Kinder und Jugendliche stark machen, kompetent, lebenstüchtig , aber auch lebensfroh: das waren seine Motive, als Reinhard Marin vor 36 Jahren beschloss, Lehrer zu werden …. am Gymnasium.
Um es mit Bildern aus dem Fußball zu veranschaulichen: Er hatte Lust, junge Talente zusammenzubringen, sie im spielerisch-ernsten Miteinander ans tägliche Üben heranzuführen. Dieses Heranzuführen hieß für ihn: an wachsende An- und Herausforderungen, aber auch an die Lust auf Mehr, auf den Aufstieg und – warum nicht? - die Meisterschaft einstimmen!
Der Vergleich mit dem Sport, wo man mit entsprechendem Training und konsequenter Methode den Leistungszuwachs fast programmieren kann, trifft leider - so seine Erfahrung - auf die Schule von heute kaum mehr zu – oder höchstens in einem Punkt: Bundesliga spielen wollen sie alle. Ja, und fast alle sollen logischerweise aufs Gymnasium, um dort tatsächlich Abitur zu machen.
Aber damit höre dieser Vergleich auch schon wieder auf, denn nur wenige haben das Zeug und den Elan für die Erste Liga. Schlimmer, so erlebte es Marin: Ein beträchtlicher Teil der Angemeldeten, erfüllt nicht einmal die Mindestanforderungen, sprich bringt hinreichend Einsatz, Disziplin, Respekt vor Trainer und Übungsmaterial bzw. Durchhaltevermögen mit.
Um es mit Erlebnissen aus dem gymnasialen (!) Schulalltag zu verdeutlichen, zählt Marin auf: Viele Schüler haben „gar keinen Bock“, sie fehlen sehr häufig oder kommen zu spät, haben ihre Sachen nicht (komplett) mit, und wenn, dann sind diese kaum präsentabel, oft „unter aller Sau“. Die unverschlüsselte Botschaft hinter dieser Haltung und diesen Darbietungen: Ich selbst will eigentlich gar nicht; ich folge hier nur dem elterlich- oder gesellschaftlichen Druck … und lasse deshalb diese „Bildungsveranstaltung“ angepasst und passiv über mich ergehen.
Okay, im Sport würde der Trainer nun „aufräumen“, folgert der Ex-Lehrer. Das heißt: rigoros aus dem Kader streichen, wer da nicht in die Start-Elf gehört und den oder die dann logischerweise nur in der zweiten oder dritten Mannschaft aufstellen.
Im Sport, so vergleicht er weiter – zumal, wenn es um Bundesliga und höchste Ansprüche geht – seien sich dann auch alle einig - Manager, Medien, Zuschauer -, dass hier konsequent „die Leistung zählt“. Kämen da welche mit mangelnder Laufbereitschaft, fehlendem Biss, ungenügender Kondition oder der falschen Einstellung – es würde ihnen schonungslos in Rechnung gestellt und … und die würden dann auch nicht spielen!
Und was passiert im Gymnasium, der höchsten Spielklasse des bundesdeutschen Bildungssystems? Da habe sich während der „Trainer-Laufbahn“ unseres Ex-Lehrers ein enormer Abstieg vollzogen: Das grundlegende Bekenntnis zur Leistung und zu dem, was einmal die sogenannten „Schul-Tugenden“ waren (Fleiß, Zielstrebigkeit, Ordnung, Kenntnisse…) habe sich immer mehr verflüchtigt. Neue pädagogische Konzepte hätten jegliche Leistungsorientiertheit als „Elite-Bildung“ und „unsozial“ verunglimpft und stattdessen eine „Demokratisierung des Bildungswesens“, die „Öffnung“ auch für „Bildungsferne“ und – endlich! - die Durchsetzung von „Chancengleichheit“ versprochen. De facto sind Aufnahmeprüfungen längst weggefallen, es wurden die Empfehlungen der Grundschule über die Schulform-Eignung eines Kindes gekippt (Primat des Elternwillens), und auch das „Sitzenbleiben“ als Konsequenz ungenügender „Bundesliga-Tauglichkeit“ steht vor dem Aus. Denn bei nicht ausreichenden Noten obliege es nun den Lehrern, zu „fördern“ und in zusätzlichen Begleitmaßnahmen jene „individualisierten Rezepte“ zu entwickeln, die auch den lahmsten Kandidaten ins Ziel tragen. Welcher Lehrer mag da noch die Note „Mangelhaft“ setzen, wissend, dass ihn das dann ja zu erheblicher (oft aussichtsloser!) Mehrarbeit verpflichten würde??
Was der Fußballtrainer NICHT macht, nämlich untalentierte, trainingsfaule oder einfach lustlose Spieler TROTZDEM zu nominieren und weiter oben mitspielen zu lassen (weil er ja weiß, dass dies unweigerlich den Abstieg zur Folge hätte!) , ja, das macht der Gymnasiallehrer also durchaus.
Reinhard Marin: Er winkt sie alle auf den Platz, die Motivierten und Fitten (die gebe es ja nach wie vor), aber auch die anderen, die nicht vorbereitet, nicht ausgeschlafen, nicht fähig oder willens sind, kurz: die sich mit einer minimalistischen Strategie so durch lavieren. Und die stellen dann wesentliche Teile der Mannschaft und bestimmen deutlich mit, wie ernsthaft und engagiert gearbeitet wird. Tja, … entsprechend unansehlich und ungenügend ist dann das Gesamtergebnis.
