Sockenpuppen

Aufruf zum Thema Literatur

von  toltec-head

Wer auf Neue Keinserate geht, wird finden, dass der Webmaster derzeit seine Literatur des 19. Jahrhunderts ausmistet. Es besteht leider nur geringe Hoffnung, dass er die freiwerdenden Mittel in eine Gesamtausgabe der Werke von Fernando Pessoa stecken wird, nach deren Lektüre er das Verbot auf kV Doppelprofile zu führen, aufheben müsste. Pessoa schrieb nicht nur unter einem Doppelaccount sondern gleich mehreren oder Dutzendaccounts, sogenannten Heteronymen. Diese stehen, im Unterschied zu sonst auch üblichen Pseudonymen, für verschiedene fiktive Autoren mit eigenen Biographien, eigenen Schreibstilen, Themen, Motiven und philosophischen Anschauungen. Auch sonst hat sich das Prinzip des "Ich ist ein anderer" in der Literatur des 20. Jahrhunderts herumgesprochen. Überall - bis natürlich auf die kleinen Dörfer der Internetliteraturforen, wo ein emphatischer Literaturbegriff gepflegt wird, bei dem es nicht darum geht, das Ich aufzulösen, sondern dieses anderen schmuck in Imitation irgendeines Großautors zu präsentieren. Was schade ist, denn wie der englische Autor Lars Iyer schreibt, ist die Form des Schreibens im Internet geradezu dazu geschaffen eine "Art von Autofiktion, eine Variation von Autobiographie, bei der der Autor selbst ein Charakter, gewissermaßen ein Performer wird" zu begünstigen. Stattdessen tauschen die angeknacksten Angestelltenseelen in Internetliteraturforen jedoch lieber ihre Lebensweisheiten in Form von Aphorismen oder Gedichten über Jahreszeiten mit Gottfried Keller Bärten aus. Jedes Profil steht für eine echte Persönlichkeit mit ihren echten Erfahrungen, ihren aus ihren echten Erfahrungen gewonnen echten Anschauungen und ihrem mit ihren echten Erfahrungen und echten Anschauungen verwobenen authentischen Schreibstil. Dass all dies Scheiße ist, weil keine der angeknacksten Angestelltenseelen heute noch echte Erfahrungen oder echte Anschauungen mehr hat, wen juckt´s? Über die Kommentarfunktion kann man sich ja schließlich gegenseitig die Wunden lecken und Authentizität bescheinigen. Und so wird auch heute wieder der Manfred seine, man weiß nicht in welcher Fußgängerzone gewonnenen, authentischen Ansichten über Kriege und das Leid in der Welt verbreiten, die Biene wird strikt sexlos aber lyrisch den Spätherbst besingen oder aber jemand wird, was ja keineswegs besser ist, authentisch von seinen Fickerlebnissen schreiben. Langeweile pur eben. Eine Welt voller Sockenpuppen, ohne sich gegenseitig zutextenden Ichlingen, könnte so viel schöner sein; aber da sind ja die kV-Nutzungsbedienungen davor.


Anmerkung von toltec-head:

Link zu Lars Iyer mit Nachweisen:  .

Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren

Kommentare zu diesem Text

JakobJanus (35)
(11.12.13)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
LottaManguetti (59)
(11.12.13)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 loslosch (11.12.13)
sockenpuppe als rollenspiel-training? diverse sprachstile aus einer hand schaffte schon tucholsky! die sache hat in der tat einen besonderen reiz: man kann (bestimmte) leser verarschen.

ich gelte hier als abklatscher lat. sprüche. unter diesem "deckmantel" habe ich so unterschiedliches wie das Rote Kreuz, Erkenntnistheorie und Gespräche an der Wursttheke abgehandelt.

jeder soll sehen, das ich schmalspur schreibe und bin.
LottaManguetti (59) meinte dazu am 11.12.13:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
JakobJanus (35) antwortete darauf am 11.12.13:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
Metulskie (32) schrieb daraufhin am 11.12.13:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
JakobJanus (35) äußerte darauf am 11.12.13:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
Metulskie (32) ergänzte dazu am 11.12.13:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Dieter_Rotmund (11.12.13)
Gut geschrieben, gerne gelesen, aber ich bin gegen dieses im Grunde feige Versteckspiel hinter Nicknäims wie "Seelenmond" und "shadowdevil5632" und bin für Klarnamen. Transparenz!
Graeculus (69)
(11.12.13)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
JakobJanus (35) meinte dazu am 11.12.13:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
Graeculus (69) meinte dazu am 11.12.13:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
holzköpfchen (31) meinte dazu am 11.12.13:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 loslosch meinte dazu am 11.12.13:
mIch wundert das nicht. hier laufen auch schlichte gemüter rum, die da meinen, wo sockenpuppe draufsteht, müsse auch sowas drin sein.
LottaManguetti (59) meinte dazu am 11.12.13:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 loslosch meinte dazu am 11.12.13:
... ich hab das alles nicht gewollt. du hast gesagt, es müsse sein. (alter song.)
JakobJanus (35) meinte dazu am 11.12.13:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 EkkehartMittelberg (11.12.13)
Ich halte dich nicht für so blauäugig, dass du nicht weißt, dass die Sockenpuppen im Internet nicht zu dem edlen Ziele verwandt werden, zu dem Pessoa seine Heteronyme einsetzte.

 loslosch meinte dazu am 11.12.13:
ich denke auch an Kaspar Hauser, Peter Panter, Theobald Tiger und Ignaz Wrobel. (tucholskys puppen.) motiv: sein schaffen nicht mit aller wucht zu demonstrieren.

dieses motiv dürfen wir hier ausschließen!
parkfüralteprofs (57)
(12.12.13)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram