Internetliteraturforen als Literaturvernichtungsmaschinerien

Essay zum Thema Literatur

von  toltec-head

Auf den letzten Seiten der Recherche kommt dem Ich-Erzähler Prousts beim Lesen einiger Seiten aus dem Tagebuch der Goncourt der Gedanke, dass die Literatur - nicht einzelne Bücher, nicht nur Bücher einiger minderbemittelter Autoren -, die Literatur an und für sich verlogen sein könnte.

Die zarte vom Abendrot durchflutete Baumreihe, die kleinen Blumen an der Böschung, die sich fast bis zum Trittbrett des Eisenbahnwagens emporreckten, deren Blütenblätter ich zählen konnte: der im Zug sitzende und grübelnde Marcel beschließt, sie nicht zu beschreiben, nicht in Literatur zu verwandeln, denn: kann man jemals dem Leser ein Vergnügen mitzuteilen hoffen, das dieser selbst nicht erlebt hat?

Mach mal einem Idioten klar, dass er ein Idiot ist.

Beschreib mal als Mann einer Frau, die davon nur gehört hat, einen Orgasmus oder einem Blinden Farben. Am ehrlichsten sind noch die Groschenromane oder generell gesagt, Literatur, die keine andere Prätention vorgibt, als die, ihren Leser genau dort zu lassen, wo er bereits ist; alles andere, jegliche Form von Bildung ist Illusion, ist illusionärer als die kitschigsten Träume eines Groschenromans .

Da die Vorstellung, ein Werk von literarischer Qualität zu schaffen, folglich keinerlei Realität entspricht, zieht der Ich-Erzähler bei Proust hieraus die Konsequenz, dass es sich nicht wirklich lohne, für die Literatur darauf zu verzichten, das mondäne Leben eines Gesellschaftsmenschen zu führen. Man kann genauso gut Cruisen oder in die Sauna gehen oder wie Marcel zur nächstbesten Matinee einer Madame de Guermantes.

Ich behaupte, dass man in der Vergangenheit schon bis zu den absoluten Spitzen der Literatur, also etwa den letzten Seiten der Recherche vordringen musste, um Einsicht in das Illusionäre jeglicher Literatur zu erlangen. Dass aber dank der Internetliteraturforen diese Einsicht in Zukunft Gemeingut und Ausgangspunkt jeden Schreibens bzw. aus einem solchen resultierenden Nichtschreibens werden wird. Warum? Weil Internetliteraturforen den Schleier der Maya zerbersten, weil die Illusion der Literatur wie die der Liebe auf Distanz beruhte und weil man zwar Internetliteraturforen fern bleiben kann, so wie man versuchen kann, sich weiterhin romantisch zu verlieben, aber ein aufgeklärtes Wissen, das einmal in der Welt ist, auch für den gilt, der sich vorerst weigert, dieses zur Kenntnis zu nehmen.

Es nützt einem Grass, einem Walser, einer Lewitscharoff oder einer Kronauer nichts, den Foren fernzubleiben, die Entzauberung der Literatur durch Demokratisierung gilt auch für ihr Werk. Aufgrund der Durchsichtigkeit der Verhältnisse ist von nun an klar: nicht nur die Leser qua Möchtegernautoren sondern auch die für Möchtegernautoren schreibenden Autoren sind dumm. Glücklich wer noch eine Madame de Guermantes hat, deren Matineen er besuchen kann oder jung genug zum Cruisen oder für die Sauna ist.

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Kommentare zu diesem Text

JakobJanus (35)
(17.11.13)
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 toltec-head meinte dazu am 17.11.13:
Wahrscheinlich kommen deswegen immer weniger.
KoKa (45)
(17.11.13)
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JakobJanus (35) antwortete darauf am 17.11.13:
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KoKa (45) schrieb daraufhin am 17.11.13:
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JakobJanus (35) äußerte darauf am 17.11.13:
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JakobJanus (35) meinte dazu am 17.11.13:
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JakobJanus (35) meinte dazu am 17.11.13:
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KoKa (45) meinte dazu am 17.11.13:
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michaelkoehn (76)
(17.11.13)
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 Dieter_Rotmund (18.11.13)
"Beschreib mal als Mann einer Frau, die davon nur gehört hat, einen Orgasmus"

Nun ja, der Mann könnte zumindest versuchen, den männlichen Orgasmus zu beschreiben, oder? Die Unterschiede sind sicherlich groß, aber nicht riesig...

 toltec-head meinte dazu am 18.11.13:
Du kennst die Statistik, die glaub ich mal im Playboy veröffentlicht wurde, Dieter?

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 18.11.13:
Ich habe nichts gegen den Playboy, bin aber weder ein regelmäßiger Leser desselben, noch höre ich von Themen, die das Magazin aufwarf und anderswo aufgegriffen wurden...

 toltec-head meinte dazu am 18.11.13:
Statistik wieviele Frauen ohne Orgasmus durchs Leben schreiten. Die Quote liegt bei über 50 %.

 Judas meinte dazu am 25.11.13:
Trauer keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.
parkfüralteprofs (57)
(25.11.13)
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Menschenkind (29)
(25.11.13)
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 toltec-head meinte dazu am 27.11.13:
Meld dich bitte mal wegen Freitag. Bei meinen Eltern war der Internetanschluss kaputt.
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