Baron von Münchhausen erzählt: Verhindertes Rendevouz mit Eugenie von Zitzewitz

Anekdote zum Thema Begegnung

von  EkkehartMittelberg

Vorbemerkung: Die neuen Lügengeschichten des Barons von Münchhausen (erzählt von Ekkehart Mittelberg) gehen frei mit Zeit und Raum um. Persönliche und namentliche Ähnlichkeiten sowie Übereinstimmungen mit lebenden Personen und real existierenden Orten sind nicht beabsichtigt und rein zufällig.

Ihr wisst bestimmt, wie lange ich schon im Himmel weile. Anfangs war das ja betörend, als mir die süßen Engelchen an den Lippen hingen, wenn ich meine Abenteuer erzählte. Aber inzwischen unterbrechen sie mich und flöten: “Na, na, na, Herr Baron, wie oft müssen wir Sie noch erinnern, hier darf man nur die lautere Wahrheit verkünden." Als wäre je ein Lügenwort über meine Lippen gekommen. - Und die Verköstigung im Himmel? Jeden Tag Manna, immer wieder Manna und manchmal (heimlich) Ambrosia. Ach, was sehne ich mich nach einem würzigen Bier und nach einem duftenden Hirschbraten.

Also, ich mache es kurz, ich habe bei Petrus eine Eingabe wegen eines Erdenurlaubs auf Ehrenwort gemacht. Er war auch einverstanden, nur musste ich selbst für die Hin- und Rückreise sorgen. Ich habe mir von dem Meteorologenengel einen wunderschönen Regenbogen zaubern lassen und bin auf meiner Krachledernen zur Erde hinuntergesaust, dass die Funken stoben.
Als ich in Bodenwerder ankam, waren mir solche Eiszapfen aus dem Bart gefroren, dass die Schiffe der Weserdampfschifffahrt Alarmsignale gaben, weil man mich für ein aus dem Zoo entlaufenes Walross hielt. Aber nachdem die Sonne mich einigermaßen getrocknet hatte, hielt man mich amüsiert grinsend für einen etwas verschrobenen Dieb, der seine himmelblaue Weste und die blitzenden Schnallenschuhe aus der Kostümkammer des Münchhausen-Museums gestohlen hat. Als hieße ich Friedrich Wilhelm Voigt und sei der Hauptmann von Köpenick! Das machte mir wenig aus, denn schon zu meinen Lebzeiten verkannte man mein biederes Soldatenherz.

Mein akutes Problem war nur, wo sollte ich hin, da mich doch mit jedem Stein und vielen Damen in diesem Nest Jugenderinnerungen verbanden. Als ich nach dem Kautabak in meiner Hosentasche fingerte, fiel mir eine alte vergilbte Visitenkarte in die Hand: Eugenie von Zitzewitz, die Pietistin, die bei meinen Anzüglichkeiten so reizvoll errötete und die beim Kontretanz den Blick von meinem galanten Ausfallschritt nicht lösen konnte, Eugenie, um die ich so viele Jahre vergeblich geworben hatte, weil sie meine Schweißhunde fürchtete, von denen ich mich niemals trennte, ja, Eugenie, dieses ätherische Wesen, ihr sollte mein erster Besuch gelten.

Die alte Minna, ihre Kammerzofe, bekreuzigte sich mehrfach und glaubte, ich sei als Widergänger dem nahe gelegenen Moor entstiegen. Als ich sie endlich davon überzeugt hatte, dass ich als einer der reinsten Engel auf Erdenurlaub sei, teilte sie mir mit, dass sich Eugenie im Bibelkreis der Susanne von Klettenberg erbaue, und führte mich, da ich keine Anstalten machte, von der Schwelle zu weichen, in Eugeniens Bibliothek für den Fall, dass ihre Herrin noch vor Einbruch der Dämmerung zurückkäme.

Mein Herz pochte wild, weil ich hoffte, hier entdecken zu können, womit Eugenie ihr jungfräuliches Herz tröstete, denn die Bibel und Heiligenlegenden allein konnten es doch unmöglich ganz ausfüllen.
Ich machte mich also über den geheimen Schatz von Eugeniens Lektüre her. Als erstes fiel mir ein Gedicht von Clemens von Brentano: „Frühlingsschrei eines Knechts aus der Tiefe“ in die wettergegerbte Faust. Ich konnte es nicht fassen. Sollte man diesen Aristokraten entadelt haben, dass er nun sein Brot als Knecht verdienen musste? Fürwahr, ich wusste mit dieser mystischen Zerknirschung wenig anzufangen, aber es beruhigte mich doch, dass er als Verwirrter im Adelsstande verblieben war. Dann entdeckte ich die „ Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“ von einem gewissen Wilhelm Heinrich Wackenroder und von Ludwig Tieck. Ich begriff sogleich, dass es sich wieder um ein geistliches Traktat handelte, und musste Eugenien zugestehen, dass sie konsequent handelte, indem sie ihre Bedürfnisse im Bibelkreis abklärte. Meine Eifersucht hielt sich freilich in Grenzen, stellte ich doch fest, dass sich unter ihren Galants nur Schlappschwänze befanden. Da las ich von einem gewissen Novalis:

