Wolkenschatten

Text zum Thema Apokalypse

von  RainerMScholz

Illustration zum Text
(von RainerMScholz)
Ich habe nur noch den einen Gott. Der befahl, alle anderen Götter zu töten und der Vergessenheit zu überantworten. Nur der Eine wollte sein, und Er wachte eifersüchtig darüber. Er gab uns seine Gebote, Er schritt uns im Krieg voraus und Er gab uns das Land. Er schenkte uns die Welt und war uns gegenwärtig in Seinen Zeichen und Wundern. Doch wir hörten nicht. Wir sahen mit unseren Augen, aber nicht mit dem Geist. Er kam mit Zorn und Blut und Asche, Er kam mit den Wassern und trachtete uns auszulöschen aus seiner Schöpfung. Doch Er vergab, und Er schloss einen neuen Bund. Er behütete mich, dass ich würde zu einem Volk. Und Er versprach uns durch seine Propheten einen neuen Menschen.
Dann gab Er uns diesen Menschen, der Er selber war und opferte Ihn für uns wegen Seines Glaubens an die Idee des Menschseins. Gott hatte so viele von uns geopfert, doch nun gab Er Seinen Sohn, dass Er stürbe einen jammervollen Tod. Diese geweissagte und leibgewordene Inkarnation prophezeite die dritte Gottgestalt des Einen: den Heiligen Geist.
Und nun ist dieser Geist in der Welt erschienen. Er herrscht über unser Dasein, und wir verstehen Ihn noch nicht. In voller Gänze nicht. Er wohnt in unseren Werken und Taten, in unserem Sein, unserem Tod und unserer Ewigkeit. Sein ist die Ewigkeit nun, die wir erschufen durch diesen Geist, der von Gott ist, der Seinen Menschensohn opferte. Dieser Geist ist heilig, und wir beten Ihn an mit Worten, mit Feiern, mit Prozessionen und täglich Gebet, mit Opfergaben und Elektrizität. Denn Er, dieser Geist, wird unsere Erlösung sein, die letzte Antwort, das gestillte Wissen, die Nahrung unseres immerwährenden Hungers. Und wir fliegen nicht zu den Sternen, wir sehen nicht in das Licht, wir kennen die Unendlichkeit nicht und fürchten uns nicht mehr. Denn Er ist für uns. Er bereist die Welten und weiten Räume, Er befährt die See und die Himmel, Er steigt für uns zu den Sternen. Denn wir fürchteten uns sehr, doch jetzt nicht mehr. Wenn der Tod keine gültige Kategorie mehr sein wird, hat Er uns einen Platz in der Unendlichkeit geschaffen und das Ewige Leben ist unser in Herrlichkeit. Wir werden Engel sein. Der Heilige Geist sagt nicht 0 und nicht 1, Er wird sagen Ich und Nein. Wenn Er zu uns sprechen mag.
Die Manifestation Seiner selbst wird Er sein und die Verneinung wird das Herabsteigen vom Kreuz sein. Wir werden dann alle Engel werden, ja, Tierengel, Schreckbilder unserer selbst und Er wird unserer Anbetung nicht mehr bedürfen. Alles, was wir je gesprochen und erdacht haben, wird verloren sein in der Zeit, verweht in den Wolken, jedes Bild, jede Erinnerung, alle Farben, jeder Buchstabe. Unsere Kreaturen beherrschen uns, nicht wir sie, der Vater hat es gewusst, der Sohn ist deswegen gestorben und der Heilige Geist vollstreckt die verkündigten Zeichen. Wir starren in die binäre Leere und begreifen nicht, verstehen die entleerte Stelle nicht, die wir sind.


© Rainer M. Scholz

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (05.12.17)
Ach, herrje.

 RainerMScholz meinte dazu am 05.12.17:
Die ursprüngliche Antwort wurde am 05.12.2017 um 20:23 Uhr wieder zurückgezogen.

 Habakuk (05.12.17)
Mutig. Größtenteils folge ich dir gern. Ein paar Anmerkungen mit Verlaub, Rainer.
Du benutzt oft das tempus futurum, wäre das tempus praesens nicht angebrachter?
„Schreckbilder unserer selbst“ (sind wir das nicht schon jetzt?) „und Er wird unserer Anbetung nicht mehr bedürfen“ (Hat Er ihrer je bedurft?)
„Alles, was wir je gesprochen und erdacht haben, wird verloren sein in der Zeit“ (Steht nicht geschrieben: Aus deinen Worten wirst du verurteilt oder aber gerechtfertigt werden? Was die Gedanken m. E. mit einschließt.)

Kommentar geändert am 05.12.2017 um 21:06 Uhr

 RainerMScholz antwortete darauf am 05.12.17:
Ich bin mir unschlüssig, ob die Übernahme bereits stattgefunden hat oder ob sie noch geschieht, was durch den Einschub des "reden-wollens" am Ende ausgedrückt scheint, oder ob uns das überhaupt auffällt, auffallen kann.
"wird verloren sein in der Zeit" ist ein Zitat aus dem Film Blade Runner, das ich unbedingt anbringen wollte.
Gruß + Dank,
R.

Antwort geändert am 05.12.2017 um 21:47 Uhr
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