bluebird: "Übrigens, aber nur am Rande: Schopenhauer beantwortet auch Deine Frage. Du kannst die Tür öffnen, wenn Du das willst, Du kannst auch das Läuten ignorieren, wenn Du das willst, aber Du kannst nicht wählen, ob Du dies willst oder jenes. Das hängt von Deinem Charakter, Deiner Stimmung und anderen Umständen ab, wie z.B. dem, ob Du gerade mit Deiner Geliebten ein sehr heikles Telephonat über Eure Beziehung führst, oder dem, ob Du gerade krank im Bett liegst. Und ob das so stimmt, das ist das Problem der Willensfreiheit - und seine Lösung ist nun wirklich alles andere als offensichtlich."

15.01.20 - Diskussionsbeitrag zum Text  Wieso ließ Gott es zu, dass Kain seinen Bruder Abel tötete? von  Bluebird: "Es geht mir nicht darum, ob ich an Willensfreiheit glaube oder ob Du daran glaubst, sondern darum, daß Du behauptet hast, es sei ganz offensichtlich, daß wir einen freien Willen besäßen. Das ist es, was ich bestreite. Und das kann ich begründen, indem ich 'Gegner' des freien Willens - von Arthur Schopenhauer bis Wolf Singer - benenne und Dich darauf hinweise, daß schon Kant das Problem für extrem schwierig gehalten hat und ein philosophisches Standardwerk zum Thema (Peter Bieri: Ellbogenfreiheit) zu einem sehr differenzierten und vorsichtigen Urteil gelangt. Es wäre außerdem günstig, die Fragestellung so zu präzisieren, wie Schopenhauer ("Über die Freiheit des Willens") es getan hat, nämlich zu unterscheiden zwischen der Frage, ob wir tun können, was wir wollen (Handlungsfreiheit), und der Frage, ob wir wollen können, was wir wollen (Entscheidungsfreiheit). Eigentlich wird aber die Behauptung, wir hätten offensichtlich einen freien Willen, schon durch das folgende - Entschuldigung: längere - Zitat von Schopenhauer widerlegt - und zwar ganz unabhängig davon, ob er mit seiner Argumentation recht hat oder nicht, denn das ist eben nicht offensichtlich. [Wir] wollen uns einen Menschen denken, der, etwan auf der Gasse stehend, zu sich sagte: „Es ist 6 Uhr Abends, die Tagesarbeit ist beendigt. Ich kann jetzt einen Spatziergang machen; oder ich kann in den Klub gehn; ich kann auch auf den Thurm steigen, die Sonne untergehn zu sehn; ich kann auch ins Theater gehn; ich kann auch diesen, oder aber jenen Freund besuchen; ja, ich kann auch zum Thor hinauslaufen, in die weite Welt, und nie wiederkommen. Das Alles steht allein bei mir, ich habe völlige Freiheit dazu; thue jedoch davon jetzt nichts, sondern gehe eben so freiwillig nach Hause, zu meiner Frau.“ Das ist gerade so, als wenn das Wasser spräche: „Ich kann hohe Wellen schlagen (ja! nämlich im Meer und Sturm), ich kann reißend hinabeilen (ja! nämlich im Bette des Strohms), ich kann schäumend und sprudelnd hinabstürzen (ja! nämlich im Wasserfall), ich kann frei als Strahl in die Luft steigen (ja! nämlich im Springbrunnen), ich kann endlich gar verkochen und verschwinden (ja! bei 80° Wärme ); thue jedoch von dem Allen jetzt nichts, sondern bleibe freiwillig, ruhig und klar im spiegelnden Teiche.“ Wie das Wasser jenes Alles nur dann kann, wann die bestimmenden Ursachen zum Einen oder zum Andern eintreten; eben so kann jener Mensch was er zu können wähnt, nicht anders, als unter der selben Bedingung. Bis die Ursachen eintreten, ist es ihm unmöglich: dann aber muß er es, so gut wie das Wasser, sobald es in die entsprechenden Umstände versetzt ist. [...] Ich kann thun was ich will: ich kann, wenn ich will, Alles was ich habe den Armen geben und dadurch selbst einer werden, - wenn ich will! - Aber ich vermag nicht, es zu wollen; weil die entgegenstehenden Motive viel zu viel Gewalt über mich haben, als daß ich es könnte. Hingegen wenn ich einen andern Charakter hätte, und zwar in dem Maaße, daß ich ein Heiliger wäre, dann würde ich es wollen können; dann aber würde ich auch nicht umhin können, es zu wollen, würde es also thun müssen. [...] Es ist durchaus weder Metapher noch Hyperbel, sondern ganz trockene und buchstäbliche Wahrheit, daß, so wenig eine Kugel auf dem Billiard in Bewegung gerathen kann, ehe sie einen Stoß erhält, eben so wenig ein Mensch von seinem Stuhle aufstehn kann, ehe ein Motiv ihn weg zieht oder treibt: dann aber ist sein Aufstehn so nothwendig und unausbleiblich, wie das Rollen der Kugel nach dem Stoß. Und zu erwarten, daß Einer etwas thue, wozu ihn durchaus kein Interesse auffordert, ist wie erwarten, daß ein Stück Holz sich zu mir bewege, ohne einen Strick, der es zöge. Wer etwan dergleichen behauptend, in einer Gesellschaft hartnäckigen Widerspruch erführe, würde am kürzesten aus der Sache kommen, wenn er, durch einen Dritten, plötzlich mit lauter und ernster Stimme rufen ließe: „Das Gebälk stürzt ein!“ wodurch die Widersprecher zu der Einsicht gelangen würden, daß ein Motiv eben so mächtig ist, die Leute zum Hause hinaus zu werfen, wie die handfeste mechanische Ursache."