„Ich sehe dich in tausend Bildern, Maria, lieblich ausgedrückt, doch keins von allen kann dich schildern, wie meine Seele dich erblickt."

Beim wahrhaftigen Gott. Der Kerl hatte auch keine Courage. Wieso musste er den Umweg über Maria gehen, wenn er Eugenien das Kompliment doch hätte direkt machen können? Fast wäre ich bei diesem romantischen Larifari eingeduselt, da klopfte Minna an die Türe, um mir den Botenbericht mitzuteilen, dass ihre Herrin im Kloster von Zinzendorf nächtigen werde, sie sich aber beehre,  mich bald zum Tee zu empfangen.

Tief enttäuscht bummelte ich sodann entschlusslos durch die Gassen von Bodenwerder, als ich plötzlich vor meinem alten Stammlokal „Waidmannsheil“ stand. Wer vermag die Erstarrung meiner alten Zechkumpanen zu beschreiben, als ich in die Jagdstube trat, ein Paar Hirschgeweihe erschrocken von der Wand fielen und sich einige Schreckschüsse in die Decke bohrten.
Eine Runde Jägermeister und meine Erklärungen zu dem Erdenurlaub brachten die braven Jagdgenossen in die Wirklichkeit zurück und unter dem Freudengeheul ihrer Hunde wurde zur Feier des Tages oder besser der Nacht noch manche Flasche Asbach uralt geleert, bis der Wirt die Herren endlich hinauskomplimentiert hatte und ich auf dem alten Kanonenofen einschlief. Bald sah ich die rosenfingrige Eugenie im Traum, wie sie ein Haar von mir aus Bocaccios Decamerone an ihr Herz drückte, das ich wohlweislich als Erkennungszeichen in diesem Buch in ihrer Bibliothek zurückgelassen hatte, um zu sehen, ob sie für die Wonnen dieser Welt ganz und gar verloren sei.

© Ekkehart Mittelberg, Mai 2011

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Kommentare zu diesem Text


 loslosch (28.05.11)
Hinter dem Baron scheint sich ein gebildeter, feinsinniger, literarisch bewanderter Lügenbold zu verbergen.

Gelunges Happy End: ein erlogener Traum mit realem Hintergrund. Man gerät ins Träumen und Schwindeln.

Der Kandidat erhält 100 Punkte. Lothar

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 28.05.11:
Vielen Dank, Lothar. Der Kandidat errötet ob der 100 Punkte. Der Baron bestreitet entschieden, dass sich jemand hinter ihm verbirgt. Seine Hunde hätten sofort angeschlagen, insbesondere, wenn es sich um einen feinsinnigen Literaten gehandelt hätte. Der hätte die natürliche Luft verdorben. Du müsstest mal hören, wie der das r rollt, wenn er ährrrlich sagt.
Ekki

 loslosch antwortete darauf am 28.05.11:
Hat er das r gerrrrrrrrrrrollt? Der 73-jährige verwitwete Lügenbaron ehelichte anno 1794 die 20-jährige Bernhardine von Brünn. So ein Idiot auch! Bald kam es zum Zerwürfnis und am Ende eines 3-jährigen Rosenkriegs ist der Baron dann verarmt verstorben. Die letzte Geschichte zählt; denn sie ist leider wahr. Lo

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 28.05.11:
Soeben hat der Baron sein Dementi für die Postille "Blaues Blut" gefertigt und seufzend das Monokel abgelegt. Er sei mitnichten verarmt gestorben, sondern in vollem Bewusstsein seiner inneren Werte sanft verschieden. Dem genauen Chronisten loslosch verzeihe er aber dessen bisher ersten Irrtum und er hoffe, dass dieser ihm trotz dier notwendigen Korrektur gewogen bleibe.
Freiherr von Güldenberg
Sekretär des Barons

 loslosch äußerte darauf am 28.05.11:
Herr Baron sind, sit venia verbo, ein Cleverle. Ich dachte beim Verarmen nicht an die inneren, sondern die äußeren Werte. Untertänigst grüßend Lo

