Biedermann und die Handys - Martin Mosebach, der Altmeister betulicher Großprosa, hat einen neuen Roman geschrieben

Kritik zum Thema Literatur

von  toltec-head

Von Literaturpreisen lebt sich sicherlich besser als von Hartz 4 und doch gibt es hier eine strukturelle Verwandtschaft. Während mit Hartz 4 verdeckt werden soll, dass ein großer Teil der Bevölkerung gesellschaftlich schlicht überflüssig ist, wird mit den Literaturpreisen weiterhin die Illusion aufrecht erhalten, es gebe so etwas wie Literatur. Die Wahrheit ist, dass in Deutschland durch den Verkauf von Literatur selbst Großschriftsteller wie Lewitscharoff und Mosebach nicht leben können (ein Buch der schönen Literatur, das mehr als 2.000 X verkauft wird, gilt hierzulande als Bestseller). Mithin hängen selbst unsere Großschriftsteller, wenn auch bequemer, genauso am Tropf der Staatskasse wie die Empfänger von Hartz 4 und teilen - man muss dies in dieser Härte sagen, weil es schlichtweg stimmt - deren gesellschaftliche Überflüssigkeit vollkommen.

Gesellschaftliche Überflüssigkeit ist an sich nicht negativ, man kann sie auch ins Positive wenden, wie der Hartz 4 Empfänger, der die ihm von der Solidargemeinschaft zur Verfügung gestellten Mittel, um sich fit für den Arbeitsmarkt zu machen, missbraucht, um von seinem Hartz 4 Elend zu bloggen.  Großschriftsteller à la Lewitscharoff und Mosebach reflektieren diese ihre Überflüssigkeit aber in keinster Weise, sondern spielen sich, wie im Falle von Mosebach, gerne auch noch als moralische Instanzen auf und legen in Essays dar, warum härtere Strafen für Blasphemie für den Zusammenhalt der Gesellschaft unabdingbar sind.

Während der Bio-Blogger bloggt um seine Überflüssigkeit sogar noch zu steigern und  ganz in der Unpersönlichkeit aufzugehen, produziert  ein Mosebach weiterhin unverdrossen  schöne Literatur rund um Männer und Frauen mit Eigenschaften. Seine Lebensaufgabe: den in der Frankfurter Tiefebene herumlaufenden Abziehbildern Würde zurückzugeben, indem er sie repersonalisiert und mit den Mitteln der Literatur der oberflächlichen Gegenwart enthebt. Früher war Thomas Mann und die Leute waren gottesfürchtig - heute ist alles nur noch Handy. Hiergegen schreibt er an.

Und so hat er, um das Prinzip der jederzeitigen Erreichbarkeit zu kritisieren, nun einen Roman veröffentlicht, in dem das Handy eine große Rolle spielt und jede Menge Verwirrung stiftet. Nur peinlich, dass sein Roman in den frühen 90er spielt, wo es noch gar keine Handys gab. Die Erzählung wirke daher, so die FAZ in einer Rezension, oberflächlicher als das, was Mosebach in seinen Romanen und Essays unserer Gegenwart regelmäßig an mangelnder Tiefe ankreide.

Wer, wie wir, die glitzernde Oberfläche schätzt und die Unpersönlichkeit liebt, muss diese Kritik jedoch anders formulieren. Handys in den frühen 90ern, die herumlaufenden Abziehbilder im Frankfurter Westend oder im Hauptbahnhof als Männer und Frauen mit Eigenschaften - wer sich wie Mosebach der Oberfläche und Unpersönlichkeit des Jetzt verweigert, erzielt mit seiner Literatur nicht den wünschenswerten Effekt einer glitzernden Oberfläche sondern den einer gespenstischen Tiefe, wo der repersonalisierte Mensch zum Zombie mutiert. Da halten wir uns doch lieber eigenschaftslos im Jetzt und seiner Oberfläche auf. Und sind - als Oberflächenphänomen - gern auch jederzeit erreichbar.


Anmerkung von toltec-head:

Der Roman von Mosebach "Das Blutbuchenfest" wird kommenden Montag bei Hanser erscheinen.

Link zur FAZ-Vorabrezension:

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/buecher-der-woche/fragen-an-mosebachs-neuen-roman-schriftsteller-ans-telefon-12777364-p2.html

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Kommentare zu diesem Text


 FRP (05.02.14)
"wie der Harz 4 Empfänger, der die ihm von der Solidargemeinschaft zur Verfügung gestellten Mittel, um sich fit für den Arbeitsmarkt zu machen, missbraucht, um von seinem Harz 4 Elend zu bloggen."

- zum x-ten mal: kompletter Unsinn, was Du hier behauptest.

 toltec-head meinte dazu am 05.02.14:
Ich glaube, du verstehst nicht, dass "Missbrauch" hier nicht abwertend gemeint ist.

 FRP antwortete darauf am 05.02.14:
Genau. Denn mit Hartz 4 kauft sich der sich gegebenenfalls miss-mutig (welch verqueres Wortspiel) zu einer ungeliebten Arbeit quälende Renten- und Soli-Zahler von der Gefahr frei, von einem gegebenenfalls auf der Straße lauernden Hartzer, der sich nicht mehr anders zu helfen weiß, überfallen, miss-handelt und ausgeraubt zu werden. Auch könnte man über die Lungerer auf nächtlichen Straßen stolpern, und sich den dicken Hals brechen.
Sollte es aber die moralische Pflicht des ALG2-Beziehers sein, sich aus Schuldbewußtsein für empfangene Leistung (wohlbemerkt: Für Miete und Lebensunterhalt, ohne Bewerbungskosten) mund- und gehirntot zu stellen? Aller Kreativität zu entsagen. Nietzsche, der Italien-Hartzer, welcher von schweizer Lehrergehalt lebte, ohne den Job noch ausfüllen zu können, sagte sinngemäß, dass Müßiggang der Anfang aller Philosophie sei. Passend zur Streichung der Bezüge, was ihn brotlos auf der Straße hätte enden lassen, wurde er wahnsinnig (zwei seiner engsten Freunde hatten den Eindruck, er täusche dies nur vor). Heute wäre er wohl Dauer-Blogger.

 toltec-head schrieb daraufhin am 08.02.14:
Danke für das Nietzsche-Zitat.
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