15.01.20 - Diskussionsbeitrag zum Text  Wieso ließ Gott es zu, dass Kain seinen Bruder Abel tötete? von  Bluebird: ""dem alleinigen Gott"? Seinem Gott. Die jüdische Religion war - etwa bis zum babylonischen Exil - nicht monotheistisch, sondern monolatristisch, d.h. sie hat die Existenz anderer Götter nicht geleugnet, aber darauf bestanden, daß das jüdische Volk nur einem Gott dienen dürfe - seinem Gott. Die anderen Völker hatten eben andere Götter. Daran kann man erkennen, daß das Buch Genesis zu den späteren, vielleicht sogar den spätesten Büchern des AT gehört. Die redaktionelle, kanonische Ausgestaltung in Thora und Tanach ist dann noch späteren Datums. (Aber das ist, merke ich gerade, hier gar nicht so wichtig.)"

15.01.20 - Diskussionsbeitrag zum Text  Wieso ließ Gott es zu, dass Kain seinen Bruder Abel tötete? von  Bluebird: "Immer wenn es logisch heikel wird, sagen Gläubige etwas wie "Gottes Wege sind unerforschlich". Spricht etwas für Gott, dann wird die Logik gerne in Anspruch genommen; spricht etwas dagegen, dann sind Gottes Wege eben unerforschlich, und die Logik wird verabschiedet. Noch drastischer ein Kirchenvater: Credo quia absurdum. - Ich glaube, weil es absurd ist. "Man merkt die Absicht und ist verstimmt." Die Logik ist keine Hure. Vornehmer: keine Dienstmagd der Theologie. Und einen freien Willen haben wir nicht "ganz offensichtlich", sondern die Sache ist sehr umstritten. Was umstritten ist, kann nicht ganz offensichtlich sein. Auch das ist Logik."

15.01.20 - Diskussionsbeitrag zum Text  Wieso ließ Gott es zu, dass Kain seinen Bruder Abel tötete? von  Bluebird: "Das war dann bei Abraham und Isaak - ein tolles Ding, übrigens. God said to Abraham, "kill me a son!" Abe said, "Man, you must puttin' me on." (Mann, du verarschst mich ja wohl!)"

15.01.20 - Diskussionsbeitrag zum Text  Wieso ließ Gott es zu, dass Kain seinen Bruder Abel tötete? von  Bluebird: "Nun, ein freier Wille, so seine Definition, ist undeterminiert und damit unvorhersehbar. Das setzt der Allwissenheit, die ja in der Kenntnis aller Determinanten besteht, eine Grenze. Dennoch gefällt mir die Idee gut - sie ist praktisch. Sollte ich einmal vor Gericht stehen, weil ich von einem Mordplan gewußt und nichts unternommen habe (das Strafgesetzbuch äußert sich sehr eindeutig zum Thema Mitwisserschaft), dann werde ich einfach sagen: Ich hatte großen Respekt vor dem freien Willen des Menschen. Auch für die Polizei, die sich so große Mühe gibt, Telephone & E-Mails & Internet-Chats zu überwachen, um Verbrechenspläne aufzudecken und zu verhindern, wäre es eine große Arbeitserleichterung: nichts tun, den freien Willen achten."

15.01.20 - Diskussionsbeitrag zum Text  Wieso ließ Gott es zu, dass Kain seinen Bruder Abel tötete? von  Bluebird: "Gerne läse ich von Dir einmal etwas über die Noah-Geschichte: Gott bringt alle Tiere - mit Ausnahme der Wassertiere - um, weil die Menschen so viele Sünden begangen haben. Gut, wenn man ein Kabeljau, schlecht, wenn man ein Eichhörnchen ist! Das Thema wäre dann wohl: Gottes Gerechtigkeit. Antwort geändert am 15.01.2020 um 17:13 Uhr"

15.01.20 - Diskussionsbeitrag zum Text  Über einen Weisen, der sich irrte von  EkkehartMittelberg: "Schön auch: possum falli ut homo Ich kann mich täuschen wie ein Mensch. [Cicero: Atticus-Briefe XIII 21, 5] ----- quam facile erramus homines! Wie leicht irren wir Menschen! [Seneca der Ältere: Controversiae VII 1, 5]"

15.01.20 - Diskussionsbeitrag zum Text  Über einen Weisen, der sich irrte von  EkkehartMittelberg: "Solchen Dingen nachzugehen, macht mir Freude. Der Spruch stammt eigentlich aus dem Griechischen, z.B.: ἄνθρωπος ὢν ἤμαρτον. οὐ θαυμαστέον. Ein Mensch bin ich, so irrte ich, kein Wunder ist’s. [Menander fr. 389 (432)] ----- [σύγγνωθ‘.] ἁμαρτεῖν εἰκὸς ἀνθρώπους [, τέκνον.] [Vergib.] Irren ist menschlich [, mein Kind.] [Euripides: Hippolytos V. 615]"

14.01.20 - Kommentarantwort zum eigenen Text  Ein Plädoyer für Optimismus: "Ach, es gibt bestimmt auch positive Seiten. Zugvögel brauchen im Winter nicht mehr in den Süden zu ziehen."

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