Hundeleben

Erzählung zum Thema Mitleid

von  eiskimo

Er sitzt da vor dem Einkaufszenter. Schon seit Wochen tut er das.
Er hat da seinen Stammplatz. Drinnen hat er Hausverbot .
Da, wo er sitzt, wird er geduldet, er und seine zwei Hunde.
Zwischen Bushaltestelle und den Glasportalen ist Platz genug.
Er behindert keinen, aber  er ist auch nicht zu übersehen , so
wie er da hockt, eingemummt in  Decken, zwischen den Hunden.
Vor ihm und um ihn herum hasten die Passanten vorbei,
sie strömen in dicken Pulks von den Bussen hinein in das Zenter
oder erscheinen auch vereinzelt; es ist ein Kommen und Gehen.
Unser Mann hockt da bewegungslos, die Hunde liegen bequem.
Nein, keine Papptafel mit dem Hinweis "Bitte! Ich habe Hunger".
Kein Pappbecher für Münzen, auch keine bettelnd geöffnete Hand.
Dafür diese Zen-Haltung. Demonstrative Nicht-Teilnahme. Ruhe.
Stolzer Gegenentwurf zur Shopping-Welt? Eine Polit-Provokation?
Ist es  Street Art? Oder nur ein Advent-Happening der Kirchen?
Einige Zenter-Besucher reagieren auf den stummen Außenseiter.
Vielleicht auch eher auf seine beiden Tiere. Ältere Frauen  meist
Sie bringen Hundekuchen, schütten frisches Wasser in die Näpfe.
Die beiden Promenadenmischungen werden sogar gestreichelt.
Ihr Herrchen geht leer aus. Schaut zu Boden. Hat es das verdient?
Die Reaktion der meisten Passanten- sofern sie denn hinschauen:
Muss der Typ da immer hocken? Und: Klar, ist  der selber Schuld …
an seinem Hundeleben.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (30.11.19)
Hallo Eiskimo,
am eindringlichsten kommt bei mir die Frage
Ist es Street Art?
an.
Größer und besser lässt sich Unverständnis kaum ausdrücken.
Und ja, in der BRD werden Haus- und Outdoortiere oft mehr geschätzt als ihre Frau- und Herrchen.

Guter Text. :)

 eiskimo meinte dazu am 30.11.19:
Danke!
Ja, Haustier müsste manhier sein!
Die Zahl der Street-Artisten scheint mir auch zuzunehmen. Sicher nicht aus Berufung.
LG
Eiskimo

 Momo (30.11.19)
Bei uns in der Fußgängerzone sah ich auch schon des Öfteren einen Meditierenden auf seiner Decke sitzend, aber mit Pappbecher vor sich und ohne Hund. Ich betrachtete ihn als Gegenentwurf zum Konsumwahn, aber auch als die Kraft der inneren Einkehr, die fehlt und die er in dieser ganzen Hektik verbreiten und vermitteln wollte.

LG Momo

 eiskimo antwortete darauf am 30.11.19:
Wir könnten also manche dieser Habenichtse umtaufen in "Brauchenichtse" - sofern sie diese Verweigerungshaltung tatsächlich frei gewählt haben.
Bei den Clochards in Paris soll es Philosophen dieser Art tatsächlich gegeben haben. Leute, bei denen man nach deren Tod noch brach liegende bürgerlichen Besitz ausfindig machte .
Denkanstöße geben sie allemal.
LG
Eiskimo

 Dieter_Rotmund (30.11.19)
"Einkaufszenter"? Hat diese seltsame Schreibweise irgendeine Bedeutung?

 eiskimo schrieb daraufhin am 30.11.19:
Würde Centre, Center, Zentrum, Centrum ... irgend etwas an dem Gehalt dieses Textes ändern?

 Dieter_Rotmund äußerte darauf am 30.11.19:
"Gehalt des Textes" - Dein Selbstvertrauen in allen Ehren, aber "Einkaufszenter/Zenter" ist schlicht und ergreifend falsch. Das desavouiert den Text erheblich, den "Gehalt" ebenfalls, bestenfalls geht mit "z" nur das "Einkaufszentrum".
Mann!

 eiskimo ergänzte dazu am 30.11.19:
Ja, da gebe ich Dir Recht - "Gehalt" ist schon arg anmaßend, das stinkt förmlich nach Eigenlob. Gut, dass Du da den so selbstbewussten Autor zurückpfeifst. Sagen wir also lieber, wie bei einer Konservendose, "Inhalt"

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 30.11.19:
Zreme, Zhamäleon, Zoming-out?

 FrankReich meinte dazu am 06.12.19:
Dieter, wie immer voll auf Cack!
Stelzie (55)
(30.11.19)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 eiskimo meinte dazu am 30.11.19:
Den Hunden gegenüber zeigt man Mitleid; der Mann "stört", denke ich. Er stört unseren Anspruch auf "heile Welt" und "unbelastet Shoppen gehen". Dass er nicht die üblichen Bettel-Requisiten hat, irritiert noch mehr. Dann hätte man sich ja mit ein bisschen Kleingeld freikaufen können.
So bleibt nur die Irritation.
LG
Eiskimo

 EkkehartMittelberg (30.11.19)
hallo eiskimo,
ob er zu stolz ist zu betteln? Wie auch immer, hoffentlich ist er nicht nur ein Denkanstoß, sondern auch ein Impuls für Herzen.
LG
Ekki

 eiskimo meinte dazu am 30.11.19:
Ich sehe da auch ein hohes Maß an Stolz. Nach dem Motto: Wenn ihr euch mit mir wirklich beschäftigen wollt, lasst euer Kleingeld stecken, redet mit mir. Aber wer hat das Herz und die Zeit für eine so weit reichende Zuwendung?
LG
Eiskimo

 Regina (30.11.19)
Ich finde, man müsste schon genau hinsehen. Warum sitzt er da? Freiwillig, aus Not oder will er provozieren? Alk, Drogen, subkulturelle Haltung? Alternative zum Konsum ist es nicht, wenn man mit den wohltätigen Konsumenten rechnet. Kann er nicht wenigstens singen oder Flöte spielen, als Gegenleistung? Und letzten Endes hat er, wie alle Rentner auch, den Anspruch auf das magere Existenzminimum. LG Gina

 eiskimo meinte dazu am 30.11.19:
Du hast Recht: Genauer hinsehen, wenn möglich das Gespräch suchen. Habe ich bis dato nicht gemacht. Habe - wie alle anderen auch - nur den "Störfaktor" gesehen.
Ich hole das nach, falls der Mann sich drauf einlässt.
ciu
Eiskimo

 AvaLiam meinte dazu am 06.12.19:
Liebe Regina

Und letzten Endes hat er, wie alle Rentner auch, den Anspruch auf das magere Existenzminimum

Das wird so verkauft - ist aber streng genommen FALSCH.
Man muss dazu einige Anforderungen erfüllen. Tut man das nicht, interessiert es keine Sau, WO du schläfst, OB du einen Arzt brauchst, WAS du isst und ob du ÜBERHAUPT etwas isst, ob du eine Meldeadresse hast oder Sonstiges.
Wir haben in Deutschland ein gutes, soziales Netzt - gemessen an anderen Ländern - ok. Aber auch DAS hat Löcher, durch die man fallen kann.

Das genauere Hinsehen / Hinhören - ja, dass könnte viel bewirken. Aber die meisten Menschen scheuen sich. Nicht zuletzt vor der Erkenntnis, dass es für JEDEN GANZ SCHNELL bergab gehen kann, von einer Minute zu anderen. Das ist meine Erfahrung.
Genauso scheuen sie die Hilflosigkeit, außer ein paar Cents / Euros und Worten, die sicher schon einige andere vorher auch gesagt haben, nichts tun zu können. Und ich könnt noch weiter schreiben. Aber es ist ja nicht MEIN Text.

----------------

Lieber eiskimo,

ich hoffe, es ist ok, dass ich mich ein wenig "eingemischt" habe.
Dieses Thema - diese Bilder treffen quasi einen (nicht mehr ganz so wunden) Punkt - lösen aber doch sehr viele Reaktionen in mir aus.

herzliche Grüße - Ava

 eiskimo meinte dazu am 06.12.19:
Danke, liebe Ava, dass Du Dich so auf dieses Szenario hier einlässt. Ich spüre reale Betroffenheit, und ich kann auch nachfühlen, dass man hier, in diesem scheinbar so reichen Land, ganz schnell ´raus ist - erbarmungslos.
In puncto Mitmenschlichkeit sind wir bettelarm.
LG
Eiskimo
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram