Alle Menschen sind Künstler

Erörterung zum Thema Kunst/ Künstler/ Kitsch

von  loslosch

Scribimus indocti doctique poemata passim (Horaz, 65 v. Chr. bis 8 v. Chr.; Epistulae). Wir schreiben, Gebildete wie Ungebildete (oder: Berufene wie Unberufene), gleichermaßen Gedichte.

Horaz sieht dabei Schreib- und Malkunst als ein Ganzes: Ut pictura poesis (derselbe; De arte poetica). Ein Gedicht ist gleichsam ein Gemälde. Ähnlich sehen es alle Kulturschaffenden bis heute. Zur Eingangssentenz ist dagegen die Meinung gespalten. Aktionskünstler Joseph Beuys (1921 bis 1986) vertrat eine Horaz-freundliche Position: "Jeder Mensch ist ein Künstler. Damit sage ich nichts über die Qualität. Ich sage nur etwas über die prinzipielle Möglichkeit, die in jedem Menschen vorliegt. Das Schöpferische erkläre ich als das Künstlerische, und das ist mein Kunstbegriff." (Zitiert nach Julia Brodauf.) Wenn das stimmen würde, könnte man auch behaupten, jeder Mensch könne im Prinzip ein Mathematiker sein, oder Koch oder Frisör oder Tagelöhner.

Die Gegenposition wird in der aggressiven, satirisch gemeinten Sentenz deutlich: Cacatum non est pictum (nach G. A. Bürger, 1777; vermutlich auf Demokrit, 5. Jh. v. Chr., zurückgehend). Angestrichen (beschmiert, beschissen) ist nicht gemalt. Zugespitzt: Hingepinseltes ist so wenig ein Kunstwerk wie geformter Stuhl. Es stellt sich die Frage nach dem Kriterium von (Schreib-)Kunst in Abgrenzung von Beliebigkeit.

In den 1990er Jahren gab es ein Kunst-Happening in Hamburg. Freischaffende Akteure bepinselten hinter verdeckter Leinwand abgegrenzte Felder zum Thema Farbkompositionen. Eine Jury prämierte anschließend die besten drei Werke, eines davon stammte von einem Schimpansen. Affen mögen ein Gespür für Ästhetik aus Menschensicht entwickeln, wenn sie von Menschen trainiert wurden. Ob das genügt?


Anmerkung von loslosch:

Ob etwas Kunst ist oder nicht, lässt sich schwer sagen; leichter ist es zu sagen, ob jemand Künstler ist oder nicht ... Es gibt keine Kunst, bloß Künstler.

Ein Gruß in Richtung Wien.

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Kommentare zu diesem Text

AronManfeld (43)
(17.01.13)
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 loslosch meinte dazu am 17.01.13:
lo ist nicht therapierbar, also kein artist.

 Bergmann antwortete darauf am 17.01.13:
Arons These ist nicht allgemeingültig. Es gibt viele Künstler, die nicht gekauft wurden (werden), z. B. van Gogh.
AronManfeld (43) schrieb daraufhin am 17.01.13:
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 loslosch äußerte darauf am 17.01.13:
nach meiner erinnerung lag er, als die bieterrekorde begannen, mit einem blumenfeld (iris?) an der spitze. (als bei den japanern das geld noch locker saß.) der impressionist wurde etliche jahrzehnte posthum erst richtig berühmt.

 Bergmann ergänzte dazu am 17.01.13:
Im Fall der Kunst gehört der Markt als Börse der Gefühle und der Anerkennung für Kunst dazu - er ist aber nur einer von vielen Indikatoren.

 tigujo (17.01.13)
Gut gebrüllt, lo.

Was das 'Cacatum' anbelangt, sehe ich den Verriß, selbst in unterhaltsamer, humorvoller und somit mir sympathischerer Form als geeignete Kläranlage.

Und was tun bei Texten, die einfach gut oder fast gut sind?

Noch mehr von der Seele reden: Auf kv tät ich mir wünschen, die Kommentatoren hätten weniger Achtung vor dem Werk und noch weniger Angst vor dem Autor als möglichen Freund oder Feind - und reden Tacheles. Das mag dem Autor helfen - authentisches Feedback.

