Was ist eigentlich aus dem Roman des Phänotyps geworden?

Kritik zum Thema Literatur

von  toltec-head

Alles Stimmhafte ganz zu Ende, "auf den sonnenbeschienen Zweigen blitzen Millionen von hellen Tropfen": - zufällig, herangeholt, Carossa. Die Natur in Sport und Hygiene aufgelöst, in Abhärtung, Skigelände und Hochgebirgsstrahlung. Verflogen die Lyrik und Spannung, mit denen sie den Zeugnissen nach Persönlichkeiten aus vergangenen Jahrhunderten erfüllte. Das Moralische gleichfalls ersetzt durch das Legislative und die Hygiene. Die Liebe täuscht Inhalte vor und schafft Surrogate für eine Individualität, die nicht mehr vorhanden ist, an ihr ist wenig Intimes zu entdecken. Triebentleerungen zählen nicht, Sex ist, solange man sich nicht darum bemüht, daraus etwas hoch artifizielles zu machen,  vollkommen langweilig. Am Körperlichen zählt nur die geistig überprüfte Form. Alles Romanhafte gleichfalls tot. Warum Gedanken in jemanden hineinkneten, in eine Figur, in Persönlichkeiten, wenn es Persönlichkeiten nicht mehr gibt? Personen, Namen, Beziehungen erfinden, wenn sie gerade unerheblich werden?

Und heute? Wer sich auf Foren auch nur ganz flüchtig Texte anschaut, wird merken, dass lyrisch-stimmungsvolle Naturbetrachtung hoch im Kurs ist. Nach ihr wählen, zumal weibliche Autoren, oft bereits ihre Nicks. Schamlos werden in sogenannten Gedichten dann die Millionen von hellen Tropfen, die auf sonnenbeschienen Zweigen blitzen, in allen Schattierungen bis zum Erbrechen durchdekliniert, als hätte es einen Hans Carossa nie gegeben. Den Einklang in die Natur ergänzt moralische Meinungsmache, nicht selten mit dem Holocaust als pornographischem Fluchtpunkt. Die Leute, zumal die Älteren, wissen offenbar ganz genau wo´s lang geht. Als wäre man ein Adeliger des 18. Jahrhunderts schreibt man Aphorismen. Und die Jüngeren? Sex wird entweder wie seit Olims Zeiten zugunsten von Intim-Lieblichem verdrängt oder als Triebentleerung zelebriert, experimentelle Ansätze Fehlanzeige. Dass am Körperlichen geistig überprüfte Form etwas zutiefst Unmoralisches jenseits des Holocausts sein könnte, davon haben weder Jung noch Alt eine Ahnung. Manche aber geben sich ein wenig mehr Mühe, schielen vielleicht auf Verkäufliches, und erfinden wacker weiterhin Personen, Namen, Beziehungen, legen Gedanken in Figuren und nennen so etwas dann Prosa.

In all dem sind die Foren auf sprachlichem Krüppelniveau das getreue Abbild des Verkäuflichen. Schließlich schreiben auf ihnen die Konsumenten.

Der politischen Regression der Nazis ist nach dem 2. Weltkrieg die künstlerische gefolgt. Was die Nazis nicht schafften: Der Roman des Phänotyps  hat sich in ein unbekanntes Exil - vielleicht die hinterste Ecke des Internets - verflüchtigt. Die letzten 70 Jahre überspringen und dort weiter machen, wo Benn aufgehört hat.

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Kommentare zu diesem Text

Nimbus (41)
(23.12.14)
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 toltec-head meinte dazu am 23.12.14:
Wo nimmst du um 4 Uhr morgens so viel Herz her, Kundry?
parkfüralteprofs (57) antwortete darauf am 23.12.14:
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Nimbus (41) schrieb daraufhin am 24.12.14:
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