Die heilige Krankheit

Erörterung zum Thema Krankheit/ Heilung

von  loslosch

ἱερά νόσος (antike Umschreibung der Epilepsie, wörtlich: Anfall, schon bei Heraklit und Herodot im 5. Jh. v. Chr.). Heilige Krankheit.

Das unheimliche, rätselhafte, schon in der Antike im Gehirn, einer vermeintlich heiligen Stätte,  verortete Leiden verführte die Alten zu dieser Bezeichnung (lat. morbus sacer). Wenn der epileptische Anfall im äußerst ungünstigen Moment einsetzt, kann die Krankheit unheilvolle, gespenstische Züge annehmen. Im winterlichen Lech am Arlberg frönte ein Ehepaar mittleren Alters dem Schivergnügen. Der etwa 16-jährige Sohn war mit von der Schipartie. Am Einstieg zum Sessellift passten immer nur zwei Personen ins Gehänge. Wer fährt von den dreien bei Fremden mit? Das Ehepaar hatte entschieden: Wir bleiben zusammen, der Sohnemann steigt bei anderen zu. Auf der Bergfahrt kippte der 16-jährige urplötzlich vornüber, der Kopf tief versunken, der Körper wie leblos. Die fremde Mitfahrerin lehnte sich instinktiv nach hinten, erzeugte Gegengewicht und krallte den Hilflosen beim Anorak. Am Liftausstieg drückte der Wärter die Stopptaste.

Alles war noch einmal gut gegangen. Das elterliche Paar hatte seinen wieder zum Leben erweckten Sohn in Empfang genommen und sich artig in die Runde bedankt. Happy End mit Fragezeichen. Keine Spur von heiliger Krankheit, auch nicht von heiliger Familie. Aber gar keine.

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Kommentare zu diesem Text


 Lluviagata (24.12.11)
Manch einem/r ist nichts heilig.
Spannend erzählt, mein Lieber! Macht tief betroffen ...

 loslosch meinte dazu am 24.12.11:
merci vielmals, andrea. ich weiß gar nicht mehr, wie oft ich an diesem "heiligen" text gefeilt hab. schilderung aus eigenem erleben. die "eltern" gaben im gespräch hinterher zu, dass der junge keinen tag ohne anfälle kennt. sie wirkten sehr gelassen auf mich. lothar

 EkkehartMittelberg (24.12.11)
Das Verhalten der Eltern ist für mich nicht verständlich.
Heilige Krankheit. Als solche wird die Epilepsie häufiger bei den russischen klassichen Erzählern thematisiert. Warum sie gerade in dieser Literatur eine besondere Rolle spielt, weiß ich nicht.
Ein frohes Fest für dich, Lothar
Ekki

 loslosch antwortete darauf am 24.12.11:
modern: die waren einfach cool. (-_-)

nach meinen recherchen hatten die römer ein lokales verständnis von krankheitsursprung. bei der epilepsie lagen sie richtig. vermutlich deshalb, weil der gesund erscheinende urplötzlich wegsackt und dann wieder das stehaufmännchen "spielt". weil sich die krankheit schubartig manifestiert, ist sie wohl für literaten weltweit ein interessantes thema gewesen. diese phänomenologische sonderrolle hat die krankheit wohl heute verloren.

frohe festtage euch beiden, ekki lothar
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