Ich saß im grellen Licht der nackten Glühbirne, die von der Decke baumelt, am Tisch in der Küche und hatte wieder schreckliche Alpträume, doch die Augen schließen konnte ich nicht. Also schenkte ich nach, ein ganzes Wasserglas voll, und trank in einem Zug aus. Eine weitere Portion Wärme, die die Nacht vielleicht erleichtern mochte - oder war es schon wieder Tag da draußen? Ich wusste es nicht, hatte seit Tagen die Rollläden vor den Fenstern nicht hochgezogen. Draußen, jenseits der Mauern, brandet der Verkehr unaufhörlich. Ein endloser Strom aus Metall, Fleisch und Asphalt rauscht sinnlos gegen meine übermüdeten Augen und Ohren, gegen mein Hirn. Irgendwann habe ich also alle Türen und Fenster vernagelt, um nicht länger zusehen zu müssen, wie diese unerträgliche Absurdität Tag und Nacht meine Seele aufweicht und meine Kehle zuschnürt. Stückchenweise Sterben bis zum Erbrechen.
Ich dachte, irgendwann hört das auf, irgendwann, eher früher als später, kommt der Kollaps, etwas, das die perfide Maschine, dieses immerwährende Ungeheuerliche austilgt, vielleicht etwas Biblisches. An der Zeit wäre es, versprochen war es ja. Doch nichts ist geschehen. Es läuft wie von selbst. Immer. Ununterbrochen. Dieses sinnlose Leben. Selbst das Sterben hat seinen Sinn verloren. Wir sind schon alle tot, sterben in jeder Sekunde mehr.
Als sie mir sagten, ich hätte keinen Job mehr, habe ich nur gelacht. Als Toilettenmann wollte ich nicht mehr anfangen, und `was anderes – na ja. Mit 47 Jahren hat man schlechte Aufstiegschancen. Mit sieben Jahren allerdings auch. Wie auch immer. Also habe ich die Schotten dicht gemacht. Mein einziger Draht zur Außenwelt ist der verdammte Fernseher, der im Wohnzimmer schneeigen Brei in den Raum wirft und seine Meldungen als atmosphärische Störungen auf den Teppich würgt. Kein Anschluss unter dieser Nummer.
Ich weiß. Mittlerweile laufen dort draußen achtköpfige Monster herum, die Menschenfleisch fressen. Maschinen laufen mit Blut, statt mit Öl, Konstruktionen zur Häutung und Entbeinung von lebenden Menschen, die ihrem Selbstzweck dienen. Zombies bedienen Schalter und Hebel, ohne zu fragen, wozu das gut sein soll. Es muss der dritte Weltkrieg gewesen sein. Oder der vierte. Alle Menschen sind tot. Obwohl es den Anschein hat, als lebten sie noch, sind alle gestorben. Stumme Sirenen heulen: Bombenalarm!
Meine Frau wollte nicht verstehen. Da habe ich sie erwürgt, stranguliert mit einer lächerlichen Gardinenkordel. Ein schlechter Film. Nun, ich wusste nicht, wohin mit ihr, also habe ich sie eingefroren, nachdem ich sie mit der Brotschneidemaschine in kleine Stücke zersägt hatte. Da lief ohnehin nichts mehr. Irgendwie tut es mir leid um sie. Arme Anja. Sie konnte nicht zuhören. Sie redete unentwegt. Ihre Ohren hängen am Küchenschrank. Jetzt habe ich ihr nichts mehr zu sagen. Oder irgend jemandem. Lediglich die Stimmen in meinem Kopf, die Alpträume und schizoiden Anfälle. Manchmal bin ich nicht allein. Geteerte Teufel sitzen mir gegenüber und versuchen mich von den Vorzügen der Hölle zu überzeugen, vom Zauber des Feuers, vom Reiz, tot zu sein. Nicht mehr lange, und ich werde ihnen zuhören müssen. An meinen Armen kriechen bereits schwarze Tausendfüßler entlang und meine Zehen sind abgefault, die Fußstümpfe dunkel verfärbt. Vielleicht fällt den Leuten, die neben mir wohnen auch bald der widerlich süße Geruch auf, den Leichen verströmen, die ein wenig länger tot sind. Und sie kommen herüber und schneiden mich von dem Strick los, an dem ich im Flur baumele, mich langsam drehe, wie im Tanz, um die eigene Achse.
© Rainer M. Scholz