Wer von den Schreibern und Schreiberinnen bloß gackt und wer ein wenig Anspruch mitbringt, man merkt es eh. Oder auch noch nicht

Gruß aus Wien
lg tigujo

 loslosch meinte dazu am 17.01.13:
die zeit war halt reif für meinen "spießigen" text. der launige hinweis zur abgrenzung kunst/nichtkunst und künstler/nichtkünstler, deine idee!, bringt es auf den punkt. danke, ger. t.t. lo
MelodieDesWindes (36)
(17.01.13)
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AronManfeld (43) meinte dazu am 17.01.13:
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 loslosch meinte dazu am 17.01.13:
ut picura poesis: eine gelungene metapher, mehr nicht. klar ist sprache (auch) selbstreferenziell. sprache ist lesbar, hörbar, denkbar. bilder sind erspürbar, erfühlbar ... und regen sprache an, das kaum sprechbare zu sagen.
Gruszka (62) meinte dazu am 17.01.13:
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AronManfeld (43) meinte dazu am 17.01.13:
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AchterZwerg (65)
(17.01.13)
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 loslosch meinte dazu am 17.01.13:
ich ahnte es voraus und lass es dabei bewenden.

wenn der affe nur einmal in seinem leben etwas bemerkenswertes geleistet hat, so doch nur aus der sicht selbsternannter "experten". was kann der schimpanse dafür? er hat mein mitgefühl. lo

 EkkehartMittelberg (17.01.13)
In früheren literarischen Epochen war sich die Avantgarde einig, was unter (Schreib)kunst zu verstehen sei. In der pluralistischen Gesellschaft heute gibt es dafür keine allgemein gültigen Kritierien mehr, es gibt nur noch gruppenspezifische Definitionen. Diese Pluralität von Kritierien hat aber nicht zu mehr Toleranz gegenüber Andersdenkenden geführt.

 loslosch meinte dazu am 17.01.13:
das wusste ich von dir, ekki. wenn die spreizung der definition wächst, wächst die intoleranz mit. das ist nachvollziehbar.

so ist das leben. t.t. lo
Regentrude (53)
(17.01.13)
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 loslosch meinte dazu am 17.01.13:
statt im text, hier: kunst kommt von KÖNNEN. (gunst kommt von gönnen.) beide male etymologisch gesichert. aber das wusstest du ja.

ab welchem alter? als schachspieler hab ich ein feeling: bobby fischer spielte ab 5. lj. auffällig gut. manche partie ist ein kunstwerk. geht aber nur, weil der starke gegenspieler alles abverlangt. unter schachexperten würde man sich wohl darauf verständigen: beim schach-genie ab 12 jahren, wenn er z.b. einen großmeister gekonnt platt gemacht hat. eher unwahrscheinlich, weil so ein GM einem 12-jährigen "schnösel" furchtsam aus dem wege geht.

also unter 12 in kunst, lit., schreiben wohl nicht. goethe hat seiner oma mit 9 ein GT-gedicht geschrieben. gute einzelzeilen. wer hat ihm die hand geführt? tucholsky hat mit 16 einen hausaufsatz geschrieben: "Der Frühling in Berlin". grandios! der pauker pinselte drunter: die arbeit enthält ideen, die offenbar nicht eigentum des verfassers sind ... für mich war das eine eigene leistung. warum? der hat seinen pauker verarscht. und der hats nicht gemerkt. er hätte im gern eine gute note gegeben, aber tucho hatte eine kleinigkeit zitiert ... das schätzte der pädagoge nicht.

das war schreibkunst mit 16.

kurz zur malkunst: denk ich an mondrian (1872 bis 1944) denk ich an leichtes fälschen. der fing als impressionist an, war technisch mehr als gut genug. manche hoch geschätzten werke aus klaren farbfeldern und paar strichen (abstrakte malerei) könnte man modifizieren und als späte nachlassfunde anpreisen. leichter zu fälschen als hitlers sog. tagebücher.

weißt du, was ich meine? merci, silke lolo
AchterZwerg (65) meinte dazu am 17.01.13:
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 loslosch meinte dazu am 17.01.13:
klar war der technisch und künstlerisch gut. nietzsche war auch künstlerisch/ sprachlich genial.

ich bin ein med. laie ...
AchterZwerg (65) meinte dazu am 17.01.13:
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 ViktorVanHynthersin (17.01.13)
Gegenfrage, sind alle Künstler Menschen? )
Herzliche Grüße
Viktor
(Kommentar korrigiert am 17.01.2013)
AchterZwerg (65) meinte dazu am 17.01.13:
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Gruszka (62) meinte dazu am 17.01.13:
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Regentrude (53) meinte dazu am 17.01.13:
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 loslosch meinte dazu am 17.01.13:
die antwort gibt sogleich viktor selber. (nach rücksprache mit meinem schimpansen.) juchuh! lo

 TrekanBelluvitsh (17.01.13)
Ich finde es sehr gut, dass die diese Frage in den Raum stellst, denn sie muss beantwortet werden - unten mehr dazu.