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 28.05.11:
Herr Baron lässt ausrichten, er habe Herrn loslosch gleich richtig verstanden, aber es lohne sich ihm zu widersprechen, eine solch elegante Feder läse man nicht alle Tage.
Freiherr von Güldenberg

 loslosch meinte dazu am 28.05.11:
Hochverehrtester Herr von Güldenberg, ihr Namen (gülden) ehrt sie ungemein. Lo

Zu meinem großen Bedauern vergaß ich, das "von" in Ihrem Adelstitel zu nennen, und bitte mit dem Ausdruck tiefster Ehrerbietung um Ihro gefälligste Nachsicht. Derowegen die Korrektur auf dem Fuße folgend.
(Antwort korrigiert am 28.05.2011)

 ViktorVanHynthersin (28.05.11)
Lieber Ekkehart,
Du beschreibst mit viel Liebe und Detailtreue eine wahrhaft zauberhafte Geschichte, die mit Augenzwinkern und vielen kleinen Andeutungen jeden Leser aus dem Alltag entführt. Mir hat das Lesen der Anekdote großen Spaß bereitet und entlässt mich mit einem vergnügten Lächeln in den Tag.
Herzliche Grüße
Viktor

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 28.05.11:
Besten Dank, Viktor. vergnüglich zu unterhalten, das war mein Ziel.
Herzliche Grüße
Ekki

 AZU20 (28.05.11)
Da ist dir aber ein kleines Meisterwerk gelungen und zudem hast du mich an meinen Weserfahrradurlaub erinnert, bei dem mir Bodenwerder ganz besonders gut gefiel.Im Museum wich eine kleine Schwebfliege nicht von der Hand meines damals noch kleinen Sohnes. LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 28.05.11:
Vielen Dank, Armin. Der Baron bewundert das understatement deines damals kleinen Sohnes. Er behauptet, es sei eine ausgewachsene Fledermaus gewesen, die der Kleine diszipliniert ertragen habe.
Liebe Grüße
Ekki

 AZU20 meinte dazu am 29.05.11:
Jetzt wird so richtig deutlich, dass du immer noch mit ihm in Verbidnung bist. LG
magenta (65)
(28.05.11)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 28.05.11:
Ich soll dich herzlich von ihm grüßen, Magenta, er feilt zur Zeit in einem Tangokurs in Argentinien an diesem Schritt. Besten Dank auch von mir.
Liebe Grüße
Ekki
(Antwort korrigiert am 28.05.2011)

 AlmaMarieSchneider (28.05.11)
Wunderbar geschrieben und mitnehmend gelogen. Ich glaube ihm!

Ein Lächeln
Alma Marie

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 28.05.11:
Ein lang gehegter Wunsch von mir wird in Erfüllung gehen, Alma Marie. Wir werden uns bald treffen, da der Baron "mitnehmend" gelogen hat.
Liebe Grüße
Ekki
Anne (56)
(28.05.11)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 28.05.11:
Der Baron erwidert deine Grüße aufs Artigste, Anne. Ein Billet ist schon unterwegs, auf dem er dich um das nächste Menuett bittet (andante cantabile).
Liebe Grüße
Ekki

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 28.05.11:
Die ursprüngliche Antwort wurde am 28.05.2011 von EkkehartMittelberg wieder zurückgenommen.
SigrunAl-Badri (52)
(28.05.11)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 28.05.11:
Der Dank ist ganz auf meiner Seite, verehrte Baronin.
Ihnen Ihr stets ergebener Diener
Baron von Münchhausen
steyk (57)
(29.05.11)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.05.11:
Es ist mir eine Ehre, lieber Stefan, dich amüsieren zu können. Herzlichen Dank für deinen motivierenden Kommentar.
Liebe Grüße
Ekki
Adelheid (54)
(28.02.13)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 28.02.13:
Ach Adelheid, für dich tät ich ja alles, nur eines nicht, lügen.

 TrekanBelluvitsh (06.06.13)
Zum Glück gibt es hier den letzten Absatz, denn so weiß ich, dass all das Jägerlatein ist. Wahrscheinlich ist der parlierbegeisterte Baron auch nicht in 'Bodenwerder', sondern in 'Büttenwarder' niedergefahren, denn in meinem Kopf trällert gerade der Erlentrillich!

In dieser schönen Erzählung sitzt jeder Satz!

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 06.06.13:
Merci, Trekan, ich mag deinen spieleriscchen Kommentar zu diesem Text.
(Antwort korrigiert am 06.06.2013)
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