Und inneres Lied.

Erzählung zum Thema Erinnerung

von  franky

Langsam, verholen näherte ich mich dem Bett, wo das unbeaufsichtigte Instrument lag. Ziehe den Halteriemen über den Kopf und spiele ein Paar Töne auf der steirischen Ziehharmonika. Aufgeregt melden sich Mitpatienten, auch der Besitzer der Ziehharmonika eilt herbei und nimmt mir voll Entsetzen sein Instrument aus den Händen.
Dabei bin ich nur meinem unbändigen Drang zur Musik gefolgt. Es war ein fiebriger Zustand, der mich da beherrscht hatte. Für den jedoch von meinen Mitmenschen überhaupt kein Verständnis vorhanden war.
Mein inneres Lied war noch nicht so weit gereift, das es für eine Aufführung gereicht hätte. 

Bei einem Verbandwechsel äußert die Krankenschwester: „Für eine Beinprothese wird man wohl eine Nachoperation vornehmen müssen, Da mein Stumpf in der jetzigen Vorm nicht in einen Schaft passen würde.“ Diese Meldung versetzte mir unterbewusst einen brennenden Stich ins Herz. „Nein nicht nochmals so eine bestialisch stinkende Narkose!“

Der Monat August im Schulgebäude war viel zu rasch zu ende. Die adaptierten Räumlichkeiten wurden nun wieder für die Schüler freigegeben.
Jetzt konnten die Kinder wieder ungestört von den gefährlichen Tieffliegern in die Schule kommen. Die Zwangsferien seit Dezember 44 sind ab nun Vergangenheit.
Meine Ferien werden wohl länger dauern, da für mich erst eine geeignete Schule für Blinde ausfindig gemacht werden muss. 

Mama und Schwester Franziska stellten sich am einunddreißigsten August Vormittag wieder mit dem Leiterwagerl bei mir ein, um meine Heimreise zu bewerkstelligen. Poldi, Trudi und Resi blieben zuhause. Den zwei kleinen Geschwistern war der lange Fußmarsch von Laufnitzdorf nach Frohnleiten und wieder retour zu beschwerlich.

Den stetig steigenden Fußweg hinauf zum Natzbauern muss Mama das Leiterwagerl kräftig hinten anschieben. Wenn ich auch nur ein Fliegengewicht bin, macht es sich auf den ständig steigenden weg doch bemerkbar.
Seit meinem Unfall fiel ich total in Panik wenn von Sterbenden und Toten gesprochen wurde. Das war wohl eine Reaktion die von der Handgranatenexplosion herrührte.
Mein Schutzengel hatte alle Hände voll zu tun mich zu beruhigen. Das waren Todesängste auf kleinen Raten. 

Tante Juli, Mutter von meinem Kousin Leo Puschnik, die während der letzten Kriegsmonaten im Laufnitzgraben vor den Bomben in Graz Schutz suchten, Packten ihre Habseligkeiten und zogen wieder zurück nach Graz, in die  zerstörte Stadt. In der Hoffnung ihre dortige Wohnung noch halbwegs gut erhalten vorzufinden. Ihr Mann, Onkel Leo war noch nach den Kriegswirren in Berlin verschollen, eine Ungewissheit, die nur schwer zu ertragen war.
Jeden Tag um neun Uhr Vormittag im Radio die Vermisstenmeldungen vom roten Kreuz verfolgen, wo vielleicht ein Kamerad über den Verbleib von Leo Puschnik zu berichten wußte.
Onkel Leo gehörte zu des Führers Leibstandarte, eine höchst gefährlich eingestufte Truppe, die von den Besatzungsmächten explizit gesucht und verfolgt wurde.
Hier kämpfte man noch Zahn um Zahn und Auge um Auge! Es überlebte nur der jenige, der rascher die Pistole ziehen konnte.
Dann wurden sie aber doch vom Russischen Militär gefasst und in Gruppen auf Lastwagen verfrachtet. An einem schmalen Seitenweg, der in einen dichten Walt führte, machten sie stopp. Alle mussten sich bis auf die Unterhose entkleiden. Zu acht im Gänsemarsch, trieb man sie dann in den Walt. Der Weg führte über unwegsames Gelände, über Stock und Stein. Plötzlich versperrte ein ansehnlicher Bach das Weiterkommen. Der schwer bewaffnete Russische Soldat deutete an: „Darüber springen! Avanti! “ Der Erste von den acht Gefangenen landete wohlbehalten am anderen Ufer. Einer um den anderen sprangen über das Gewässer. Als der letzte zum Sprung ansetzen wollte, täuschte er ein stolpern vor. Griff mit der rechten Hand nach hinten und entriss dem überraschten Russen das Gewehr und schlug es ihm mit letzter Verzweiflung auf den Kopf, so dass er mit eingeschlagenem Schädel liegen blieb. Nun sprang auch der Letzte über den Bach und schrie: „Rennt was das Zeug hält! Wir brauchen einen Vorsprung bevor das Russische Militär dahinter kommt und uns gnadenlos jagen wird!“ 

Sie rannten bis zum Abend, die ganze Nacht und wieder den nächsten Tag bis zum Abend.
Der Wassermangel ließ ihnen die Zungen und Lippen anschwellen. Die blutigen Fußsohlen brannten wie Feuer! Sie wahren sozusagen Freiwild der Russischen Besatzung. 
Jeder versuchte sich ein etwas Bequemes Plätzchen auszusuchen, um eine dringend benötigte Pause einzulegen. Im dichten Unterholz waren sie vorerst von Verfolgern geschützt. Es dauerte Keine fünf Minuten und Sieben der acht Männer schliefen tief atmend, mit hängendem Unterkiefer ein.
Leo schlief nicht sofort, er lauschte dem friedlichen Rauschen der Bäume. Da war aber noch was anderes; Ein leises Plätschern mischte sich in das friedliche Abendlied. Vorsichtig erhob er sich und folgte dem Geräusch. Er staunte nicht schlecht, als er in das klare Wasser eines munter dahin fließenden Baches blickte. Mit der linken Hand auf einem Stein stützend, schlürfte er Gierig aus der rechten holen Hand. Leo wusste nicht wie lange er so schlürfend über der Wasseroberfläche kauerte, als ihm hinter seinem Rücken ein Knistern aus dem trinkendem Trance weckte.   
Ein bleiches Gesicht schob sich zwischen den Zweigen hin zum Bach. Einer um den Andern von den Kameraden kam nun aus der Deckung und ließen sich mit dem kühlen Nass den Magen volllaufen.
Als nächstes meldete sich der Hunger. Erst nur ein leises Knurren, dann aber konnten die ausgemergelten Männer, denen durch den Dauerlauf über so viele Stunden die letzte Energie abverlangt wurde, das nicht länger leugnen.
„In diesem Bach müssten ja auch Fische zu finden sein?“
Suchend strichen sie das Gewässer auf und ab und machten einen makaberen Fund: „Ein Russischer Soldat mit eingeschlagenen Schädel liegt im Gebüsch.“
Sie waren zwei Tagelang nur im kreis gerannt.

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (08.03.18)
Lieber Franky,
dieses Rennen im Kreis erinnert mich an "So weit die Füße tragen".
Deine Erzählung ist nicht weniger spannend.
Liebe Grüße
Ekki
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