Was ist Kunst?

Ich habe die Kommentare gelesen und es stört mich sehr, dass zumeist nur über die Form geredet wird. Das halte ich für falsch. Wenn ich Worte zusammenstelle, die allen Regeln der Dichtkunst entsprechen, jedoch überhaupt keinen Sinn ergeben, dann ist das keine Kunst. Ich kann und will keine umfassende Definition von Kunst liefern, aber einen Punkt, der mir sehr wichtig scheint, herausstreichen:

Kunst ist nicht das Leben. Kunst ist immer ein Abbild des Lebens.

Ein Fußballspiel berührt die Leute, zieht sie in seinen Bann und man kann damit Geld verdienen. Aber es ist keine Kunst. Ein Film ÜBER ein Fußballspiel, d.h. die Reflexion des Selbigen ist Kunst. Das bedeutet aber auch, dass Kunst IMMER WIEDER DASSELBE IST. Es gibt schon tausende Schriften über Liebe, Tod und Krieg. Und worüber schreiben die meisten? Liebe, Tod und Krieg. Aber das ist nicht nur zu dulden, es ist auch nötig. Jede Generation (eigentlich: jeder Mensch) muss sich sein Bild von der Welt machen.

Darum steht bei der Kunst eben auch immer das Individuum im Mittelpunkt, Kunst ist auf das Ego zentriert (Beispiel: Literatur. Zwar scheint uns Literatur zum Dialog einzuladen, doch es ist und bleibt ein Monolog) und steht damit im Gegensatz zur Wissenschaft, die, obwohl sie auch ein Abbild des Lebens entwirft, versucht, ihre Betrachtungen vom Ego zu lösen (Ja, ich weiß, das ist rein idealtypisch).

Es ist also ganz klar im Sinne der Kunst, sich - wenn auch nicht ständig, dann doch immer wieder - zu fragen, was Kunst eigentlich ist. Und genau das hast du getan. Und ob du es wolltest oder nicht: In diesem Moment warst du ganz bestimmt ein Künstler.

T.B.

 loslosch meinte dazu am 17.01.13:
das verfilmte beispiel gefällt mir. wir sehen ein technisch gelungenes spiel, die trainer erkennen ein anderes spiel womöglich. das drehbuch versucht eine pointierung. ist es gelungene "kunst", wird dem zuschauer keine platte perspektive aufgedrückt, sondern etwas zum neubewerten, infragestellen. danke lo
baerin (53)
(17.01.13)
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 loslosch meinte dazu am 17.01.13:
es gibt lebenskünstler und lebenskunst. es gibt hungerkünstler, aber keine hungerkunst. lo
baerin (53) meinte dazu am 17.01.13:
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 Dieter Wal (18.01.13)
Warum sollte es keine für Malerei begabte Schimpansen geben?

Erwählte eine Alchemisten-Sendenz für mich als Wahlspruch: ARS PERFICIT. Kunst vollendet.

(In Jungs "Traum und Traumdeutung" gefunden. Der Satz ist von Gerhard Dorneus, Gerhard Dorn.)

Im Ganzen: "Quod relinquit naturam inperfectum, ars perficit." (Was die Natur unvollkommen zurückließ, vollendet die Kunst.)

Für mich vollendet die Kunst erst den Menschen. Sie ist notwendiger Bestandteil des Lebens. In allen Formen. Seien sie Religion, Baukunst, Literatur, Medizin oder Politik. Kunst ist Lebenskunst. Sie dient dem Leben. Sie verleiht Sinn, sie vollendet Menschen. Ohne Kunst, kein Leben, ohne Leben keine Kunst.

 loslosch meinte dazu am 18.01.13:
du kennst das goethe-zitat:

Wer Wissenschaft und Kunst besitzt,
Hat auch Religion;
Wer jene beiden nicht besitzt,
Der habe Religion.

erst posthum, 1836. siehe s. 180 der aphos.

der alte sagt frech: ohne wissenschaft oder kunst bist du ein wurm. dann magst du gläubig sein. einfach strukturierte benutzen sogar das skatspiel (oder kreuzworträtsel etc.) als vollersatz. - und es funktioniert! lo
ichbinelvis1951 (64)
(06.02.13)
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 loslosch meinte dazu am 06.02.13:
tolles stöbern in meinen "werken". lo
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