Interessanterweise bleibt hier aber die Empörung, das gellende Pfeifkonzert der Zuschauer über „solche Luschen“ oder „so ein grottenschlechtes Spiel“ aus. Warum? Warum, so fragte auch unser Ex-Lehrer, geht da kein Aufschrei durch die Stadien??
Nun, zum einen nicht, erklärt er , weil die Akteure auf dem Platz (die Schüler) selber ja nicht nach mehr Druck und schärferer Auslese verlangen. Zum anderen nicht , weil die Schulaufsicht, die – aus welcher pädagogischen oder parteipolitischen Inspiration auch immer – jene Entwicklung herbeigeführt hat, sich ja selber nicht attestieren mag, in der Grundausrichtung zu versagen. Stumm bleiben, drittens, auch die Lehrer – und da kritisiert der aus dem Dienst Geschiedene seine Kollegen massiv – weil sie einerseits unkritisch und abgestumpft, andererseits viel zu selbstbezogen, viel zu sehr Einzelkämpfer sind. Und wenn ihnen der rapide Qualitätsverlust ihrer Arbeit einmal heftig bewusst wird, dann fehle ihnen der Mut, die erkannten Defizite auch öffentlich zu machen.
Blieben noch die Eltern, die ja am Wohlergehen und der Entwicklung ihrer Kinder am meisten Interesse haben müssten. Warum empören die sich nicht? Nun, so R. Marin, sie profitieren ja vordergründig am meisten von der neuen Schulpolitik. Sie können die oberste Spielklasse wählen, sie buchen „ all inclusive“ , das heißt die Formel Ganztags-Schule mit staatlicher „Rundum-Versorgung“. Dort gibt es eine Kantine zur Mittagsverpflegung, bzw. Über-Mittags-Betreuung und - jüngste Errungenschaft - keine Hausaufgaben mehr ( was ja früher schon einmal das Familienleben belasten konnte). Ihr Kind hat stattdessen in der Schule „Lernzeiten“.
Für den Ex-Lehrer klingt das gut, aber wahr für ihn ist: Diese ersetzen bei weitem nicht das Volumen und den Wert der früheren Hausaufgaben. Die möglicherweise daraus resultierenden Lernprobleme oder Defizite aber – falls sie denn tatsächlich zur Note Fünf führen – müssen dann ja wieder durch die Schule aufgefangen werden , durch besagte Fördermaßnahmen . Sollte trotzdem eine Minderleistung attestiert werden, sind also nicht die Eltern in der Pflicht (und auch nicht der hauptbetroffene Schüler – wie sinnig! ) – sondern der "Veranstalter" , der aber kein Interesse daran haben kann, dass sein von Anfang an falsches Management offen und in großem Umfang zu Tage tritt. Deswegen gibt es laut Marin das sogenannte Frühjahrswunder: Die Note Fünf, im Halbjahr oft in Massen gegeben, verschwindet wie durch Handauflegen kurz vor den Versetzungen - sicher geglaubte "Sitzenbleiber" (drei Hauptfächer "5", dazu noch zwei Nebenfächer...) haben da plötzlich doch noch die nötigen "Gnaden-Vierer " ja, man müsse sagen: geschenkt bekommen. Diese Praxis des "Durchwinkens" habe sich bei den Schülern im Übrigen längst ´rumgesprochen – denn die seien zwar gerne mal faul, aber nicht unbedingt doof....
Marin: Ein perfektes Wechselspiel also von pädagogischem Blendwerk, Unehrlichkeit oder Selbstbetrug, Inkonsequenz und Opportunismus. Wer genauer hinschaut und dabei Anspruch und Wirklichkeit misst, Verpackung und Inhalt, der müsse ,wie er auch, zu dem Urteil kommen: Hier fabriziert man mit viel Aufwand eine einzige…. Mogelpackung!
Unser Ex-Lehrer war an deren Herstellung beteiligt, 36 Jahre lang. Er habe gespürt und gesehen,so sagt er, dass die Qualität und die Standards immer mehr aufgeweicht wurden. Er sah Anspruch und Niveau rapide absacken. Er sah Schulen verwahrlosen, nicht nur materiell, viel mehr noch in ihrer „Spielkultur“. Natürlich habe er das moniert, er habe gemeckert , aber nur intern. Denn im Kreise der Kollegen ist dieser Abstieg, so beteuert er, längst eine Alltagserfahrung. Und er kenne eigentlich keinen, der sich für den „Verein“ noch ehrlich begeistert geschweige mit den immer neuen Reformen und pädagogischen Verbal-Operettten identifiziert.
Darum musste er das, was er als schleichenden Etikettenschwindel empfand, endlich einmal laut sagen. Er sei froh und erleichtert, diesen unehrlichen „Trainerjob hinschmeißen“ zu können. Nein, so sein Verdikt, auf dem Niveau funktioniere „Bundesliga“ einfach nicht. Und nur viel Geld hineinzupumpen ohne das Missmanagement zu beseitigen, das brächte gar nichts.